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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KAPITEL II.


Der erste Krieg mit Karthago.

Seit mehr als einem Jahrhundert verheerten die Kriege
zwischen den Karthagern und den syrakusanischen Herren
die schöne sicilische Insel. Von beiden Seiten ward der Krieg
geführt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Kar-
thago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republi-
kanischen Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dyna-
sten mit der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig
gewordenen Griechenstädten; andrerseits mit Söldnerheeren,
mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlach-
ten schlugen wie die punischen Feldherren. Und wie man
auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, ward auch auf
beiden Seiten mit gleicher in der occidentalischen Geschichte
beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die schwächere
Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 hatte
Karthago sich beschränkt auf das Drittel der Insel westlich
von Herakleia Minoa und Himera und hatte ausdrücklich
die Hegemonie der Syrakusier über sämmtliche östliche Städte
anerkannt. Pyrrhos Vertreibung aus Sicilien und Italien (479)
liess Akragas und überhaupt die bei weitem grössere Hälfte
der Insel in Karthagos Händen; die Syrakusier besassen nichts
mehr als die Südostspitze der Insel (Heloros, Neeton, Akrae,
Leontion, Megara) und Tauromenion. In der zweiten grossen
Stadt an der Ostküste, in Messana hatte eine fremdländische
Soldatenschaar sich festgesetzt und behauptete die Stadt, un-
abhängig von den Syrakusiern wie von den Karthagern. Sie

KAPITEL II.


Der erste Krieg mit Karthago.

Seit mehr als einem Jahrhundert verheerten die Kriege
zwischen den Karthagern und den syrakusanischen Herren
die schöne sicilische Insel. Von beiden Seiten ward der Krieg
geführt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Kar-
thago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republi-
kanischen Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dyna-
sten mit der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig
gewordenen Griechenstädten; andrerseits mit Söldnerheeren,
mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlach-
ten schlugen wie die punischen Feldherren. Und wie man
auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, ward auch auf
beiden Seiten mit gleicher in der occidentalischen Geschichte
beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die schwächere
Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 hatte
Karthago sich beschränkt auf das Drittel der Insel westlich
von Herakleia Minoa und Himera und hatte ausdrücklich
die Hegemonie der Syrakusier über sämmtliche östliche Städte
anerkannt. Pyrrhos Vertreibung aus Sicilien und Italien (479)
lieſs Akragas und überhaupt die bei weitem gröſsere Hälfte
der Insel in Karthagos Händen; die Syrakusier besaſsen nichts
mehr als die Südostspitze der Insel (Heloros, Neeton, Akrae,
Leontion, Megara) und Tauromenion. In der zweiten grossen
Stadt an der Ostküste, in Messana hatte eine fremdländische
Soldatenschaar sich festgesetzt und behauptete die Stadt, un-
abhängig von den Syrakusiern wie von den Karthagern. Sie

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[[330]/0344] KAPITEL II. Der erste Krieg mit Karthago. Seit mehr als einem Jahrhundert verheerten die Kriege zwischen den Karthagern und den syrakusanischen Herren die schöne sicilische Insel. Von beiden Seiten ward der Krieg geführt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Kar- thago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republi- kanischen Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dyna- sten mit der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig gewordenen Griechenstädten; andrerseits mit Söldnerheeren, mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlach- ten schlugen wie die punischen Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, ward auch auf beiden Seiten mit gleicher in der occidentalischen Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die schwächere Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 hatte Karthago sich beschränkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia Minoa und Himera und hatte ausdrücklich die Hegemonie der Syrakusier über sämmtliche östliche Städte anerkannt. Pyrrhos Vertreibung aus Sicilien und Italien (479) lieſs Akragas und überhaupt die bei weitem gröſsere Hälfte der Insel in Karthagos Händen; die Syrakusier besaſsen nichts mehr als die Südostspitze der Insel (Heloros, Neeton, Akrae, Leontion, Megara) und Tauromenion. In der zweiten grossen Stadt an der Ostküste, in Messana hatte eine fremdländische Soldatenschaar sich festgesetzt und behauptete die Stadt, un- abhängig von den Syrakusiern wie von den Karthagern. Sie

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [330]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/344>, abgerufen am 29.03.2024.