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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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und Laurent ist das Bedürfniß einer allgemeinen Weltrechts-
ordnung erwiesen und die daraus hervorgehende eigenthümliche
Aufgabe des philosophischen Völkerrechtes begründet und ent-
wickelt worden. Diese neue Schule ist allerdings noch in ihrem
Beginne, allein sie ist ohne Zweifel die Lehre der Zukunft.

1) Ein Zurückgehen in der Geschichte des philosophischen Völkerrechtes
hinter die Hellenen und Römer, und also namentlich auf die frühern asiatischen
Kulturvölker, mag zwar eine schöne Aufgabe für gelehrte Forschungen, und
das Ergebniß derselben ein merkwürdiger Beitrag zur Geschichte der Gesittigung
des Menschengeschlechtes sein: allein zur Geschichte unseres europäischen
philosophischen Völkerrechtes trägt es nichts bei. Die ganze Lebensauffassung
dieser Völker ist eine so wesentlich verschiedene von der unsrigen, und ihre
geistige Entwicklung hat so geringen unmittelbaren Einfluß auf den jetzigen
Europäer gehabt, namentlich auf deren völkerrechtliche Anschauung, daß das
Ganze etwas Fremdartiges und Unzusammenhängendes bleibt. Damit ist
natürlich dem gelehrten Werthe der Schriften oder Abschnitte von Laurent,
Müller-Jochmus, Hälschner
nichts benommen.
2) Ueber das Völkerrecht der Hellenen und Römer ist namentlich das
Werk von Laurent, Bd. II u. III, sowie Müller-Jochmus und
Osenbrüggen (De jure belli et pacis Romanorum) nachzusehen. Ueber
die Eintheilung der römischen Rechtsgelehrten aber in jus naturale, jus
gentium
und jus civile siehe Dirksen im Rheinischen Museum für
Jurisprudenz. Bd. I; Puchta, Gewohnheitsrecht, Bd. I, S. 24 u. fg.;
Voigt, Die Lehre vom jus naturale, rectum et bonum und jus gen-
tium
der Römer. Leipz., 1856.
3) Wenn Aegidi (in der Erlanger theolog. Zeitschr., Bd. XXXIV,
S. 143) die Weltauschauung des Mittelalters "das Völkerrecht des heiligen
römischen Rechtes" nennt: so enthält dieser geistreiche Ausdruck doch einen
Widerspruch in sich. Völkerrecht in einem Reiche kann nicht bestehen,
wenigstens nicht in der Wissenschaft.
4) Ueber die völkerrechtlichen Ansichten des Mittelalters sehe man
Ward, R., Enquiry into the foundation and history of the law
of nations in Europe. I. II. London, 1795;
Pütter, K. Th., Bei-
träge zur Völkerrechtsgeschichte. Leipz., 1847.
5) Die ersten unvollkommenen Versuche des neuzeitigen Völkerrechtes
sind hauptsächlich von Oldentorp (1539), Henning (1550), Winkler
(1615). Am meisten benützt hat Grotius jedoch wohl das Werk von Al-
bericus Gentilis
(De jure belli, 1588). -- Vollständige Nachrichten
über diesen Theil der Literatur gibt: Kaltenborn, K. von, Die Vor-
läufer des Hugo Grotius. Leipz., 1848.

und Laurent iſt das Bedürfniß einer allgemeinen Weltrechts-
ordnung erwieſen und die daraus hervorgehende eigenthümliche
Aufgabe des philoſophiſchen Völkerrechtes begründet und ent-
wickelt worden. Dieſe neue Schule iſt allerdings noch in ihrem
Beginne, allein ſie iſt ohne Zweifel die Lehre der Zukunft.

1) Ein Zurückgehen in der Geſchichte des philoſophiſchen Völkerrechtes
hinter die Hellenen und Römer, und alſo namentlich auf die frühern aſiatiſchen
Kulturvölker, mag zwar eine ſchöne Aufgabe für gelehrte Forſchungen, und
das Ergebniß derſelben ein merkwürdiger Beitrag zur Geſchichte der Geſittigung
des Menſchengeſchlechtes ſein: allein zur Geſchichte unſeres europäiſchen
philoſophiſchen Völkerrechtes trägt es nichts bei. Die ganze Lebensauffaſſung
dieſer Völker iſt eine ſo weſentlich verſchiedene von der unſrigen, und ihre
geiſtige Entwicklung hat ſo geringen unmittelbaren Einfluß auf den jetzigen
Europäer gehabt, namentlich auf deren völkerrechtliche Anſchauung, daß das
Ganze etwas Fremdartiges und Unzuſammenhängendes bleibt. Damit iſt
natürlich dem gelehrten Werthe der Schriften oder Abſchnitte von Laurent,
Müller-Jochmus, Hälſchner
nichts benommen.
2) Ueber das Völkerrecht der Hellenen und Römer iſt namentlich das
Werk von Laurent, Bd. II u. III, ſowie Müller-Jochmus und
Oſenbrüggen (De jure belli et pacis Romanorum) nachzuſehen. Ueber
die Eintheilung der römiſchen Rechtsgelehrten aber in jus naturale, jus
gentium
und jus civile ſiehe Dirkſen im Rheiniſchen Muſeum für
Jurisprudenz. Bd. I; Puchta, Gewohnheitsrecht, Bd. I, S. 24 u. fg.;
Voigt, Die Lehre vom jus naturale, rectum et bonum und jus gen-
tium
der Römer. Leipz., 1856.
3) Wenn Aegidi (in der Erlanger theolog. Zeitſchr., Bd. XXXIV,
S. 143) die Weltauſchauung des Mittelalters „das Völkerrecht des heiligen
römiſchen Rechtes“ nennt: ſo enthält dieſer geiſtreiche Ausdruck doch einen
Widerſpruch in ſich. Völkerrecht in einem Reiche kann nicht beſtehen,
wenigſtens nicht in der Wiſſenſchaft.
4) Ueber die völkerrechtlichen Anſichten des Mittelalters ſehe man
Ward, R., Enquiry into the foundation and history of the law
of nations in Europe. I. II. London, 1795;
Pütter, K. Th., Bei-
träge zur Völkerrechtsgeſchichte. Leipz., 1847.
5) Die erſten unvollkommenen Verſuche des neuzeitigen Völkerrechtes
ſind hauptſächlich von Oldentorp (1539), Henning (1550), Winkler
(1615). Am meiſten benützt hat Grotius jedoch wohl das Werk von Al-
bericus Gentilis
(De jure belli, 1588). — Vollſtändige Nachrichten
über dieſen Theil der Literatur gibt: Kaltenborn, K. von, Die Vor-
läufer des Hugo Grotius. Leipz., 1848.
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[411/0425] und Laurent iſt das Bedürfniß einer allgemeinen Weltrechts- ordnung erwieſen und die daraus hervorgehende eigenthümliche Aufgabe des philoſophiſchen Völkerrechtes begründet und ent- wickelt worden. Dieſe neue Schule iſt allerdings noch in ihrem Beginne, allein ſie iſt ohne Zweifel die Lehre der Zukunft. ¹⁾ Ein Zurückgehen in der Geſchichte des philoſophiſchen Völkerrechtes hinter die Hellenen und Römer, und alſo namentlich auf die frühern aſiatiſchen Kulturvölker, mag zwar eine ſchöne Aufgabe für gelehrte Forſchungen, und das Ergebniß derſelben ein merkwürdiger Beitrag zur Geſchichte der Geſittigung des Menſchengeſchlechtes ſein: allein zur Geſchichte unſeres europäiſchen philoſophiſchen Völkerrechtes trägt es nichts bei. Die ganze Lebensauffaſſung dieſer Völker iſt eine ſo weſentlich verſchiedene von der unſrigen, und ihre geiſtige Entwicklung hat ſo geringen unmittelbaren Einfluß auf den jetzigen Europäer gehabt, namentlich auf deren völkerrechtliche Anſchauung, daß das Ganze etwas Fremdartiges und Unzuſammenhängendes bleibt. Damit iſt natürlich dem gelehrten Werthe der Schriften oder Abſchnitte von Laurent, Müller-Jochmus, Hälſchner nichts benommen. ²⁾ Ueber das Völkerrecht der Hellenen und Römer iſt namentlich das Werk von Laurent, Bd. II u. III, ſowie Müller-Jochmus und Oſenbrüggen (De jure belli et pacis Romanorum) nachzuſehen. Ueber die Eintheilung der römiſchen Rechtsgelehrten aber in jus naturale, jus gentium und jus civile ſiehe Dirkſen im Rheiniſchen Muſeum für Jurisprudenz. Bd. I; Puchta, Gewohnheitsrecht, Bd. I, S. 24 u. fg.; Voigt, Die Lehre vom jus naturale, rectum et bonum und jus gen- tium der Römer. Leipz., 1856. ³⁾ Wenn Aegidi (in der Erlanger theolog. Zeitſchr., Bd. XXXIV, S. 143) die Weltauſchauung des Mittelalters „das Völkerrecht des heiligen römiſchen Rechtes“ nennt: ſo enthält dieſer geiſtreiche Ausdruck doch einen Widerſpruch in ſich. Völkerrecht in einem Reiche kann nicht beſtehen, wenigſtens nicht in der Wiſſenſchaft. ⁴⁾ Ueber die völkerrechtlichen Anſichten des Mittelalters ſehe man Ward, R., Enquiry into the foundation and history of the law of nations in Europe. I. II. London, 1795; Pütter, K. Th., Bei- träge zur Völkerrechtsgeſchichte. Leipz., 1847. ⁵⁾ Die erſten unvollkommenen Verſuche des neuzeitigen Völkerrechtes ſind hauptſächlich von Oldentorp (1539), Henning (1550), Winkler (1615). Am meiſten benützt hat Grotius jedoch wohl das Werk von Al- bericus Gentilis (De jure belli, 1588). — Vollſtändige Nachrichten über dieſen Theil der Literatur gibt: Kaltenborn, K. von, Die Vor- läufer des Hugo Grotius. Leipz., 1848.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/425>, abgerufen am 25.04.2024.