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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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vielmehr in mehrere unter demselben Oberhaupte stehende Staa-
ten auflösen würde, sind in diesem Falle gemeinschaftlich. So
denn namentlich die Verwaltung des Heeres, der auswärtigen
Angelegenheiten, vielleicht, jedoch nicht mit derselben Nothwen-
digkeit, die oberste Leitung der Finanzen, der Staatsrath, die
Gesetzgebungsbehörde. Diese auf die Erhaltung des Herkömm-
lichen gerichtete Organisation wird Provinzialsystem ge-
nannt, wäre aber wohl bezeichnender als die geschichtliche
unterschieden 1).

Bei dem Realsysteme erscheint das ganze Staatsgebiet
als eine zusammengehörige Einheit, welche in allen ihren
Theilen völlig gleichförmig mit denselben Behörden und denselben
sachlichen und formellen Verwaltungseinrichtungen versehen ist.
Zu dem Ende werden die Geschäfte vor Allem in einige große
Massen geschieden, je nach ihrer inneren Verwandtschaft, also
nach den Hauptthätigkeiten des Staates; und zwar bildet die
logisch richtigste Eintheilung fünf Massen, nämlich zwei für
die Aufgaben im Innern: Rechtspflege und Polizei; zwei für
die Besorgung der auswärtigen Verhältnisse: die Diplomatie
und das Heerwesen; endlich noch die Herbeischaffung der sach-
lichen Mittel für alle Zwecke des Staates, die Finanzen. In
sehr ausgedehnten Staaten, oder wo eine bestimmte Thätigkeit
aus örtlichen oder zeitlichen Gründen vorzugsweise zu berück-
sichtigen ist, mögen aber auch einzelne Theile dieser großen,
wesentlich verschiedenen Massen vom Stamme ausgeschieden
und zu einer den übrigen coordinirten Hauptabtheilung er-
hoben werden. So z. B. die Marine neben dem Landheere;
die öffentlichen Bauten, die Förderung des Handels und der
Industrie neben dem Polizeiministerium; eine eigene Verwaltung
der Domänen ausgeschieden aus dem Staatshaushalte. --
Wie viele solche Abtheilungen nun aber gebildet sein mögen,
immer steht über allen diesen einzelnen Geschäftszweigen das

vielmehr in mehrere unter demſelben Oberhaupte ſtehende Staa-
ten auflöſen würde, ſind in dieſem Falle gemeinſchaftlich. So
denn namentlich die Verwaltung des Heeres, der auswärtigen
Angelegenheiten, vielleicht, jedoch nicht mit derſelben Nothwen-
digkeit, die oberſte Leitung der Finanzen, der Staatsrath, die
Geſetzgebungsbehörde. Dieſe auf die Erhaltung des Herkömm-
lichen gerichtete Organiſation wird Provinzialſyſtem ge-
nannt, wäre aber wohl bezeichnender als die geſchichtliche
unterſchieden 1).

Bei dem Realſyſteme erſcheint das ganze Staatsgebiet
als eine zuſammengehörige Einheit, welche in allen ihren
Theilen völlig gleichförmig mit denſelben Behörden und denſelben
ſachlichen und formellen Verwaltungseinrichtungen verſehen iſt.
Zu dem Ende werden die Geſchäfte vor Allem in einige große
Maſſen geſchieden, je nach ihrer inneren Verwandtſchaft, alſo
nach den Hauptthätigkeiten des Staates; und zwar bildet die
logiſch richtigſte Eintheilung fünf Maſſen, nämlich zwei für
die Aufgaben im Innern: Rechtspflege und Polizei; zwei für
die Beſorgung der auswärtigen Verhältniſſe: die Diplomatie
und das Heerweſen; endlich noch die Herbeiſchaffung der ſach-
lichen Mittel für alle Zwecke des Staates, die Finanzen. In
ſehr ausgedehnten Staaten, oder wo eine beſtimmte Thätigkeit
aus örtlichen oder zeitlichen Gründen vorzugsweiſe zu berück-
ſichtigen iſt, mögen aber auch einzelne Theile dieſer großen,
weſentlich verſchiedenen Maſſen vom Stamme ausgeſchieden
und zu einer den übrigen coordinirten Hauptabtheilung er-
hoben werden. So z. B. die Marine neben dem Landheere;
die öffentlichen Bauten, die Förderung des Handels und der
Induſtrie neben dem Polizeiminiſterium; eine eigene Verwaltung
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[645/0659] vielmehr in mehrere unter demſelben Oberhaupte ſtehende Staa- ten auflöſen würde, ſind in dieſem Falle gemeinſchaftlich. So denn namentlich die Verwaltung des Heeres, der auswärtigen Angelegenheiten, vielleicht, jedoch nicht mit derſelben Nothwen- digkeit, die oberſte Leitung der Finanzen, der Staatsrath, die Geſetzgebungsbehörde. Dieſe auf die Erhaltung des Herkömm- lichen gerichtete Organiſation wird Provinzialſyſtem ge- nannt, wäre aber wohl bezeichnender als die geſchichtliche unterſchieden 1). Bei dem Realſyſteme erſcheint das ganze Staatsgebiet als eine zuſammengehörige Einheit, welche in allen ihren Theilen völlig gleichförmig mit denſelben Behörden und denſelben ſachlichen und formellen Verwaltungseinrichtungen verſehen iſt. Zu dem Ende werden die Geſchäfte vor Allem in einige große Maſſen geſchieden, je nach ihrer inneren Verwandtſchaft, alſo nach den Hauptthätigkeiten des Staates; und zwar bildet die logiſch richtigſte Eintheilung fünf Maſſen, nämlich zwei für die Aufgaben im Innern: Rechtspflege und Polizei; zwei für die Beſorgung der auswärtigen Verhältniſſe: die Diplomatie und das Heerweſen; endlich noch die Herbeiſchaffung der ſach- lichen Mittel für alle Zwecke des Staates, die Finanzen. In ſehr ausgedehnten Staaten, oder wo eine beſtimmte Thätigkeit aus örtlichen oder zeitlichen Gründen vorzugsweiſe zu berück- ſichtigen iſt, mögen aber auch einzelne Theile dieſer großen, weſentlich verſchiedenen Maſſen vom Stamme ausgeſchieden und zu einer den übrigen coordinirten Hauptabtheilung er- hoben werden. So z. B. die Marine neben dem Landheere; die öffentlichen Bauten, die Förderung des Handels und der Induſtrie neben dem Polizeiminiſterium; eine eigene Verwaltung der Domänen ausgeſchieden aus dem Staatshaushalte. — Wie viele ſolche Abtheilungen nun aber gebildet ſein mögen, immer ſteht über allen dieſen einzelnen Geſchäftszweigen das

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/659>, abgerufen am 25.04.2024.