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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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II. Fragmentisten.

Sehr groß ist die Anzahl der Bücher, welche zwar
auf alle Theile der Staatskunst eingehen, sich aber keine
systematische Ordnung und regelrechte Ausführung der ein-
zelnen Gegenstände vorsetzen, sondern nur beliebige Punkte
hervorheben und diese nach den Gedanken und Lebenserfah-
rungen der Verfasser besprechen. Namentlich sind es Staats-
männer, welche in der Zurückgezogenheit von Geschäften oder
zur Erholung von denselben solche Bruchstücke niederzuschrei-
ben und dadurch richtiges Handeln, jedenfalls Nachsinnen,
zu erwecken suchen. Natürlich sind Schriften dieser Art nicht
zum systematischen Unterrichte und überhaupt nicht für An-
fänger bestimmt, wohl aber höchst belehrend für den Mann
vom Fache, sei er nun Gelehrter oder zum Handeln berufen.
Es ist hier nur möglich einzelne Beispiele hervorzuheben. --
In erster Linie, sowohl nach Zeit als nach Bedeutung, stehen
hier immer die unsterblichen Werke Niccolo Macchiavelli's,
und zwar namentlich sein "Buch von Fürsten" und seine "Be-
merkungen über die 10 ersten Bücher von J. Livius." Im
ersteren sucht er, selbst vor dem abscheulichsten Verbrechen nicht
zurücktretend, alle Mittel auf, welche ihm dienlich dazu scheinen,
eine gewaltige Regierungsmacht in die Hände eines Einzelnen
zu legen, um sodann dieselbe zu großen vaterländischen Zwecken
verwenden zu können. Im anderen Werke lehrt M. die Politik
eines freien Volkes und eines freien Staates. In beiden zeigt
sich der scharfsinnigste Verstand, und die feinste Beobachtungs-
gabe, welche je in tiefverderbter Zeit und in einem unglücklichen
Lande einem persönlich nicht fleckenlosen Menschen verliehen
worden sind. -- Vielleicht sittlich nicht besser, jedenfalls nicht
größer, aber gebildeter, Gewaltthaten abgeneigt und in der
Atmosphäre neuzeitlicher und germanischer Anschauungen lebend
war der Schotte J. Hume, welcher, neben seinem großen

II. Fragmentiſten.

Sehr groß iſt die Anzahl der Bücher, welche zwar
auf alle Theile der Staatskunſt eingehen, ſich aber keine
ſyſtematiſche Ordnung und regelrechte Ausführung der ein-
zelnen Gegenſtände vorſetzen, ſondern nur beliebige Punkte
hervorheben und dieſe nach den Gedanken und Lebenserfah-
rungen der Verfaſſer beſprechen. Namentlich ſind es Staats-
männer, welche in der Zurückgezogenheit von Geſchäften oder
zur Erholung von denſelben ſolche Bruchſtücke niederzuſchrei-
ben und dadurch richtiges Handeln, jedenfalls Nachſinnen,
zu erwecken ſuchen. Natürlich ſind Schriften dieſer Art nicht
zum ſyſtematiſchen Unterrichte und überhaupt nicht für An-
fänger beſtimmt, wohl aber höchſt belehrend für den Mann
vom Fache, ſei er nun Gelehrter oder zum Handeln berufen.
Es iſt hier nur möglich einzelne Beiſpiele hervorzuheben. —
In erſter Linie, ſowohl nach Zeit als nach Bedeutung, ſtehen
hier immer die unſterblichen Werke Niccolo Macchiavelli’s,
und zwar namentlich ſein „Buch von Fürſten“ und ſeine „Be-
merkungen über die 10 erſten Bücher von J. Livius.“ Im
erſteren ſucht er, ſelbſt vor dem abſcheulichſten Verbrechen nicht
zurücktretend, alle Mittel auf, welche ihm dienlich dazu ſcheinen,
eine gewaltige Regierungsmacht in die Hände eines Einzelnen
zu legen, um ſodann dieſelbe zu großen vaterländiſchen Zwecken
verwenden zu können. Im anderen Werke lehrt M. die Politik
eines freien Volkes und eines freien Staates. In beiden zeigt
ſich der ſcharfſinnigſte Verſtand, und die feinſte Beobachtungs-
gabe, welche je in tiefverderbter Zeit und in einem unglücklichen
Lande einem perſönlich nicht fleckenloſen Menſchen verliehen
worden ſind. — Vielleicht ſittlich nicht beſſer, jedenfalls nicht
größer, aber gebildeter, Gewaltthaten abgeneigt und in der
Atmoſphäre neuzeitlicher und germaniſcher Anſchauungen lebend
war der Schotte J. Hume, welcher, neben ſeinem großen

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[559/0573] II. Fragmentiſten. Sehr groß iſt die Anzahl der Bücher, welche zwar auf alle Theile der Staatskunſt eingehen, ſich aber keine ſyſtematiſche Ordnung und regelrechte Ausführung der ein- zelnen Gegenſtände vorſetzen, ſondern nur beliebige Punkte hervorheben und dieſe nach den Gedanken und Lebenserfah- rungen der Verfaſſer beſprechen. Namentlich ſind es Staats- männer, welche in der Zurückgezogenheit von Geſchäften oder zur Erholung von denſelben ſolche Bruchſtücke niederzuſchrei- ben und dadurch richtiges Handeln, jedenfalls Nachſinnen, zu erwecken ſuchen. Natürlich ſind Schriften dieſer Art nicht zum ſyſtematiſchen Unterrichte und überhaupt nicht für An- fänger beſtimmt, wohl aber höchſt belehrend für den Mann vom Fache, ſei er nun Gelehrter oder zum Handeln berufen. Es iſt hier nur möglich einzelne Beiſpiele hervorzuheben. — In erſter Linie, ſowohl nach Zeit als nach Bedeutung, ſtehen hier immer die unſterblichen Werke Niccolo Macchiavelli’s, und zwar namentlich ſein „Buch von Fürſten“ und ſeine „Be- merkungen über die 10 erſten Bücher von J. Livius.“ Im erſteren ſucht er, ſelbſt vor dem abſcheulichſten Verbrechen nicht zurücktretend, alle Mittel auf, welche ihm dienlich dazu ſcheinen, eine gewaltige Regierungsmacht in die Hände eines Einzelnen zu legen, um ſodann dieſelbe zu großen vaterländiſchen Zwecken verwenden zu können. Im anderen Werke lehrt M. die Politik eines freien Volkes und eines freien Staates. In beiden zeigt ſich der ſcharfſinnigſte Verſtand, und die feinſte Beobachtungs- gabe, welche je in tiefverderbter Zeit und in einem unglücklichen Lande einem perſönlich nicht fleckenloſen Menſchen verliehen worden ſind. — Vielleicht ſittlich nicht beſſer, jedenfalls nicht größer, aber gebildeter, Gewaltthaten abgeneigt und in der Atmoſphäre neuzeitlicher und germaniſcher Anſchauungen lebend war der Schotte J. Hume, welcher, neben ſeinem großen

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/573>, abgerufen am 28.03.2024.