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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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sein sollte. Zwar steht es auch nach positivem europäischen
Völkerrechte jedem unabhängigen und nicht etwa durch besondere
Kriegsbündnisse verpflichteten Staate zu, bei einem Kriege zwischen
Dritten neutral zu bleiben; allein eine rechtliche Verpflichtung, sich
der Theilnahme an fremden Händeln zu enthalten, besteht grund-
sätzlich nicht. Hierüber entscheidet lediglich der Vortheil und die
Klugheit des einzelnen Staates. Wer Theilnahme an einem
ihm dem ursprünglichen Gegenstande des Streites nach fremden,
Kriege für angemessen findet, hat natürlich die thatsächlichen Folgen
zu tragen; aber eine vom europäischen Völkerrechte verbotene
Handlung begeht er durch seine Einmischung nicht. -- Eine
bemerkenswerthe Ausnahme hiervon ist, daß einzelne Staaten
unbedingt und zu einer beständigen Neutralität durch allge-
meine europäische Bestimmungen verpflichtet sind; so namentlich
die Schweiz und Belgien, früher Krakau. Auch ist es eigen-
thümlich, daß einzelne Provinzen der kriegführenden Macht,
natürlich in Folge besonderer Verabredung zwischen den Krieg-
führenden, neutral bleiben können; wie z. B. im Kriege
von 1733 die österreichischen Niederlande für neutral erklärt
waren.

Was nun aber die einzelnen Rechte und die Pflich-
ten
der Neutralen betrifft, so bestehen allerdings im Allge-
meinen keine Bestimmungen, welche sich nicht schon aus der
Natur der Sache ergäben. Es wird auch nach positivem Rechte
verlangt, daß ein neutraler Staat keinem der beiden Krieg-
führenden irgendwelchen Vorschub bei seinen kriegerischen Unter-
nehmungen leiste, dagegen ihm denn auch die Fortdauer jeder
freundlichen Beziehung nach beiden Seiten hin gestattet 1).
Unter keinen Umständen darf ein neutraler Staat in seinem
Gebiete, oder mit Benützung desselben, kriegerische Maßregeln
von der einen oder von der anderen Seite zugeben; und es ist
eine gegen seinen Willen vorgenommene Handlung letzterer Art

ſein ſollte. Zwar ſteht es auch nach poſitivem europäiſchen
Völkerrechte jedem unabhängigen und nicht etwa durch beſondere
Kriegsbündniſſe verpflichteten Staate zu, bei einem Kriege zwiſchen
Dritten neutral zu bleiben; allein eine rechtliche Verpflichtung, ſich
der Theilnahme an fremden Händeln zu enthalten, beſteht grund-
ſätzlich nicht. Hierüber entſcheidet lediglich der Vortheil und die
Klugheit des einzelnen Staates. Wer Theilnahme an einem
ihm dem urſprünglichen Gegenſtande des Streites nach fremden,
Kriege für angemeſſen findet, hat natürlich die thatſächlichen Folgen
zu tragen; aber eine vom europäiſchen Völkerrechte verbotene
Handlung begeht er durch ſeine Einmiſchung nicht. — Eine
bemerkenswerthe Ausnahme hiervon iſt, daß einzelne Staaten
unbedingt und zu einer beſtändigen Neutralität durch allge-
meine europäiſche Beſtimmungen verpflichtet ſind; ſo namentlich
die Schweiz und Belgien, früher Krakau. Auch iſt es eigen-
thümlich, daß einzelne Provinzen der kriegführenden Macht,
natürlich in Folge beſonderer Verabredung zwiſchen den Krieg-
führenden, neutral bleiben können; wie z. B. im Kriege
von 1733 die öſterreichiſchen Niederlande für neutral erklärt
waren.

Was nun aber die einzelnen Rechte und die Pflich-
ten
der Neutralen betrifft, ſo beſtehen allerdings im Allge-
meinen keine Beſtimmungen, welche ſich nicht ſchon aus der
Natur der Sache ergäben. Es wird auch nach poſitivem Rechte
verlangt, daß ein neutraler Staat keinem der beiden Krieg-
führenden irgendwelchen Vorſchub bei ſeinen kriegeriſchen Unter-
nehmungen leiſte, dagegen ihm denn auch die Fortdauer jeder
freundlichen Beziehung nach beiden Seiten hin geſtattet 1).
Unter keinen Umſtänden darf ein neutraler Staat in ſeinem
Gebiete, oder mit Benützung deſſelben, kriegeriſche Maßregeln
von der einen oder von der anderen Seite zugeben; und es iſt
eine gegen ſeinen Willen vorgenommene Handlung letzterer Art

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[493/0507] ſein ſollte. Zwar ſteht es auch nach poſitivem europäiſchen Völkerrechte jedem unabhängigen und nicht etwa durch beſondere Kriegsbündniſſe verpflichteten Staate zu, bei einem Kriege zwiſchen Dritten neutral zu bleiben; allein eine rechtliche Verpflichtung, ſich der Theilnahme an fremden Händeln zu enthalten, beſteht grund- ſätzlich nicht. Hierüber entſcheidet lediglich der Vortheil und die Klugheit des einzelnen Staates. Wer Theilnahme an einem ihm dem urſprünglichen Gegenſtande des Streites nach fremden, Kriege für angemeſſen findet, hat natürlich die thatſächlichen Folgen zu tragen; aber eine vom europäiſchen Völkerrechte verbotene Handlung begeht er durch ſeine Einmiſchung nicht. — Eine bemerkenswerthe Ausnahme hiervon iſt, daß einzelne Staaten unbedingt und zu einer beſtändigen Neutralität durch allge- meine europäiſche Beſtimmungen verpflichtet ſind; ſo namentlich die Schweiz und Belgien, früher Krakau. Auch iſt es eigen- thümlich, daß einzelne Provinzen der kriegführenden Macht, natürlich in Folge beſonderer Verabredung zwiſchen den Krieg- führenden, neutral bleiben können; wie z. B. im Kriege von 1733 die öſterreichiſchen Niederlande für neutral erklärt waren. Was nun aber die einzelnen Rechte und die Pflich- ten der Neutralen betrifft, ſo beſtehen allerdings im Allge- meinen keine Beſtimmungen, welche ſich nicht ſchon aus der Natur der Sache ergäben. Es wird auch nach poſitivem Rechte verlangt, daß ein neutraler Staat keinem der beiden Krieg- führenden irgendwelchen Vorſchub bei ſeinen kriegeriſchen Unter- nehmungen leiſte, dagegen ihm denn auch die Fortdauer jeder freundlichen Beziehung nach beiden Seiten hin geſtattet 1). Unter keinen Umſtänden darf ein neutraler Staat in ſeinem Gebiete, oder mit Benützung deſſelben, kriegeriſche Maßregeln von der einen oder von der anderen Seite zugeben; und es iſt eine gegen ſeinen Willen vorgenommene Handlung letzterer Art

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/507>, abgerufen am 24.04.2024.