Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
KAPITEL IX.


Die Etrusker.

Im schärfsten Gegensatz zu den latinischen und den sa-
bellischen Italikern wie zu den Griechen steht das Volk der
Etrusker. Schon der Körperbau unterschied die beiden Na-
tionen; statt des schlanken Ebenmasses der Griechen und
Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker nur kurze stäm-
mige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir
wissen von den Sitten und Gebräuchen dieser Nation, lässt
gleichfalls auf eine tiefe und ursprüngliche Verschiedenheit
von den griechisch-italischen Stämmen schliessen; so nament-
lich die Religion, die bei den Tuskern einen trüben phan-
tastischen Charakter trägt und im geheimnissvollen Zahlenspiel
und wüsten und grausamen Anschauungen und Gebräuchen
sich gefällt, gleich weit entfernt von dem klaren Rationalismus
der Römer und dem menschlich heiteren hellenischen Bilder-
dienst. Was hier angedeutet wird, das bestätigt das wich-
tigste Document der Nationalität, die Sprache, deren auf uns
gekommene Reste, so zahlreich sie sind und so manchen An-
halt sie für die Entzifferungsversuche darbieten, dennoch so
vollkommen isolirt stehen, dass es bis jetzt nicht einmal ge-
lungen ist den Platz des Etruskischen in der Klassificirung
der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn
die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei
Sprachperioden. In der älteren ist die Vokalisirung voll-
ständig durchgeführt und das Zusammenstossen zweier Kon-

KAPITEL IX.


Die Etrusker.

Im schärfsten Gegensatz zu den latinischen und den sa-
bellischen Italikern wie zu den Griechen steht das Volk der
Etrusker. Schon der Körperbau unterschied die beiden Na-
tionen; statt des schlanken Ebenmaſses der Griechen und
Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker nur kurze stäm-
mige Figuren mit groſsem Kopf und dicken Armen. Was wir
wissen von den Sitten und Gebräuchen dieser Nation, läſst
gleichfalls auf eine tiefe und ursprüngliche Verschiedenheit
von den griechisch-italischen Stämmen schlieſsen; so nament-
lich die Religion, die bei den Tuskern einen trüben phan-
tastischen Charakter trägt und im geheimniſsvollen Zahlenspiel
und wüsten und grausamen Anschauungen und Gebräuchen
sich gefällt, gleich weit entfernt von dem klaren Rationalismus
der Römer und dem menschlich heiteren hellenischen Bilder-
dienst. Was hier angedeutet wird, das bestätigt das wich-
tigste Document der Nationalität, die Sprache, deren auf uns
gekommene Reste, so zahlreich sie sind und so manchen An-
halt sie für die Entzifferungsversuche darbieten, dennoch so
vollkommen isolirt stehen, daſs es bis jetzt nicht einmal ge-
lungen ist den Platz des Etruskischen in der Klassificirung
der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn
die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei
Sprachperioden. In der älteren ist die Vokalisirung voll-
ständig durchgeführt und das Zusammenstoſsen zweier Kon-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0093" n="[79]"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">KAPITEL</hi> IX.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <argument>
            <p><hi rendition="#g">Die Etrusker</hi>.</p>
          </argument><lb/>
          <p>Im schärfsten Gegensatz zu den latinischen und den sa-<lb/>
bellischen Italikern wie zu den Griechen steht das Volk der<lb/>
Etrusker. Schon der Körperbau unterschied die beiden Na-<lb/>
tionen; statt des schlanken Ebenma&#x017F;ses der Griechen und<lb/>
Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker nur kurze stäm-<lb/>
mige Figuren mit gro&#x017F;sem Kopf und dicken Armen. Was wir<lb/>
wissen von den Sitten und Gebräuchen dieser Nation, lä&#x017F;st<lb/>
gleichfalls auf eine tiefe und ursprüngliche Verschiedenheit<lb/>
von den griechisch-italischen Stämmen schlie&#x017F;sen; so nament-<lb/>
lich die Religion, die bei den Tuskern einen trüben phan-<lb/>
tastischen Charakter trägt und im geheimni&#x017F;svollen Zahlenspiel<lb/>
und wüsten und grausamen Anschauungen und Gebräuchen<lb/>
sich gefällt, gleich weit entfernt von dem klaren Rationalismus<lb/>
der Römer und dem menschlich heiteren hellenischen Bilder-<lb/>
dienst. Was hier angedeutet wird, das bestätigt das wich-<lb/>
tigste Document der Nationalität, die Sprache, deren auf uns<lb/>
gekommene Reste, so zahlreich sie sind und so manchen An-<lb/>
halt sie für die Entzifferungsversuche darbieten, dennoch so<lb/>
vollkommen isolirt stehen, da&#x017F;s es bis jetzt nicht einmal ge-<lb/>
lungen ist den Platz des Etruskischen in der Klassificirung<lb/>
der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn<lb/>
die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei<lb/>
Sprachperioden. In der älteren ist die Vokalisirung voll-<lb/>
ständig durchgeführt und das Zusammensto&#x017F;sen zweier Kon-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[79]/0093] KAPITEL IX. Die Etrusker. Im schärfsten Gegensatz zu den latinischen und den sa- bellischen Italikern wie zu den Griechen steht das Volk der Etrusker. Schon der Körperbau unterschied die beiden Na- tionen; statt des schlanken Ebenmaſses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker nur kurze stäm- mige Figuren mit groſsem Kopf und dicken Armen. Was wir wissen von den Sitten und Gebräuchen dieser Nation, läſst gleichfalls auf eine tiefe und ursprüngliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen Stämmen schlieſsen; so nament- lich die Religion, die bei den Tuskern einen trüben phan- tastischen Charakter trägt und im geheimniſsvollen Zahlenspiel und wüsten und grausamen Anschauungen und Gebräuchen sich gefällt, gleich weit entfernt von dem klaren Rationalismus der Römer und dem menschlich heiteren hellenischen Bilder- dienst. Was hier angedeutet wird, das bestätigt das wich- tigste Document der Nationalität, die Sprache, deren auf uns gekommene Reste, so zahlreich sie sind und so manchen An- halt sie für die Entzifferungsversuche darbieten, dennoch so vollkommen isolirt stehen, daſs es bis jetzt nicht einmal ge- lungen ist den Platz des Etruskischen in der Klassificirung der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der älteren ist die Vokalisirung voll- ständig durchgeführt und das Zusammenstoſsen zweier Kon-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/93
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [79]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/93>, abgerufen am 23.04.2024.