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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KAPITEL XII.


Religion.

Es ward schon früher angedeutet, dass die römische
Götterwelt hervorgegangen ist aus der Wiederspiegelung der
römischen Gemeinde in einem höheren und geistigeren An-
schauungskreise, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das
Kleine wie das Grosse wiederholte. Zahllos und ewig wech-
selnd war die Schaar der Götter, wie der Kreis der irdischen
Dinge fluthet im ewigen Kommen und Gehen; der Staat und
der Gau, die Zunft und das Geschlecht, jeder Bürger, jeder
Ort und Gegenstand, ja jede Handlung hatte darin sein Ge-
genbild, das mit dem irdischen Begleiter kam, bestand und
verging. Wie der irdische Kreis der römischen Gemeinde
abgeschlossen war gegen die übrigen Staaten, so standen auch
die römischen Götter den fremden schroff gegenüber und die
beiden Kreise wurden in der Regel gleichmässig erweitert;
wenn aus der eroberten Stadt die Bürger übersiedelten nach
Rom, so lud man auch die Götter ein dort eine neue Stätte
sich zu bereiten, ja man unterschied wie die Altbürger und
die Insassen so die ,einheimischen' (indigetes) und die ,neu-
sässigen' (novensides) Götter. -- Wie Jedermann die ihm
eigen zukommenden oder die gerade ihn angehenden Götter
verehrte, so die Gemeinde als solche die ihrigen. Es bezog
sich demnach der älteste öffentliche Cult vor allem auf die
drei Götter, die das Volk nach den drei Curien darstellten,
und auf die Gottheit des römischen Heerdes. Jene drei sind
der römische Vater Iovis, der vornehmste unter allen als Ver-

KAPITEL XII.


Religion.

Es ward schon früher angedeutet, daſs die römische
Götterwelt hervorgegangen ist aus der Wiederspiegelung der
römischen Gemeinde in einem höheren und geistigeren An-
schauungskreise, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das
Kleine wie das Groſse wiederholte. Zahllos und ewig wech-
selnd war die Schaar der Götter, wie der Kreis der irdischen
Dinge fluthet im ewigen Kommen und Gehen; der Staat und
der Gau, die Zunft und das Geschlecht, jeder Bürger, jeder
Ort und Gegenstand, ja jede Handlung hatte darin sein Ge-
genbild, das mit dem irdischen Begleiter kam, bestand und
verging. Wie der irdische Kreis der römischen Gemeinde
abgeschlossen war gegen die übrigen Staaten, so standen auch
die römischen Götter den fremden schroff gegenüber und die
beiden Kreise wurden in der Regel gleichmäſsig erweitert;
wenn aus der eroberten Stadt die Bürger übersiedelten nach
Rom, so lud man auch die Götter ein dort eine neue Stätte
sich zu bereiten, ja man unterschied wie die Altbürger und
die Insassen so die ‚einheimischen‘ (indigetes) und die ‚neu-
sässigen‘ (novensides) Götter. — Wie Jedermann die ihm
eigen zukommenden oder die gerade ihn angehenden Götter
verehrte, so die Gemeinde als solche die ihrigen. Es bezog
sich demnach der älteste öffentliche Cult vor allem auf die
drei Götter, die das Volk nach den drei Curien darstellten,
und auf die Gottheit des römischen Heerdes. Jene drei sind
der römische Vater Iovis, der vornehmste unter allen als Ver-

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[[111]/0125] KAPITEL XII. Religion. Es ward schon früher angedeutet, daſs die römische Götterwelt hervorgegangen ist aus der Wiederspiegelung der römischen Gemeinde in einem höheren und geistigeren An- schauungskreise, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das Kleine wie das Groſse wiederholte. Zahllos und ewig wech- selnd war die Schaar der Götter, wie der Kreis der irdischen Dinge fluthet im ewigen Kommen und Gehen; der Staat und der Gau, die Zunft und das Geschlecht, jeder Bürger, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung hatte darin sein Ge- genbild, das mit dem irdischen Begleiter kam, bestand und verging. Wie der irdische Kreis der römischen Gemeinde abgeschlossen war gegen die übrigen Staaten, so standen auch die römischen Götter den fremden schroff gegenüber und die beiden Kreise wurden in der Regel gleichmäſsig erweitert; wenn aus der eroberten Stadt die Bürger übersiedelten nach Rom, so lud man auch die Götter ein dort eine neue Stätte sich zu bereiten, ja man unterschied wie die Altbürger und die Insassen so die ‚einheimischen‘ (indigetes) und die ‚neu- sässigen‘ (novensides) Götter. — Wie Jedermann die ihm eigen zukommenden oder die gerade ihn angehenden Götter verehrte, so die Gemeinde als solche die ihrigen. Es bezog sich demnach der älteste öffentliche Cult vor allem auf die drei Götter, die das Volk nach den drei Curien darstellten, und auf die Gottheit des römischen Heerdes. Jene drei sind der römische Vater Iovis, der vornehmste unter allen als Ver-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [111]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/125>, abgerufen am 29.03.2024.