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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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ist 3). -- Daß nur die philosophisch richtige Lehre der be-
sonderen Staatsgattung, welcher der in Frage stehende Staat
angehört, zur Beantwortung benützt werden darf, sollte unter
diesen Umständen nicht erst erwähnt werden müssen.

1) Ueber Gewohnheitsrecht im Allgemeinen sehe man: Puchta, G. F.,
Das Gewohnheitsrecht. I. II. Erlangen, 1828 u. 1837. -- Beseler, G.,
Volksrecht und Juristenrecht, Leipz., 1843. -- Thöl, H., Volksrecht,
Juristenrecht u. s. w. Rostock, 1846. -- Ueber Gewohnheitsrecht im öffent-
lichen Rechte insbesondere aber mein Württembergisches Staatsrecht, Bd. I,
S. 75 u. ff.
2) Schlagende Beweise von falscher Anwendung der Analogie als
Rechtsquelle geben manche Bearbeitungen des allgemeinen deutschen Terri-
torialstaatsrechtes, insoferne dieselben in unzähligen Fällen einen Satz für
ganz Deutschland gültig aufstellen, blos weil er in einigen Staaten positives
Recht ist. -- Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei übrigens ausdrück-
lich bemerkt, daß es keine unerlaubte Anwendung der Analogie eines fremden
Staatsrechtes ist, wenn aus dem Geiste einer Staatsverfassung argumentirt
wird, welche nachweisbar der diesseitigen Gesetzgebung zum Vorbilde gedient
hat. Nur gelten dann die Sätze nicht deßhalb, weil sie in einem andern
Staate Rechtens sind, sondern deßhalb, weil sie auch diesseits wenigstens
in ihren Grundlagen angenommen sind.
3) So unzweifelhaft unrichtig es ist, wenn blos vernunftrechtliche
Sätze ohne Weiteres und so lange noch positive Rechtsquellen vorhanden
sind, sodann ohne Bezeichnung ihrer Abstammung, für positives Recht
gegeben werden: ebensowenig kann auf der andern Seite bezweifelt werden,
daß in Ermangelung aller positiven Entscheidung auf das Wesen des Staates
und seiner besonderen Einrichtung zurückgegangen werden darf und selbst
muß. Welche andere Norm soll denn in solchem Falle gelten, als die rein
vernunftmäßige? Das spaßhafte alte Wort: "Hie hört das Rostocker
Stadtrecht auf und fängt der gesunde Menschenverstand an," hat einen ganz
guten Sinn; nur muß das positive Recht wirklich ganz zu Ende sein. Oder
soll in einem solchem Falle etwa die menschliche Unvernunft anfangen??
§ 53.
4. Literatur des positiven Staatsrechtes.

Es ist eine räumliche Unmöglichkeit die unermeßliche Li-
teratur des positiven Staatsrechtes aller Zeiten und aller Völker
irgendwo gemeinsam und vollständig aufzuführen. Die Auf-

iſt 3). — Daß nur die philoſophiſch richtige Lehre der be-
ſonderen Staatsgattung, welcher der in Frage ſtehende Staat
angehört, zur Beantwortung benützt werden darf, ſollte unter
dieſen Umſtänden nicht erſt erwähnt werden müſſen.

1) Ueber Gewohnheitsrecht im Allgemeinen ſehe man: Puchta, G. F.,
Das Gewohnheitsrecht. I. II. Erlangen, 1828 u. 1837. — Beſeler, G.,
Volksrecht und Juriſtenrecht, Leipz., 1843. — Thöl, H., Volksrecht,
Juriſtenrecht u. ſ. w. Roſtock, 1846. — Ueber Gewohnheitsrecht im öffent-
lichen Rechte insbeſondere aber mein Württembergiſches Staatsrecht, Bd. I,
S. 75 u. ff.
2) Schlagende Beweiſe von falſcher Anwendung der Analogie als
Rechtsquelle geben manche Bearbeitungen des allgemeinen deutſchen Terri-
torialſtaatsrechtes, inſoferne dieſelben in unzähligen Fällen einen Satz für
ganz Deutſchland gültig aufſtellen, blos weil er in einigen Staaten poſitives
Recht iſt. — Zur Vermeidung von Mißverſtändniſſen ſei übrigens ausdrück-
lich bemerkt, daß es keine unerlaubte Anwendung der Analogie eines fremden
Staatsrechtes iſt, wenn aus dem Geiſte einer Staatsverfaſſung argumentirt
wird, welche nachweisbar der diesſeitigen Geſetzgebung zum Vorbilde gedient
hat. Nur gelten dann die Sätze nicht deßhalb, weil ſie in einem andern
Staate Rechtens ſind, ſondern deßhalb, weil ſie auch diesſeits wenigſtens
in ihren Grundlagen angenommen ſind.
3) So unzweifelhaft unrichtig es iſt, wenn blos vernunftrechtliche
Sätze ohne Weiteres und ſo lange noch poſitive Rechtsquellen vorhanden
ſind, ſodann ohne Bezeichnung ihrer Abſtammung, für poſitives Recht
gegeben werden: ebenſowenig kann auf der andern Seite bezweifelt werden,
daß in Ermangelung aller poſitiven Entſcheidung auf das Weſen des Staates
und ſeiner beſonderen Einrichtung zurückgegangen werden darf und ſelbſt
muß. Welche andere Norm ſoll denn in ſolchem Falle gelten, als die rein
vernunftmäßige? Das ſpaßhafte alte Wort: „Hie hört das Roſtocker
Stadtrecht auf und fängt der geſunde Menſchenverſtand an,“ hat einen ganz
guten Sinn; nur muß das poſitive Recht wirklich ganz zu Ende ſein. Oder
ſoll in einem ſolchem Falle etwa die menſchliche Unvernunft anfangen??
§ 53.
4. Literatur des poſitiven Staatsrechtes.

Es iſt eine räumliche Unmöglichkeit die unermeßliche Li-
teratur des poſitiven Staatsrechtes aller Zeiten und aller Völker
irgendwo gemeinſam und vollſtändig aufzuführen. Die Auf-

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[392/0406] iſt 3). — Daß nur die philoſophiſch richtige Lehre der be- ſonderen Staatsgattung, welcher der in Frage ſtehende Staat angehört, zur Beantwortung benützt werden darf, ſollte unter dieſen Umſtänden nicht erſt erwähnt werden müſſen. ¹⁾ Ueber Gewohnheitsrecht im Allgemeinen ſehe man: Puchta, G. F., Das Gewohnheitsrecht. I. II. Erlangen, 1828 u. 1837. — Beſeler, G., Volksrecht und Juriſtenrecht, Leipz., 1843. — Thöl, H., Volksrecht, Juriſtenrecht u. ſ. w. Roſtock, 1846. — Ueber Gewohnheitsrecht im öffent- lichen Rechte insbeſondere aber mein Württembergiſches Staatsrecht, Bd. I, S. 75 u. ff. ²⁾ Schlagende Beweiſe von falſcher Anwendung der Analogie als Rechtsquelle geben manche Bearbeitungen des allgemeinen deutſchen Terri- torialſtaatsrechtes, inſoferne dieſelben in unzähligen Fällen einen Satz für ganz Deutſchland gültig aufſtellen, blos weil er in einigen Staaten poſitives Recht iſt. — Zur Vermeidung von Mißverſtändniſſen ſei übrigens ausdrück- lich bemerkt, daß es keine unerlaubte Anwendung der Analogie eines fremden Staatsrechtes iſt, wenn aus dem Geiſte einer Staatsverfaſſung argumentirt wird, welche nachweisbar der diesſeitigen Geſetzgebung zum Vorbilde gedient hat. Nur gelten dann die Sätze nicht deßhalb, weil ſie in einem andern Staate Rechtens ſind, ſondern deßhalb, weil ſie auch diesſeits wenigſtens in ihren Grundlagen angenommen ſind. ³⁾ So unzweifelhaft unrichtig es iſt, wenn blos vernunftrechtliche Sätze ohne Weiteres und ſo lange noch poſitive Rechtsquellen vorhanden ſind, ſodann ohne Bezeichnung ihrer Abſtammung, für poſitives Recht gegeben werden: ebenſowenig kann auf der andern Seite bezweifelt werden, daß in Ermangelung aller poſitiven Entſcheidung auf das Weſen des Staates und ſeiner beſonderen Einrichtung zurückgegangen werden darf und ſelbſt muß. Welche andere Norm ſoll denn in ſolchem Falle gelten, als die rein vernunftmäßige? Das ſpaßhafte alte Wort: „Hie hört das Roſtocker Stadtrecht auf und fängt der geſunde Menſchenverſtand an,“ hat einen ganz guten Sinn; nur muß das poſitive Recht wirklich ganz zu Ende ſein. Oder ſoll in einem ſolchem Falle etwa die menſchliche Unvernunft anfangen?? § 53. 4. Literatur des poſitiven Staatsrechtes. Es iſt eine räumliche Unmöglichkeit die unermeßliche Li- teratur des poſitiven Staatsrechtes aller Zeiten und aller Völker irgendwo gemeinſam und vollſtändig aufzuführen. Die Auf-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/406>, abgerufen am 28.03.2024.