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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Hieraus erhellt, daß die Beantwortung der beiden Fragen:
welches rücksichtlich der Gütererzeugung und -Vertheilung der
richtig organisirte Grundgedanke sei? und welche Größe des
Nationalvermögens als staatlich wünschenswerth erscheine? eine
Vorbedingung für jede Politik ist.

I. Nach Erfahrung und Geschichte gibt es zwei wesentlich
verschiedene Gütersysteme: das System der Bevorrechtung,
d. h. Uebertragung der Güterquellen an ausschließlich Berech-
tigte; und das System des gemeinen Rechtes, d. h. Aner-
kennung der Persönlichkeit jedes Menschen im Verhältnisse zur
Güterwelt. Beide Systeme sind verschiedener Auffassung
fähig 1).

1. Das System der Bevorrechtung zerfällt in drei
Modifikationen:

a. Uebertragung des Grundes und Bodens an einen
hierzu ausschließlich berechtigten Stand
; folg-
lich Besitzlosigkeit der Mehrzahl und Nöthigung derselben
entweder zu Gewerben oder zu landwirthschaftlicher Arbeit
auf fremdem Eigenthum. -- Hierbei ist wieder insoferne
Verschiedenheit, als in solchen Fällen zuweilen die Gewerbe
ebenfalls Monopol bevorzugter Klassen sein können, oder
aber sie freigegeben sein mögen 2).
b. Eintheilung des gesammten Volkes in erbliche Kasten,
deren Rechte und Pflichten zu bestimmten Beschäftigungen
unveränderlich und ausschließlich sind und auf jedes Mit-
glied derselben übergehen 3).
c. Ausschließliches Recht des Staates auf alle Güter-
quellen
. Hier sind somit einerseits alle Kapitale,
Vorräthe, Grundstücke u. s. w. öffentliches Eigenthum,
andererseits nimmt der Staat auch alle neuen Erzeugnisse
zunächst für sich in Anspruch und in seinen Gewahrsam;
die Einzelnen aber erhalten einen bestimmten Auftrag zur

Hieraus erhellt, daß die Beantwortung der beiden Fragen:
welches rückſichtlich der Gütererzeugung und -Vertheilung der
richtig organiſirte Grundgedanke ſei? und welche Größe des
Nationalvermögens als ſtaatlich wünſchenswerth erſcheine? eine
Vorbedingung für jede Politik iſt.

I. Nach Erfahrung und Geſchichte gibt es zwei weſentlich
verſchiedene Güterſyſteme: das Syſtem der Bevorrechtung,
d. h. Uebertragung der Güterquellen an ausſchließlich Berech-
tigte; und das Syſtem des gemeinen Rechtes, d. h. Aner-
kennung der Perſönlichkeit jedes Menſchen im Verhältniſſe zur
Güterwelt. Beide Syſteme ſind verſchiedener Auffaſſung
fähig 1).

1. Das Syſtem der Bevorrechtung zerfällt in drei
Modifikationen:

a. Uebertragung des Grundes und Bodens an einen
hierzu ausſchließlich berechtigten Stand
; folg-
lich Beſitzloſigkeit der Mehrzahl und Nöthigung derſelben
entweder zu Gewerben oder zu landwirthſchaftlicher Arbeit
auf fremdem Eigenthum. — Hierbei iſt wieder inſoferne
Verſchiedenheit, als in ſolchen Fällen zuweilen die Gewerbe
ebenfalls Monopol bevorzugter Klaſſen ſein können, oder
aber ſie freigegeben ſein mögen 2).
b. Eintheilung des geſammten Volkes in erbliche Kaſten,
deren Rechte und Pflichten zu beſtimmten Beſchäftigungen
unveränderlich und ausſchließlich ſind und auf jedes Mit-
glied derſelben übergehen 3).
c. Ausſchließliches Recht des Staates auf alle Güter-
quellen
. Hier ſind ſomit einerſeits alle Kapitale,
Vorräthe, Grundſtücke u. ſ. w. öffentliches Eigenthum,
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[584/0598] Hieraus erhellt, daß die Beantwortung der beiden Fragen: welches rückſichtlich der Gütererzeugung und -Vertheilung der richtig organiſirte Grundgedanke ſei? und welche Größe des Nationalvermögens als ſtaatlich wünſchenswerth erſcheine? eine Vorbedingung für jede Politik iſt. I. Nach Erfahrung und Geſchichte gibt es zwei weſentlich verſchiedene Güterſyſteme: das Syſtem der Bevorrechtung, d. h. Uebertragung der Güterquellen an ausſchließlich Berech- tigte; und das Syſtem des gemeinen Rechtes, d. h. Aner- kennung der Perſönlichkeit jedes Menſchen im Verhältniſſe zur Güterwelt. Beide Syſteme ſind verſchiedener Auffaſſung fähig 1). 1. Das Syſtem der Bevorrechtung zerfällt in drei Modifikationen: a. Uebertragung des Grundes und Bodens an einen hierzu ausſchließlich berechtigten Stand; folg- lich Beſitzloſigkeit der Mehrzahl und Nöthigung derſelben entweder zu Gewerben oder zu landwirthſchaftlicher Arbeit auf fremdem Eigenthum. — Hierbei iſt wieder inſoferne Verſchiedenheit, als in ſolchen Fällen zuweilen die Gewerbe ebenfalls Monopol bevorzugter Klaſſen ſein können, oder aber ſie freigegeben ſein mögen 2). b. Eintheilung des geſammten Volkes in erbliche Kaſten, deren Rechte und Pflichten zu beſtimmten Beſchäftigungen unveränderlich und ausſchließlich ſind und auf jedes Mit- glied derſelben übergehen 3). c. Ausſchließliches Recht des Staates auf alle Güter- quellen. Hier ſind ſomit einerſeits alle Kapitale, Vorräthe, Grundſtücke u. ſ. w. öffentliches Eigenthum, andererſeits nimmt der Staat auch alle neuen Erzeugniſſe zunächſt für ſich in Anſpruch und in ſeinen Gewahrſam; die Einzelnen aber erhalten einen beſtimmten Auftrag zur

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/598>, abgerufen am 25.04.2024.