Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

neue Aufstehen hochgestellter Familien, welche auf Kosten der
Gesammtheit reich gemacht und begünstigt werden; das sich wieder-
holende Erwachen von Factionen, welche sich um die Ernennung
ihrer Günstlinge streiten. So wenig verständig es nun also
auch scheinen mag, dem bloßen Zufalle der Geburt die Regie-
rung von Ländern und Völkern zu überlassen, und für so wenig
würdig man dies auch halten mag: so nöthigen doch Erfahrung
und ruhiges Nachdenken zur Bevorzugung dieser Besetzung des
Thrones 3).

1) Hinsichtlich der Zahl der mit der Staatsgewalt Betrauten ist eine
freie Wahl nur etwa vorhanden: in der Patriarchie, wo sowohl die Re-
gierung eines Stammeshauptes, als die einer Zahl von Aeltesten, endlich
vielleicht eine allgemeine Versammlung möglich ist; in der Theokratie, wenn
das Dogma ein oberstes Collegium von Priestern gestatten sollte; endlich
in der repräsentativen Demokratie, (so weit es sich von der ausübenden
Gewalt handelt,) wo ein Einzelner und eine kleinere oder größere Ver-
sammlung denkbar ist. In Betreff der Uebertragungsweise ist in
der Theokratie, und in der Monarchie, sowohl des klassischen als des
modernen Staates, und in der Despotie eine Wahl zwischen mancherlei
Einrichtungen möglich.
2) Vergleichungen über die Eigenschaften der Einherrschaft und der
Regierung von Mehreren sind häufig angestellt worden; freilich nicht immer
mit Unbefangenheit und ohne vorgefaßte Vorliebe für eine bestimmte Regie-
rungsweise. Man sehe z. B.: Godwin, Political justice, Bd. II, S. 1
u. fg.; Lord Brougham, Political philosophy, Bd. III, S. 109 u. fg.;
Rotteck, Vernunftrecht und Staatswissenschaft, Bd. II, S. 177 u. fg.,
und Welcker's Staatslexikon, 2. Aufl., Bd. IX, Art. Monarchie.
3) Ueber Erblichkeit und Wahl in der Einherrschaft s. Zachariä,
40 Bücher, S. 111 und fg.; Stahl, Rechts- und Staatslehre, Bd. II,
S. 210 u. fg.
§ 95.
b. Die Ordnung des erblichen Fürstenthums insbesondere.

Der Uebergang der fürstlichen Gewalt nach Erbrecht ist
ohne Zweifel das richtige System; allein es bedarf doch das-
selbe noch einer Reihe von näheren Bestimmungen zur Siche-

neue Aufſtehen hochgeſtellter Familien, welche auf Koſten der
Geſammtheit reich gemacht und begünſtigt werden; das ſich wieder-
holende Erwachen von Factionen, welche ſich um die Ernennung
ihrer Günſtlinge ſtreiten. So wenig verſtändig es nun alſo
auch ſcheinen mag, dem bloßen Zufalle der Geburt die Regie-
rung von Ländern und Völkern zu überlaſſen, und für ſo wenig
würdig man dies auch halten mag: ſo nöthigen doch Erfahrung
und ruhiges Nachdenken zur Bevorzugung dieſer Beſetzung des
Thrones 3).

1) Hinſichtlich der Zahl der mit der Staatsgewalt Betrauten iſt eine
freie Wahl nur etwa vorhanden: in der Patriarchie, wo ſowohl die Re-
gierung eines Stammeshauptes, als die einer Zahl von Aelteſten, endlich
vielleicht eine allgemeine Verſammlung möglich iſt; in der Theokratie, wenn
das Dogma ein oberſtes Collegium von Prieſtern geſtatten ſollte; endlich
in der repräſentativen Demokratie, (ſo weit es ſich von der ausübenden
Gewalt handelt,) wo ein Einzelner und eine kleinere oder größere Ver-
ſammlung denkbar iſt. In Betreff der Uebertragungsweiſe iſt in
der Theokratie, und in der Monarchie, ſowohl des klaſſiſchen als des
modernen Staates, und in der Deſpotie eine Wahl zwiſchen mancherlei
Einrichtungen möglich.
2) Vergleichungen über die Eigenſchaften der Einherrſchaft und der
Regierung von Mehreren ſind häufig angeſtellt worden; freilich nicht immer
mit Unbefangenheit und ohne vorgefaßte Vorliebe für eine beſtimmte Regie-
rungsweiſe. Man ſehe z. B.: Godwin, Political justice, Bd. II, S. 1
u. fg.; Lord Brougham, Political philosophy, Bd. III, S. 109 u. fg.;
Rotteck, Vernunftrecht und Staatswiſſenſchaft, Bd. II, S. 177 u. fg.,
und Welcker’s Staatslexikon, 2. Aufl., Bd. IX, Art. Monarchie.
3) Ueber Erblichkeit und Wahl in der Einherrſchaft ſ. Zachariä,
40 Bücher, S. 111 und fg.; Stahl, Rechts- und Staatslehre, Bd. II,
S. 210 u. fg.
§ 95.
β. Die Ordnung des erblichen Fürſtenthums insbeſondere.

Der Uebergang der fürſtlichen Gewalt nach Erbrecht iſt
ohne Zweifel das richtige Syſtem; allein es bedarf doch das-
ſelbe noch einer Reihe von näheren Beſtimmungen zur Siche-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0633" n="619"/>
neue Auf&#x017F;tehen hochge&#x017F;tellter Familien, welche auf Ko&#x017F;ten der<lb/>
Ge&#x017F;ammtheit reich gemacht und begün&#x017F;tigt werden; das &#x017F;ich wieder-<lb/>
holende Erwachen von Factionen, welche &#x017F;ich um die Ernennung<lb/>
ihrer Gün&#x017F;tlinge &#x017F;treiten. So wenig ver&#x017F;tändig es nun al&#x017F;o<lb/>
auch &#x017F;cheinen mag, dem bloßen Zufalle der Geburt die Regie-<lb/>
rung von Ländern und Völkern zu überla&#x017F;&#x017F;en, und für &#x017F;o wenig<lb/>
würdig man dies auch halten mag: &#x017F;o nöthigen doch Erfahrung<lb/>
und ruhiges Nachdenken zur Bevorzugung die&#x017F;er Be&#x017F;etzung des<lb/>
Thrones <hi rendition="#sup">3</hi>).</p><lb/>
                  <note place="end" n="1)">Hin&#x017F;ichtlich der <hi rendition="#g">Zahl</hi> der mit der Staatsgewalt Betrauten i&#x017F;t eine<lb/>
freie Wahl nur etwa vorhanden: in der Patriarchie, wo &#x017F;owohl die Re-<lb/>
gierung eines Stammeshauptes, als die einer Zahl von Aelte&#x017F;ten, endlich<lb/>
vielleicht eine allgemeine Ver&#x017F;ammlung möglich i&#x017F;t; in der Theokratie, wenn<lb/>
das Dogma ein ober&#x017F;tes Collegium von Prie&#x017F;tern ge&#x017F;tatten &#x017F;ollte; endlich<lb/>
in der reprä&#x017F;entativen Demokratie, (&#x017F;o weit es &#x017F;ich von der ausübenden<lb/>
Gewalt handelt,) wo ein Einzelner und eine kleinere oder größere Ver-<lb/>
&#x017F;ammlung denkbar i&#x017F;t. In Betreff der <hi rendition="#g">Uebertragungswei&#x017F;e</hi> i&#x017F;t in<lb/>
der Theokratie, und in der Monarchie, &#x017F;owohl des kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen als des<lb/>
modernen Staates, und in der De&#x017F;potie eine Wahl zwi&#x017F;chen mancherlei<lb/>
Einrichtungen möglich.</note><lb/>
                  <note place="end" n="2)">Vergleichungen über die Eigen&#x017F;chaften der Einherr&#x017F;chaft und der<lb/>
Regierung von Mehreren &#x017F;ind häufig ange&#x017F;tellt worden; freilich nicht immer<lb/>
mit Unbefangenheit und ohne vorgefaßte Vorliebe für eine be&#x017F;timmte Regie-<lb/>
rungswei&#x017F;e. Man &#x017F;ehe z. B.: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Godwin</hi>, Political justice,</hi> Bd. <hi rendition="#aq">II,</hi> S. 1<lb/>
u. fg.; <hi rendition="#aq">Lord <hi rendition="#g">Brougham</hi>, Political philosophy,</hi> Bd. <hi rendition="#aq">III,</hi> S. 109 u. fg.;<lb/><hi rendition="#g">Rotteck</hi>, Vernunftrecht und Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, Bd. <hi rendition="#aq">II,</hi> S. 177 u. fg.,<lb/>
und <hi rendition="#g">Welcker</hi>&#x2019;s Staatslexikon, 2. Aufl., Bd. <hi rendition="#aq">IX,</hi> Art. Monarchie.</note><lb/>
                  <note place="end" n="3)">Ueber Erblichkeit und Wahl in der Einherr&#x017F;chaft &#x017F;. <hi rendition="#g">Zachariä</hi>,<lb/>
40 Bücher, S. 111 und fg.; <hi rendition="#g">Stahl</hi>, Rechts- und Staatslehre, Bd. <hi rendition="#aq">II,</hi><lb/>
S. 210 u. fg.</note>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§ 95.<lb/><hi rendition="#i">&#x03B2;</hi>. <hi rendition="#g">Die Ordnung des erblichen Für&#x017F;tenthums insbe&#x017F;ondere</hi>.</head><lb/>
                  <p>Der Uebergang der für&#x017F;tlichen Gewalt nach Erbrecht i&#x017F;t<lb/>
ohne Zweifel das richtige Sy&#x017F;tem; allein es bedarf doch das-<lb/>
&#x017F;elbe noch einer Reihe von näheren Be&#x017F;timmungen zur Siche-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[619/0633] neue Aufſtehen hochgeſtellter Familien, welche auf Koſten der Geſammtheit reich gemacht und begünſtigt werden; das ſich wieder- holende Erwachen von Factionen, welche ſich um die Ernennung ihrer Günſtlinge ſtreiten. So wenig verſtändig es nun alſo auch ſcheinen mag, dem bloßen Zufalle der Geburt die Regie- rung von Ländern und Völkern zu überlaſſen, und für ſo wenig würdig man dies auch halten mag: ſo nöthigen doch Erfahrung und ruhiges Nachdenken zur Bevorzugung dieſer Beſetzung des Thrones 3). ¹⁾ Hinſichtlich der Zahl der mit der Staatsgewalt Betrauten iſt eine freie Wahl nur etwa vorhanden: in der Patriarchie, wo ſowohl die Re- gierung eines Stammeshauptes, als die einer Zahl von Aelteſten, endlich vielleicht eine allgemeine Verſammlung möglich iſt; in der Theokratie, wenn das Dogma ein oberſtes Collegium von Prieſtern geſtatten ſollte; endlich in der repräſentativen Demokratie, (ſo weit es ſich von der ausübenden Gewalt handelt,) wo ein Einzelner und eine kleinere oder größere Ver- ſammlung denkbar iſt. In Betreff der Uebertragungsweiſe iſt in der Theokratie, und in der Monarchie, ſowohl des klaſſiſchen als des modernen Staates, und in der Deſpotie eine Wahl zwiſchen mancherlei Einrichtungen möglich. ²⁾ Vergleichungen über die Eigenſchaften der Einherrſchaft und der Regierung von Mehreren ſind häufig angeſtellt worden; freilich nicht immer mit Unbefangenheit und ohne vorgefaßte Vorliebe für eine beſtimmte Regie- rungsweiſe. Man ſehe z. B.: Godwin, Political justice, Bd. II, S. 1 u. fg.; Lord Brougham, Political philosophy, Bd. III, S. 109 u. fg.; Rotteck, Vernunftrecht und Staatswiſſenſchaft, Bd. II, S. 177 u. fg., und Welcker’s Staatslexikon, 2. Aufl., Bd. IX, Art. Monarchie. ³⁾ Ueber Erblichkeit und Wahl in der Einherrſchaft ſ. Zachariä, 40 Bücher, S. 111 und fg.; Stahl, Rechts- und Staatslehre, Bd. II, S. 210 u. fg. § 95. β. Die Ordnung des erblichen Fürſtenthums insbeſondere. Der Uebergang der fürſtlichen Gewalt nach Erbrecht iſt ohne Zweifel das richtige Syſtem; allein es bedarf doch das- ſelbe noch einer Reihe von näheren Beſtimmungen zur Siche-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/633
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/633>, abgerufen am 25.04.2024.