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Mohr, Christian Otto: Beiträge zur Theorie der Holz- und Eisenkonstruktionen. In: Zeitschrift des Architekten- und Ingenieurvereins zu Hannover 14 (1868), Sp. 20-52, 397-400

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Mohr, Beitrag zur Theorie der Holz- und Eisen-Constructionen.

II. Bauwissenschaftliche Mittheilungen.
A. Original-Beiträge.

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Beitrag zur Theorie der Holz- und Eisen-Constructionen;
(Mit Zeichnungen auf den Blättern 397 bis 400.)


Herr Professor Culmann hat in seiner "Graphischen
Statik" die Aufgabe sich gestellt, die einer geometrischen Be-
handlung zugänglichen Aufgaben aus dem Gebiete des Inge-
nieurfachs mit Hülfe der neueren Geometrie zu lösen. Die
interessanten und für die Praxis brauchbaren Resultate, welche
jenes Werk enthält, würden -- wie wir überzeugt sind --
bereits allgemeiner Eingang gefunden haben, wenn nicht der ge-
lehrte Apparat der neueren Geometrie viele Ingenieure von dem
Studium dieses Gegenstandes abgeschreckt hätte. Wir glauben,
daß in manchen und gerade in den für die Praxis wichtigsten
Fällen die Hülfsmittel der älteren Geometrie ausgereicht haben
würden, und gedenken diese Ansicht bei späteren Gelegenheiten
durch weitere Beispiele zu begründen. In der nachfolgenden
Ausarbeitung haben wir versucht, die Theorie der elastischen
Linie auf graphischem Wege zu behandeln, eine Aufgabe, deren
Lösung bis jetzt selbst mit Anwendung der neueren Geometrie
nicht gelungen ist.

Herr Culmann bemerkt hierüber Folgendes: "Die Be-
stimmung der auf einen continuirlichen Balken einwirkenden
Auflagerdrücke durch die Biegung, deren Gesetze in der Theorie
der elastischen Linie ihren Ausdruck finden, entgeht gänzlich
der graphischen Statik; wenigstens so weit wir derselben bis
heute mächtig sind. Es wird gewöhnlich von dem Grundsatz
ausgegangen, daß die Krümmungshalbmesser des gebogenen
Balkens in jedem Querschnitt dem Moment der außerhalb
desselben wirkenden Kräfte umgekehrt proportional seien. Nun
sind aber diese Biegungen so unendlich klein und die Krüm-
mungshalbmesser so unendlich groß, daß jede Construction
derselben unmöglich ist und unmöglich sein wird, bis uns die
Geometrie einfache Verhältnisse zwischen den entsprechenden
Krümmungshalbmessern projectivischer Figuren liefert, die be-
züglich des unendlich fernen Punktes in der Verticallinie als
Projectionscentrum und bezüglich der geraden Achse des unge-
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bogenen Balkens als Spurlinie perspectivisch liegen: denn
dann könnten wir die Einbiegungen des Balkens so lange
projectivisch verzerren, bis die Krümmungshalbmesser meßbar
würden. Da wir jedoch heute noch nicht im Stande sind,
dies zu thun, so müssen wir zur Rechnung greifen."

Die hier erwähnte Schwierigkeit wird sofort beseitigt,
wenn man für die graphische Lösung der Aufgabe dieselbe
Vereinfachung sich erlaubt, welche für die analytische Behand-
lung derselben aus ähnlichen Gründen nothwendig und daher
ganz allgemein gebräuchlich ist, wenn man nämlich voraussetzt,
daß anstatt des genauen Werthes des Krümmungshalbmessers
[Formel 1] der Annäherungswerth
[Formel 2] in Rechnung gebracht werden darf. -- Zur Erklärung diene
die folgende Betrachtung:

In Fig. 1) Blatt 397 stellt A B C ein vollkommen bieg-
sames Seil dar, dessen Horizontalzug gleich H sei und dessen
Belastung von beliebigen, continuirlich aufeinander folgenden
Verticalkräften gebildet werde; die variable Größe dieser Ver-
ticalkräfte pro Längeneinheit der horizontalen Abscissenachse
möge mit k bezeichnet werden. Der Anfangspunkt der Coor-
dinaten ist in den tiefsten Punkt des Seils gelegt und aus
demselben ein Stück B D (Fig. 2 Blatt 397) herausgeschnitten,
welches von dem Anfangspunkte der Coordinaten B und von
einem beliebigen Punkte D begrenzt wird. An den Schnitt-
stellen B und D sind die beiden Seilspannungen H und S
als Außenkräfte anzubringen, um das Gleichgewicht der auf
das Seilstück B D einwirkenden Kräfte herzustellen. Bezeichnet
man die horizontale Seitenkraft der Seilspannung S mit H1
und die verticale Seitenkraft mit V, so erfordert das Gleich-
gewicht, daß

Mohr, Beitrag zur Theorie der Holz- und Eiſen-Conſtructionen.

II. Bauwiſſenſchaftliche Mittheilungen.
A. Original-Beiträge.

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Beitrag zur Theorie der Holz- und Eiſen-Conſtructionen;
(Mit Zeichnungen auf den Blättern 397 bis 400.)


Herr Profeſſor Culmann hat in ſeiner „Graphiſchen
Statik“ die Aufgabe ſich geſtellt, die einer geometriſchen Be-
handlung zugänglichen Aufgaben aus dem Gebiete des Inge-
nieurfachs mit Hülfe der neueren Geometrie zu löſen. Die
intereſſanten und für die Praxis brauchbaren Reſultate, welche
jenes Werk enthält, würden — wie wir überzeugt ſind —
bereits allgemeiner Eingang gefunden haben, wenn nicht der ge-
lehrte Apparat der neueren Geometrie viele Ingenieure von dem
Studium dieſes Gegenſtandes abgeſchreckt hätte. Wir glauben,
daß in manchen und gerade in den für die Praxis wichtigſten
Fällen die Hülfsmittel der älteren Geometrie ausgereicht haben
würden, und gedenken dieſe Anſicht bei ſpäteren Gelegenheiten
durch weitere Beiſpiele zu begründen. In der nachfolgenden
Ausarbeitung haben wir verſucht, die Theorie der elaſtiſchen
Linie auf graphiſchem Wege zu behandeln, eine Aufgabe, deren
Löſung bis jetzt ſelbſt mit Anwendung der neueren Geometrie
nicht gelungen iſt.

Herr Culmann bemerkt hierüber Folgendes: „Die Be-
ſtimmung der auf einen continuirlichen Balken einwirkenden
Auflagerdrücke durch die Biegung, deren Geſetze in der Theorie
der elaſtiſchen Linie ihren Ausdruck finden, entgeht gänzlich
der graphiſchen Statik; wenigſtens ſo weit wir derſelben bis
heute mächtig ſind. Es wird gewöhnlich von dem Grundſatz
ausgegangen, daß die Krümmungshalbmeſſer des gebogenen
Balkens in jedem Querſchnitt dem Moment der außerhalb
desſelben wirkenden Kräfte umgekehrt proportional ſeien. Nun
ſind aber dieſe Biegungen ſo unendlich klein und die Krüm-
mungshalbmeſſer ſo unendlich groß, daß jede Conſtruction
derſelben unmöglich iſt und unmöglich ſein wird, bis uns die
Geometrie einfache Verhältniſſe zwiſchen den entſprechenden
Krümmungshalbmeſſern projectiviſcher Figuren liefert, die be-
züglich des unendlich fernen Punktes in der Verticallinie als
Projectionscentrum und bezüglich der geraden Achſe des unge-
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bogenen Balkens als Spurlinie perſpectiviſch liegen: denn
dann könnten wir die Einbiegungen des Balkens ſo lange
projectiviſch verzerren, bis die Krümmungshalbmeſſer meßbar
würden. Da wir jedoch heute noch nicht im Stande ſind,
dies zu thun, ſo müſſen wir zur Rechnung greifen.“

Die hier erwähnte Schwierigkeit wird ſofort beſeitigt,
wenn man für die graphiſche Löſung der Aufgabe dieſelbe
Vereinfachung ſich erlaubt, welche für die analytiſche Behand-
lung derſelben aus ähnlichen Gründen nothwendig und daher
ganz allgemein gebräuchlich iſt, wenn man nämlich vorausſetzt,
daß anſtatt des genauen Werthes des Krümmungshalbmeſſers
[Formel 1] der Annäherungswerth
[Formel 2] in Rechnung gebracht werden darf. — Zur Erklärung diene
die folgende Betrachtung:

In Fig. 1) Blatt 397 ſtellt A B C ein vollkommen bieg-
ſames Seil dar, deſſen Horizontalzug gleich H ſei und deſſen
Belaſtung von beliebigen, continuirlich aufeinander folgenden
Verticalkräften gebildet werde; die variable Größe dieſer Ver-
ticalkräfte pro Längeneinheit der horizontalen Abſciſſenachſe
möge mit k bezeichnet werden. Der Anfangspunkt der Coor-
dinaten iſt in den tiefſten Punkt des Seils gelegt und aus
demſelben ein Stück B D (Fig. 2 Blatt 397) herausgeſchnitten,
welches von dem Anfangspunkte der Coordinaten B und von
einem beliebigen Punkte D begrenzt wird. An den Schnitt-
ſtellen B und D ſind die beiden Seilſpannungen H und S
als Außenkräfte anzubringen, um das Gleichgewicht der auf
das Seilſtück B D einwirkenden Kräfte herzuſtellen. Bezeichnet
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[[1]/0012] Mohr, Beitrag zur Theorie der Holz- und Eiſen-Conſtructionen. II. Bauwiſſenſchaftliche Mittheilungen. A. Original-Beiträge. Beitrag zur Theorie der Holz- und Eiſen-Conſtructionen; vom Profeſſor Mohr am Polytechnicum zu Stuttgart. (Mit Zeichnungen auf den Blättern 397 bis 400.) Herr Profeſſor Culmann hat in ſeiner „Graphiſchen Statik“ die Aufgabe ſich geſtellt, die einer geometriſchen Be- handlung zugänglichen Aufgaben aus dem Gebiete des Inge- nieurfachs mit Hülfe der neueren Geometrie zu löſen. Die intereſſanten und für die Praxis brauchbaren Reſultate, welche jenes Werk enthält, würden — wie wir überzeugt ſind — bereits allgemeiner Eingang gefunden haben, wenn nicht der ge- lehrte Apparat der neueren Geometrie viele Ingenieure von dem Studium dieſes Gegenſtandes abgeſchreckt hätte. Wir glauben, daß in manchen und gerade in den für die Praxis wichtigſten Fällen die Hülfsmittel der älteren Geometrie ausgereicht haben würden, und gedenken dieſe Anſicht bei ſpäteren Gelegenheiten durch weitere Beiſpiele zu begründen. In der nachfolgenden Ausarbeitung haben wir verſucht, die Theorie der elaſtiſchen Linie auf graphiſchem Wege zu behandeln, eine Aufgabe, deren Löſung bis jetzt ſelbſt mit Anwendung der neueren Geometrie nicht gelungen iſt. Herr Culmann bemerkt hierüber Folgendes: „Die Be- ſtimmung der auf einen continuirlichen Balken einwirkenden Auflagerdrücke durch die Biegung, deren Geſetze in der Theorie der elaſtiſchen Linie ihren Ausdruck finden, entgeht gänzlich der graphiſchen Statik; wenigſtens ſo weit wir derſelben bis heute mächtig ſind. Es wird gewöhnlich von dem Grundſatz ausgegangen, daß die Krümmungshalbmeſſer des gebogenen Balkens in jedem Querſchnitt dem Moment der außerhalb desſelben wirkenden Kräfte umgekehrt proportional ſeien. Nun ſind aber dieſe Biegungen ſo unendlich klein und die Krüm- mungshalbmeſſer ſo unendlich groß, daß jede Conſtruction derſelben unmöglich iſt und unmöglich ſein wird, bis uns die Geometrie einfache Verhältniſſe zwiſchen den entſprechenden Krümmungshalbmeſſern projectiviſcher Figuren liefert, die be- züglich des unendlich fernen Punktes in der Verticallinie als Projectionscentrum und bezüglich der geraden Achſe des unge- bogenen Balkens als Spurlinie perſpectiviſch liegen: denn dann könnten wir die Einbiegungen des Balkens ſo lange projectiviſch verzerren, bis die Krümmungshalbmeſſer meßbar würden. Da wir jedoch heute noch nicht im Stande ſind, dies zu thun, ſo müſſen wir zur Rechnung greifen.“ Die hier erwähnte Schwierigkeit wird ſofort beſeitigt, wenn man für die graphiſche Löſung der Aufgabe dieſelbe Vereinfachung ſich erlaubt, welche für die analytiſche Behand- lung derſelben aus ähnlichen Gründen nothwendig und daher ganz allgemein gebräuchlich iſt, wenn man nämlich vorausſetzt, daß anſtatt des genauen Werthes des Krümmungshalbmeſſers [FORMEL] der Annäherungswerth [FORMEL] in Rechnung gebracht werden darf. — Zur Erklärung diene die folgende Betrachtung: In Fig. 1) Blatt 397 ſtellt A B C ein vollkommen bieg- ſames Seil dar, deſſen Horizontalzug gleich H ſei und deſſen Belaſtung von beliebigen, continuirlich aufeinander folgenden Verticalkräften gebildet werde; die variable Größe dieſer Ver- ticalkräfte pro Längeneinheit der horizontalen Abſciſſenachſe möge mit k bezeichnet werden. Der Anfangspunkt der Coor- dinaten iſt in den tiefſten Punkt des Seils gelegt und aus demſelben ein Stück B D (Fig. 2 Blatt 397) herausgeſchnitten, welches von dem Anfangspunkte der Coordinaten B und von einem beliebigen Punkte D begrenzt wird. An den Schnitt- ſtellen B und D ſind die beiden Seilſpannungen H und S als Außenkräfte anzubringen, um das Gleichgewicht der auf das Seilſtück B D einwirkenden Kräfte herzuſtellen. Bezeichnet man die horizontale Seitenkraft der Seilſpannung S mit H1 und die verticale Seitenkraft mit V, ſo erfordert das Gleich- gewicht, daß

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Zitationshilfe: Mohr, Christian Otto: Beiträge zur Theorie der Holz- und Eisenkonstruktionen. In: Zeitschrift des Architekten- und Ingenieurvereins zu Hannover 14 (1868), Sp. 20-52, 397-400, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohr_eisenkonstruktionen_1868/12>, abgerufen am 19.03.2024.