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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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des besondern Staates nicht erreicht werden, sondern erfordern
eine freiere Bewegung auch auswärts und ein Zusammenwirken
von Kräften verschiedener Nationalität. Je verbreiteter und
inniger ein solcher außerstaatlicher Verkehr ist, desto näher kömmt
er dem Ideale des menschlichen Gesammtlebens 1). Daß aber
ein solches weiteres Ausleben nur unter dem Schutze einer eben
so weit verbreiteten und anerkannten Rechtsordnung möglich ist,
bedarf ebensowenig eines Beweises, als daß diese Ordnung auf
allgemeinen innerlich wahren Grundsätzen beruhen muß.

Eine vollständige Erfüllung dieser Forderungen wäre vor-
handen, wenn die Rechtsordnung unter den Staaten sich mit
allgemeiner Anerkennung über die ganze Erde verbreitete; und
es ist auch denkbar, daß bei immer weiter fortschreitender und
sich ausbreitender Gesittigung derselben Art eine solche allge-
meine Weltrechtsordnung in künftigen Jahrhunderten Möglich-
keit und Bedürfniß wird. Zunächst aber ist die Entwickelung
des menschlichen Geschlechtes so weit noch nicht vorgeschritten,
und es ist daher nicht nur dem nächsten praktischen Bedürfnisse
Genüge geleistet, sondern überhaupt alles vernünftig Mögliche
geschehen, wenn eine gemeinschaftliche Rechtsordnung je für die-
jenigen Staatengruppen festgestellt wird, deren Gesittigung eine
wesentlich gleiche ist, welche also dieselben Grundanschauungen
von Recht und Sittlichkeit und dieselben äußerlichen Forde-
rungen haben. Größeres und Weiteres bleibt der Zukunft über-
lassen, sowie die Gegenwart bereits Größeres und Weiteres
leistet, als die Vergangenheit es vermochte und wollte 2).

Zunächst ist also bei der Rechtsordnung unter den Staaten
immer nur von der Regelung des Zusammenlebens der Völker
von europäischer Gesittigung die Rede; und zwar nicht etwa
blos, wo es sich von positiven Feststellungen handelt, sondern eben-
sogut bei Aufstellung allgemein vernünftiger Rechtssätze. Auch die
letzteren sind nur dann ein gemeinschaftliches Bedürfniß, und

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des beſondern Staates nicht erreicht werden, ſondern erfordern
eine freiere Bewegung auch auswärts und ein Zuſammenwirken
von Kräften verſchiedener Nationalität. Je verbreiteter und
inniger ein ſolcher außerſtaatlicher Verkehr iſt, deſto näher kömmt
er dem Ideale des menſchlichen Geſammtlebens 1). Daß aber
ein ſolches weiteres Ausleben nur unter dem Schutze einer eben
ſo weit verbreiteten und anerkannten Rechtsordnung möglich iſt,
bedarf ebenſowenig eines Beweiſes, als daß dieſe Ordnung auf
allgemeinen innerlich wahren Grundſätzen beruhen muß.

Eine vollſtändige Erfüllung dieſer Forderungen wäre vor-
handen, wenn die Rechtsordnung unter den Staaten ſich mit
allgemeiner Anerkennung über die ganze Erde verbreitete; und
es iſt auch denkbar, daß bei immer weiter fortſchreitender und
ſich ausbreitender Geſittigung derſelben Art eine ſolche allge-
meine Weltrechtsordnung in künftigen Jahrhunderten Möglich-
keit und Bedürfniß wird. Zunächſt aber iſt die Entwickelung
des menſchlichen Geſchlechtes ſo weit noch nicht vorgeſchritten,
und es iſt daher nicht nur dem nächſten praktiſchen Bedürfniſſe
Genüge geleiſtet, ſondern überhaupt alles vernünftig Mögliche
geſchehen, wenn eine gemeinſchaftliche Rechtsordnung je für die-
jenigen Staatengruppen feſtgeſtellt wird, deren Geſittigung eine
weſentlich gleiche iſt, welche alſo dieſelben Grundanſchauungen
von Recht und Sittlichkeit und dieſelben äußerlichen Forde-
rungen haben. Größeres und Weiteres bleibt der Zukunft über-
laſſen, ſowie die Gegenwart bereits Größeres und Weiteres
leiſtet, als die Vergangenheit es vermochte und wollte 2).

Zunächſt iſt alſo bei der Rechtsordnung unter den Staaten
immer nur von der Regelung des Zuſammenlebens der Völker
von europäiſcher Geſittigung die Rede; und zwar nicht etwa
blos, wo es ſich von poſitiven Feſtſtellungen handelt, ſondern eben-
ſogut bei Aufſtellung allgemein vernünftiger Rechtsſätze. Auch die
letzteren ſind nur dann ein gemeinſchaftliches Bedürfniß, und

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[403/0417] des beſondern Staates nicht erreicht werden, ſondern erfordern eine freiere Bewegung auch auswärts und ein Zuſammenwirken von Kräften verſchiedener Nationalität. Je verbreiteter und inniger ein ſolcher außerſtaatlicher Verkehr iſt, deſto näher kömmt er dem Ideale des menſchlichen Geſammtlebens 1). Daß aber ein ſolches weiteres Ausleben nur unter dem Schutze einer eben ſo weit verbreiteten und anerkannten Rechtsordnung möglich iſt, bedarf ebenſowenig eines Beweiſes, als daß dieſe Ordnung auf allgemeinen innerlich wahren Grundſätzen beruhen muß. Eine vollſtändige Erfüllung dieſer Forderungen wäre vor- handen, wenn die Rechtsordnung unter den Staaten ſich mit allgemeiner Anerkennung über die ganze Erde verbreitete; und es iſt auch denkbar, daß bei immer weiter fortſchreitender und ſich ausbreitender Geſittigung derſelben Art eine ſolche allge- meine Weltrechtsordnung in künftigen Jahrhunderten Möglich- keit und Bedürfniß wird. Zunächſt aber iſt die Entwickelung des menſchlichen Geſchlechtes ſo weit noch nicht vorgeſchritten, und es iſt daher nicht nur dem nächſten praktiſchen Bedürfniſſe Genüge geleiſtet, ſondern überhaupt alles vernünftig Mögliche geſchehen, wenn eine gemeinſchaftliche Rechtsordnung je für die- jenigen Staatengruppen feſtgeſtellt wird, deren Geſittigung eine weſentlich gleiche iſt, welche alſo dieſelben Grundanſchauungen von Recht und Sittlichkeit und dieſelben äußerlichen Forde- rungen haben. Größeres und Weiteres bleibt der Zukunft über- laſſen, ſowie die Gegenwart bereits Größeres und Weiteres leiſtet, als die Vergangenheit es vermochte und wollte 2). Zunächſt iſt alſo bei der Rechtsordnung unter den Staaten immer nur von der Regelung des Zuſammenlebens der Völker von europäiſcher Geſittigung die Rede; und zwar nicht etwa blos, wo es ſich von poſitiven Feſtſtellungen handelt, ſondern eben- ſogut bei Aufſtellung allgemein vernünftiger Rechtsſätze. Auch die letzteren ſind nur dann ein gemeinſchaftliches Bedürfniß, und 26*

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/417>, abgerufen am 23.04.2024.