Hieraus erhellt, daß die Beantwortung der beiden Fragen: welches rücksichtlich der Gütererzeugung und -Vertheilung der richtig organisirte Grundgedanke sei? und welche Größe des Nationalvermögens als staatlich wünschenswerth erscheine? eine Vorbedingung für jede Politik ist.
I. Nach Erfahrung und Geschichte gibt es zwei wesentlich verschiedene Gütersysteme: das System der Bevorrechtung, d. h. Uebertragung der Güterquellen an ausschließlich Berech- tigte; und das System des gemeinen Rechtes, d. h. Aner- kennung der Persönlichkeit jedes Menschen im Verhältnisse zur Güterwelt. Beide Systeme sind verschiedener Auffassung fähig 1).
1. Das System der Bevorrechtung zerfällt in drei Modifikationen:
a. Uebertragung des Grundes und Bodens an einen hierzu ausschließlich berechtigten Stand; folg- lich Besitzlosigkeit der Mehrzahl und Nöthigung derselben entweder zu Gewerben oder zu landwirthschaftlicher Arbeit auf fremdem Eigenthum. -- Hierbei ist wieder insoferne Verschiedenheit, als in solchen Fällen zuweilen die Gewerbe ebenfalls Monopol bevorzugter Klassen sein können, oder aber sie freigegeben sein mögen 2).
b. Eintheilung des gesammten Volkes in erbliche Kasten, deren Rechte und Pflichten zu bestimmten Beschäftigungen unveränderlich und ausschließlich sind und auf jedes Mit- glied derselben übergehen 3).
c. Ausschließliches Recht des Staates auf alle Güter- quellen. Hier sind somit einerseits alle Kapitale, Vorräthe, Grundstücke u. s. w. öffentliches Eigenthum, andererseits nimmt der Staat auch alle neuen Erzeugnisse zunächst für sich in Anspruch und in seinen Gewahrsam; die Einzelnen aber erhalten einen bestimmten Auftrag zur
Hieraus erhellt, daß die Beantwortung der beiden Fragen: welches rückſichtlich der Gütererzeugung und -Vertheilung der richtig organiſirte Grundgedanke ſei? und welche Größe des Nationalvermögens als ſtaatlich wünſchenswerth erſcheine? eine Vorbedingung für jede Politik iſt.
I. Nach Erfahrung und Geſchichte gibt es zwei weſentlich verſchiedene Güterſyſteme: das Syſtem der Bevorrechtung, d. h. Uebertragung der Güterquellen an ausſchließlich Berech- tigte; und das Syſtem des gemeinen Rechtes, d. h. Aner- kennung der Perſönlichkeit jedes Menſchen im Verhältniſſe zur Güterwelt. Beide Syſteme ſind verſchiedener Auffaſſung fähig 1).
1. Das Syſtem der Bevorrechtung zerfällt in drei Modifikationen:
a. Uebertragung des Grundes und Bodens an einen hierzu ausſchließlich berechtigten Stand; folg- lich Beſitzloſigkeit der Mehrzahl und Nöthigung derſelben entweder zu Gewerben oder zu landwirthſchaftlicher Arbeit auf fremdem Eigenthum. — Hierbei iſt wieder inſoferne Verſchiedenheit, als in ſolchen Fällen zuweilen die Gewerbe ebenfalls Monopol bevorzugter Klaſſen ſein können, oder aber ſie freigegeben ſein mögen 2).
b. Eintheilung des geſammten Volkes in erbliche Kaſten, deren Rechte und Pflichten zu beſtimmten Beſchäftigungen unveränderlich und ausſchließlich ſind und auf jedes Mit- glied derſelben übergehen 3).
c. Ausſchließliches Recht des Staates auf alle Güter- quellen. Hier ſind ſomit einerſeits alle Kapitale, Vorräthe, Grundſtücke u. ſ. w. öffentliches Eigenthum, andererſeits nimmt der Staat auch alle neuen Erzeugniſſe zunächſt für ſich in Anſpruch und in ſeinen Gewahrſam; die Einzelnen aber erhalten einen beſtimmten Auftrag zur
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0598"n="584"/><p>Hieraus erhellt, daß die Beantwortung der beiden Fragen:<lb/>
welches rückſichtlich der Gütererzeugung und -Vertheilung der<lb/>
richtig organiſirte Grundgedanke ſei? und welche Größe des<lb/>
Nationalvermögens als ſtaatlich wünſchenswerth erſcheine? eine<lb/>
Vorbedingung für jede Politik iſt.</p><lb/><p><hirendition="#aq">I.</hi> Nach Erfahrung und Geſchichte gibt es zwei weſentlich<lb/>
verſchiedene Güterſyſteme: das Syſtem der <hirendition="#g">Bevorrechtung</hi>,<lb/>
d. h. Uebertragung der Güterquellen an ausſchließlich Berech-<lb/>
tigte; und das Syſtem des <hirendition="#g">gemeinen Rechtes</hi>, d. h. Aner-<lb/>
kennung der Perſönlichkeit jedes Menſchen im Verhältniſſe zur<lb/>
Güterwelt. Beide Syſteme ſind verſchiedener Auffaſſung<lb/>
fähig <hirendition="#sup">1</hi>).</p><lb/><p>1. Das Syſtem der <hirendition="#g">Bevorrechtung</hi> zerfällt in drei<lb/>
Modifikationen:</p><lb/><list><item><hirendition="#aq">a.</hi> Uebertragung <hirendition="#g">des Grundes und Bodens an einen<lb/>
hierzu ausſchließlich berechtigten Stand</hi>; folg-<lb/>
lich Beſitzloſigkeit der Mehrzahl und Nöthigung derſelben<lb/>
entweder zu Gewerben oder zu landwirthſchaftlicher Arbeit<lb/>
auf fremdem Eigenthum. — Hierbei iſt wieder inſoferne<lb/>
Verſchiedenheit, als in ſolchen Fällen zuweilen die Gewerbe<lb/>
ebenfalls Monopol bevorzugter Klaſſen ſein können, oder<lb/>
aber ſie freigegeben ſein mögen <hirendition="#sup">2</hi>).</item><lb/><item><hirendition="#aq">b.</hi> Eintheilung des geſammten Volkes in <hirendition="#g">erbliche Kaſten</hi>,<lb/>
deren Rechte und Pflichten zu beſtimmten Beſchäftigungen<lb/>
unveränderlich und ausſchließlich ſind und auf jedes Mit-<lb/>
glied derſelben übergehen <hirendition="#sup">3</hi>).</item><lb/><item><hirendition="#aq">c.</hi> Ausſchließliches Recht des <hirendition="#g">Staates auf alle Güter-<lb/>
quellen</hi>. Hier ſind ſomit einerſeits alle Kapitale,<lb/>
Vorräthe, Grundſtücke u. ſ. w. öffentliches Eigenthum,<lb/>
andererſeits nimmt der Staat auch alle neuen Erzeugniſſe<lb/>
zunächſt für ſich in Anſpruch und in ſeinen Gewahrſam;<lb/>
die Einzelnen aber erhalten einen beſtimmten Auftrag zur<lb/></item></list></div></div></div></div></body></text></TEI>
[584/0598]
Hieraus erhellt, daß die Beantwortung der beiden Fragen:
welches rückſichtlich der Gütererzeugung und -Vertheilung der
richtig organiſirte Grundgedanke ſei? und welche Größe des
Nationalvermögens als ſtaatlich wünſchenswerth erſcheine? eine
Vorbedingung für jede Politik iſt.
I. Nach Erfahrung und Geſchichte gibt es zwei weſentlich
verſchiedene Güterſyſteme: das Syſtem der Bevorrechtung,
d. h. Uebertragung der Güterquellen an ausſchließlich Berech-
tigte; und das Syſtem des gemeinen Rechtes, d. h. Aner-
kennung der Perſönlichkeit jedes Menſchen im Verhältniſſe zur
Güterwelt. Beide Syſteme ſind verſchiedener Auffaſſung
fähig 1).
1. Das Syſtem der Bevorrechtung zerfällt in drei
Modifikationen:
a. Uebertragung des Grundes und Bodens an einen
hierzu ausſchließlich berechtigten Stand; folg-
lich Beſitzloſigkeit der Mehrzahl und Nöthigung derſelben
entweder zu Gewerben oder zu landwirthſchaftlicher Arbeit
auf fremdem Eigenthum. — Hierbei iſt wieder inſoferne
Verſchiedenheit, als in ſolchen Fällen zuweilen die Gewerbe
ebenfalls Monopol bevorzugter Klaſſen ſein können, oder
aber ſie freigegeben ſein mögen 2).
b. Eintheilung des geſammten Volkes in erbliche Kaſten,
deren Rechte und Pflichten zu beſtimmten Beſchäftigungen
unveränderlich und ausſchließlich ſind und auf jedes Mit-
glied derſelben übergehen 3).
c. Ausſchließliches Recht des Staates auf alle Güter-
quellen. Hier ſind ſomit einerſeits alle Kapitale,
Vorräthe, Grundſtücke u. ſ. w. öffentliches Eigenthum,
andererſeits nimmt der Staat auch alle neuen Erzeugniſſe
zunächſt für ſich in Anſpruch und in ſeinen Gewahrſam;
die Einzelnen aber erhalten einen beſtimmten Auftrag zur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/598>, abgerufen am 25.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.