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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Unmöglichkeit, den Krieg weiter fortzusetzen, ist kein Grund zur spätern Nicht-
haltung des Vertrages, indem hier die volle freie Wahl zwischen den Folgen
eines weiteren unmächtigen Widerstandes und der Gewinnung des Friedens
mittelst bestimmter Opfer offen stand.
4) Ganz mit Recht wird von den Ständeversammlungen deutscher
Bundesstaaten den Regierungen bestritten, daß sie sich durch ein Bundes-
gesetz, d. h. durch einen von ihnen selbst und zwar einseitig geschlossenen
Vertrag, von der Einhaltung einer Verfassungsbestimmung befreien können.
Aber diese Beweisführung ist nur insoweit richtig, als es sich von neuen
d. h. nicht schon in den Grundgesetzen des Bundes enthaltenen Verab-
redungen handelt. Wo ein Bundesgesetz nur eine richtige Folgerung aus
den Verfassungen aller einzelnen Staaten erzeugt und dem Rechte nach vor-
angehenden Grundgesetzen ist, ist derselbe kein neuer Vertrag, sondern nur
die erlaubte und somit für alle Angehörigen eines deutschen Staates ver-
bindliche Folgerung aus einem gültigen Vertrage. Durch die Zugestehung
eines Grundsatzes gibt man allerdings nicht jeden andern beliebigen Grundsatz
auch zu, wohl aber die sämmtlich logisch richtigen Folgesätze.
5) Die Dauer der Staatsverträge ist Gegenstand vielfältigen Streites
und einer sehr zahlreichen Literatur. Es bestehen mehr als 80 eigene
Schriften über diese Frage; s. Ompteda und Kamptz, Literatur, und
Dresch, L., Ueber die Dauer der Volksverträge. Landshut, 1808. Die
Meinungen gehen durch die ganze Reihe der Möglichkeiten von der An-
nahme einer Befreiung von der eingegangenen Verpflichtung wegen einfachen
Nachtheiles bis zur starrsten Behauptung unverbrüchlicher Einhaltung des
gegebenen Wortes, auch wo augenblicklicher Untergang die Folge wäre.
§ 63.
cc. Sicherungsmaaßregeln.

Nicht blos bei vertragsmäßigen Zusicherungen, sondern
überhaupt bei allen Rechtsverhältnissen zwischen Staat und
Staat kann ein Zweifel in den aufrichtigen Willen zur Ein-
haltung des bestehenden Rechtes obwalten, sei es nun blos von
Seiten eines der Betheiligten, sei es gegenseitig. Es ist daher
ein natürlicher und ein rechtlich durchaus unanfechtbarer Gedanke,
durch besondere Vorkehrungen den schwachen Willen zu befestigen
oder die Verletzung thatsächlich schwieriger zu machen. Solche
Vorkehrungen können theils, wie bereits bemerkt, durch Neben-

Unmöglichkeit, den Krieg weiter fortzuſetzen, iſt kein Grund zur ſpätern Nicht-
haltung des Vertrages, indem hier die volle freie Wahl zwiſchen den Folgen
eines weiteren unmächtigen Widerſtandes und der Gewinnung des Friedens
mittelſt beſtimmter Opfer offen ſtand.
4) Ganz mit Recht wird von den Ständeverſammlungen deutſcher
Bundesſtaaten den Regierungen beſtritten, daß ſie ſich durch ein Bundes-
geſetz, d. h. durch einen von ihnen ſelbſt und zwar einſeitig geſchloſſenen
Vertrag, von der Einhaltung einer Verfaſſungsbeſtimmung befreien können.
Aber dieſe Beweisführung iſt nur inſoweit richtig, als es ſich von neuen
d. h. nicht ſchon in den Grundgeſetzen des Bundes enthaltenen Verab-
redungen handelt. Wo ein Bundesgeſetz nur eine richtige Folgerung aus
den Verfaſſungen aller einzelnen Staaten erzeugt und dem Rechte nach vor-
angehenden Grundgeſetzen iſt, iſt derſelbe kein neuer Vertrag, ſondern nur
die erlaubte und ſomit für alle Angehörigen eines deutſchen Staates ver-
bindliche Folgerung aus einem gültigen Vertrage. Durch die Zugeſtehung
eines Grundſatzes gibt man allerdings nicht jeden andern beliebigen Grundſatz
auch zu, wohl aber die ſämmtlich logiſch richtigen Folgeſätze.
5) Die Dauer der Staatsverträge iſt Gegenſtand vielfältigen Streites
und einer ſehr zahlreichen Literatur. Es beſtehen mehr als 80 eigene
Schriften über dieſe Frage; ſ. Ompteda und Kamptz, Literatur, und
Dreſch, L., Ueber die Dauer der Volksverträge. Landshut, 1808. Die
Meinungen gehen durch die ganze Reihe der Möglichkeiten von der An-
nahme einer Befreiung von der eingegangenen Verpflichtung wegen einfachen
Nachtheiles bis zur ſtarrſten Behauptung unverbrüchlicher Einhaltung des
gegebenen Wortes, auch wo augenblicklicher Untergang die Folge wäre.
§ 63.
cc. Sicherungsmaaßregeln.

Nicht blos bei vertragsmäßigen Zuſicherungen, ſondern
überhaupt bei allen Rechtsverhältniſſen zwiſchen Staat und
Staat kann ein Zweifel in den aufrichtigen Willen zur Ein-
haltung des beſtehenden Rechtes obwalten, ſei es nun blos von
Seiten eines der Betheiligten, ſei es gegenſeitig. Es iſt daher
ein natürlicher und ein rechtlich durchaus unanfechtbarer Gedanke,
durch beſondere Vorkehrungen den ſchwachen Willen zu befeſtigen
oder die Verletzung thatſächlich ſchwieriger zu machen. Solche
Vorkehrungen können theils, wie bereits bemerkt, durch Neben-

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[443/0457] ³⁾ Unmöglichkeit, den Krieg weiter fortzuſetzen, iſt kein Grund zur ſpätern Nicht- haltung des Vertrages, indem hier die volle freie Wahl zwiſchen den Folgen eines weiteren unmächtigen Widerſtandes und der Gewinnung des Friedens mittelſt beſtimmter Opfer offen ſtand. ⁴⁾ Ganz mit Recht wird von den Ständeverſammlungen deutſcher Bundesſtaaten den Regierungen beſtritten, daß ſie ſich durch ein Bundes- geſetz, d. h. durch einen von ihnen ſelbſt und zwar einſeitig geſchloſſenen Vertrag, von der Einhaltung einer Verfaſſungsbeſtimmung befreien können. Aber dieſe Beweisführung iſt nur inſoweit richtig, als es ſich von neuen d. h. nicht ſchon in den Grundgeſetzen des Bundes enthaltenen Verab- redungen handelt. Wo ein Bundesgeſetz nur eine richtige Folgerung aus den Verfaſſungen aller einzelnen Staaten erzeugt und dem Rechte nach vor- angehenden Grundgeſetzen iſt, iſt derſelbe kein neuer Vertrag, ſondern nur die erlaubte und ſomit für alle Angehörigen eines deutſchen Staates ver- bindliche Folgerung aus einem gültigen Vertrage. Durch die Zugeſtehung eines Grundſatzes gibt man allerdings nicht jeden andern beliebigen Grundſatz auch zu, wohl aber die ſämmtlich logiſch richtigen Folgeſätze. ⁵⁾ Die Dauer der Staatsverträge iſt Gegenſtand vielfältigen Streites und einer ſehr zahlreichen Literatur. Es beſtehen mehr als 80 eigene Schriften über dieſe Frage; ſ. Ompteda und Kamptz, Literatur, und Dreſch, L., Ueber die Dauer der Volksverträge. Landshut, 1808. Die Meinungen gehen durch die ganze Reihe der Möglichkeiten von der An- nahme einer Befreiung von der eingegangenen Verpflichtung wegen einfachen Nachtheiles bis zur ſtarrſten Behauptung unverbrüchlicher Einhaltung des gegebenen Wortes, auch wo augenblicklicher Untergang die Folge wäre. § 63. cc. Sicherungsmaaßregeln. Nicht blos bei vertragsmäßigen Zuſicherungen, ſondern überhaupt bei allen Rechtsverhältniſſen zwiſchen Staat und Staat kann ein Zweifel in den aufrichtigen Willen zur Ein- haltung des beſtehenden Rechtes obwalten, ſei es nun blos von Seiten eines der Betheiligten, ſei es gegenſeitig. Es iſt daher ein natürlicher und ein rechtlich durchaus unanfechtbarer Gedanke, durch beſondere Vorkehrungen den ſchwachen Willen zu befeſtigen oder die Verletzung thatſächlich ſchwieriger zu machen. Solche Vorkehrungen können theils, wie bereits bemerkt, durch Neben-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/457>, abgerufen am 23.04.2024.