Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
sind unter anderen: der von der Bundesgesetzgebung in Deutschland den
Standesherren gegenüber von den Landesgesetzgebungen eingeräumte Schutz;
die Eingriffe der europäischen Gesandtschaften und Consulate in der Türkei
zu Gunsten ihrer Landsleute, oder Solcher, welche sie in ihren Schutz
aufnehmen; die allmäligen Aufreibungen der einheimischen Regierungen in
Ostindien durch die Einmischung der Engländer zu Gunsten von Unter-
thanen derselben. -- In wie ferne Bekämpfung von Barbarei einen solchen
Zustand sittlich rechtfertigt oder wenigstens entschuldigt, und überhaupt
welcher Nutzen der eingreifenden fremden Macht zugeht, ist eine andere
Frage. Hier ist zunächst nur von der politischen Wirkung für den beein-
trächtigten Staat die Rede.
d. Das Staatsoberhaupt.
§ 94.
a. Die Person und die Bestellungsart.

Die Leitung der Staatsgewalt sowie die Uebertragung
derselben an eine bestimmte Person kann, sowohl was die Zahl
der Berechtigten als was die Art der Bezeichnung betrifft, auf
sehr verschiedene Weise geschehen. Es ist nämlich an sich mög-
lich, daß ein Einzelner im Besitze der Staatsgewalt sei; oder
aber kann es eine, größere oder kleinere, Mehrzahl von Per-
sonen sein; und es ist denkbar, daß die Erwerbung einer
solchen Stellung geschehe nach Erbgang, durch Ernennung
von dazu Berechtigten, oder als gesetzliche Folge bestimmter
Eigenschaften. Die Bestimmungen in diesen Beziehungen sind
von großer Bedeutung, indem jede Modalität ihre eigenthüm-
lichen Vortheile und Nachtheile hat, und es ist eine der wich-
tigsten Aufgaben der wissenschaftlichen Staatskunst, genaue
Begriffe über die naturgemäßen Eigenschaften jeder Einrichtung
zu geben.

Damit ist denn freilich nicht gesagt, daß je nach dem
Ergebnisse dieser Prüfung eine freie Wahl unter sämmtlichen
an sich möglichen Bestimmungen stattfinde. Die Personalfrage
ist in der Regel, und zwar nach Zahl und Uebertragungsweise,

ſind unter anderen: der von der Bundesgeſetzgebung in Deutſchland den
Standesherren gegenüber von den Landesgeſetzgebungen eingeräumte Schutz;
die Eingriffe der europäiſchen Geſandtſchaften und Conſulate in der Türkei
zu Gunſten ihrer Landsleute, oder Solcher, welche ſie in ihren Schutz
aufnehmen; die allmäligen Aufreibungen der einheimiſchen Regierungen in
Oſtindien durch die Einmiſchung der Engländer zu Gunſten von Unter-
thanen derſelben. — In wie ferne Bekämpfung von Barbarei einen ſolchen
Zuſtand ſittlich rechtfertigt oder wenigſtens entſchuldigt, und überhaupt
welcher Nutzen der eingreifenden fremden Macht zugeht, iſt eine andere
Frage. Hier iſt zunächſt nur von der politiſchen Wirkung für den beein-
trächtigten Staat die Rede.
d. Das Staatsoberhaupt.
§ 94.
α. Die Perſon und die Beſtellungsart.

Die Leitung der Staatsgewalt ſowie die Uebertragung
derſelben an eine beſtimmte Perſon kann, ſowohl was die Zahl
der Berechtigten als was die Art der Bezeichnung betrifft, auf
ſehr verſchiedene Weiſe geſchehen. Es iſt nämlich an ſich mög-
lich, daß ein Einzelner im Beſitze der Staatsgewalt ſei; oder
aber kann es eine, größere oder kleinere, Mehrzahl von Per-
ſonen ſein; und es iſt denkbar, daß die Erwerbung einer
ſolchen Stellung geſchehe nach Erbgang, durch Ernennung
von dazu Berechtigten, oder als geſetzliche Folge beſtimmter
Eigenſchaften. Die Beſtimmungen in dieſen Beziehungen ſind
von großer Bedeutung, indem jede Modalität ihre eigenthüm-
lichen Vortheile und Nachtheile hat, und es iſt eine der wich-
tigſten Aufgaben der wiſſenſchaftlichen Staatskunſt, genaue
Begriffe über die naturgemäßen Eigenſchaften jeder Einrichtung
zu geben.

Damit iſt denn freilich nicht geſagt, daß je nach dem
Ergebniſſe dieſer Prüfung eine freie Wahl unter ſämmtlichen
an ſich möglichen Beſtimmungen ſtattfinde. Die Perſonalfrage
iſt in der Regel, und zwar nach Zahl und Uebertragungsweiſe,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <note place="end" n="9)"><pb facs="#f0627" n="613"/>
&#x017F;ind unter anderen: der von der <choice><sic>Bundesge&#x017F;etzgebnng</sic><corr>Bundesge&#x017F;etzgebung</corr></choice> in Deut&#x017F;chland den<lb/>
Standesherren gegenüber von den Landesge&#x017F;etzgebungen eingeräumte Schutz;<lb/>
die Eingriffe der europäi&#x017F;chen Ge&#x017F;andt&#x017F;chaften und Con&#x017F;ulate in der Türkei<lb/>
zu Gun&#x017F;ten ihrer Landsleute, oder Solcher, welche &#x017F;ie in ihren Schutz<lb/>
aufnehmen; die allmäligen Aufreibungen der einheimi&#x017F;chen Regierungen in<lb/>
O&#x017F;tindien durch die Einmi&#x017F;chung der Engländer zu Gun&#x017F;ten von Unter-<lb/>
thanen der&#x017F;elben. &#x2014; In wie ferne Bekämpfung von Barbarei einen &#x017F;olchen<lb/>
Zu&#x017F;tand &#x017F;ittlich rechtfertigt oder wenig&#x017F;tens ent&#x017F;chuldigt, und überhaupt<lb/>
welcher Nutzen der eingreifenden fremden Macht zugeht, i&#x017F;t eine andere<lb/>
Frage. Hier i&#x017F;t zunäch&#x017F;t nur von der politi&#x017F;chen Wirkung für den beein-<lb/>
trächtigten Staat die Rede.</note>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">d.</hi> Das Staatsoberhaupt.</hi> </head><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§ 94.<lb/><hi rendition="#i">&#x03B1;.</hi> <hi rendition="#g">Die Per&#x017F;on und die Be&#x017F;tellungsart</hi>.</head><lb/>
                  <p>Die Leitung der Staatsgewalt &#x017F;owie die Uebertragung<lb/>
der&#x017F;elben an eine be&#x017F;timmte Per&#x017F;on kann, &#x017F;owohl was die Zahl<lb/>
der Berechtigten als was die Art der Bezeichnung betrifft, auf<lb/>
&#x017F;ehr ver&#x017F;chiedene Wei&#x017F;e ge&#x017F;chehen. Es i&#x017F;t nämlich an &#x017F;ich mög-<lb/>
lich, daß ein Einzelner im Be&#x017F;itze der Staatsgewalt &#x017F;ei; oder<lb/>
aber kann es eine, größere oder kleinere, Mehrzahl von Per-<lb/>
&#x017F;onen &#x017F;ein; und es i&#x017F;t denkbar, daß die Erwerbung einer<lb/>
&#x017F;olchen Stellung ge&#x017F;chehe nach Erbgang, durch Ernennung<lb/>
von dazu Berechtigten, oder als ge&#x017F;etzliche Folge be&#x017F;timmter<lb/>
Eigen&#x017F;chaften. Die Be&#x017F;timmungen in die&#x017F;en Beziehungen &#x017F;ind<lb/>
von großer Bedeutung, indem jede Modalität ihre eigenthüm-<lb/>
lichen Vortheile und Nachtheile hat, und es i&#x017F;t eine der wich-<lb/>
tig&#x017F;ten Aufgaben der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Staatskun&#x017F;t, genaue<lb/>
Begriffe über die naturgemäßen Eigen&#x017F;chaften jeder Einrichtung<lb/>
zu geben.</p><lb/>
                  <p>Damit i&#x017F;t denn freilich nicht ge&#x017F;agt, daß je nach dem<lb/>
Ergebni&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;er Prüfung eine freie Wahl unter &#x017F;ämmtlichen<lb/>
an &#x017F;ich möglichen Be&#x017F;timmungen &#x017F;tattfinde. Die Per&#x017F;onalfrage<lb/>
i&#x017F;t in der Regel, und zwar nach Zahl und Uebertragungswei&#x017F;e,<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[613/0627] ⁹⁾ ſind unter anderen: der von der Bundesgeſetzgebung in Deutſchland den Standesherren gegenüber von den Landesgeſetzgebungen eingeräumte Schutz; die Eingriffe der europäiſchen Geſandtſchaften und Conſulate in der Türkei zu Gunſten ihrer Landsleute, oder Solcher, welche ſie in ihren Schutz aufnehmen; die allmäligen Aufreibungen der einheimiſchen Regierungen in Oſtindien durch die Einmiſchung der Engländer zu Gunſten von Unter- thanen derſelben. — In wie ferne Bekämpfung von Barbarei einen ſolchen Zuſtand ſittlich rechtfertigt oder wenigſtens entſchuldigt, und überhaupt welcher Nutzen der eingreifenden fremden Macht zugeht, iſt eine andere Frage. Hier iſt zunächſt nur von der politiſchen Wirkung für den beein- trächtigten Staat die Rede. d. Das Staatsoberhaupt. § 94. α. Die Perſon und die Beſtellungsart. Die Leitung der Staatsgewalt ſowie die Uebertragung derſelben an eine beſtimmte Perſon kann, ſowohl was die Zahl der Berechtigten als was die Art der Bezeichnung betrifft, auf ſehr verſchiedene Weiſe geſchehen. Es iſt nämlich an ſich mög- lich, daß ein Einzelner im Beſitze der Staatsgewalt ſei; oder aber kann es eine, größere oder kleinere, Mehrzahl von Per- ſonen ſein; und es iſt denkbar, daß die Erwerbung einer ſolchen Stellung geſchehe nach Erbgang, durch Ernennung von dazu Berechtigten, oder als geſetzliche Folge beſtimmter Eigenſchaften. Die Beſtimmungen in dieſen Beziehungen ſind von großer Bedeutung, indem jede Modalität ihre eigenthüm- lichen Vortheile und Nachtheile hat, und es iſt eine der wich- tigſten Aufgaben der wiſſenſchaftlichen Staatskunſt, genaue Begriffe über die naturgemäßen Eigenſchaften jeder Einrichtung zu geben. Damit iſt denn freilich nicht geſagt, daß je nach dem Ergebniſſe dieſer Prüfung eine freie Wahl unter ſämmtlichen an ſich möglichen Beſtimmungen ſtattfinde. Die Perſonalfrage iſt in der Regel, und zwar nach Zahl und Uebertragungsweiſe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/627
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/627>, abgerufen am 28.03.2024.