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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.
Etruskern verloren gingen, gelang es ihnen in den also be-
schränkten Grenzen sich zu behaupten und, wenn die Zeiten
der Macht und des Aufstrebens auch vorüber waren, minde-
stens der Segnungen des Friedens und des Wohllebens sich
zu erfreuen. So weit unsere dürftige Kunde von den inneren
Zuständen der Nation reicht, finden wir aristokratische Ten-
denzen vorwiegend, in ähnlicher Weise wie gleichzeitig in
Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des
Königthums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in
allen Städten Etruriens durchgeführt gewesen zu sein scheint,
rief in den einzelnen Städten ein Patricierregiment hervor,
das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig
beschränkt sah. Selten nur gelang es selbst zur Landesver-
theidigung alle etruskischen Städte zu vereinigen und Volsi-
niis nominelle Hegemonie hält nicht den entferntesten Ver-
gleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms Führung
die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die aus-
schliessliche staatliche Berechtigung der Altbürger, der auch
den römischen Staat politisch und ökonomisch hätte ver-
derben müssen, wenn nicht die äusseren Erfolge es möglich
gemacht hätten die Ansprüche der Plebejer wenigstens mate-
riell auf Kosten fremder Völker zu befriedigen und dem Ehr-
geiz andere Bahnen zu öffnen -- dieser Kampf gegen die
Geschlechterherrschaft muss Etrurien staatlich, ökonomisch
und sittlich zu Grunde gerichtet haben. Ungeheure Vermögen,
namentlich an Grundbesitz, concentrirten sich in den Händen
von wenigen Adlichen, während die Massen verarmten; die
socialen Umwälzungen, die hieraus entstanden, erhöhten die
Noth, der sie abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der
Centralgewalt blieb zuletzt den bedrängten Aristokraten, zum
Beispiel in Arretium 453, in Volsinii 488 nichts übrig als
die Römer zur Hülfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung,
aber zugleich auch der Unabhängigkeit ein Ende machten.
Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii
und Melpum; es wurden wohl einige Male noch ernstliche
Versuche gemacht sich der römischen Oberherrschaft zu ent-
ziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den
Etruskern von aussen, von einem andern italischen Stamm,
den Samniten.


STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.
Etruskern verloren gingen, gelang es ihnen in den also be-
schränkten Grenzen sich zu behaupten und, wenn die Zeiten
der Macht und des Aufstrebens auch vorüber waren, minde-
stens der Segnungen des Friedens und des Wohllebens sich
zu erfreuen. So weit unsere dürftige Kunde von den inneren
Zuständen der Nation reicht, finden wir aristokratische Ten-
denzen vorwiegend, in ähnlicher Weise wie gleichzeitig in
Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des
Königthums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in
allen Städten Etruriens durchgeführt gewesen zu sein scheint,
rief in den einzelnen Städten ein Patricierregiment hervor,
das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig
beschränkt sah. Selten nur gelang es selbst zur Landesver-
theidigung alle etruskischen Städte zu vereinigen und Volsi-
niis nominelle Hegemonie hält nicht den entferntesten Ver-
gleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms Führung
die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die aus-
schlieſsliche staatliche Berechtigung der Altbürger, der auch
den römischen Staat politisch und ökonomisch hätte ver-
derben müssen, wenn nicht die äuſseren Erfolge es möglich
gemacht hätten die Ansprüche der Plebejer wenigstens mate-
riell auf Kosten fremder Völker zu befriedigen und dem Ehr-
geiz andere Bahnen zu öffnen — dieser Kampf gegen die
Geschlechterherrschaft muſs Etrurien staatlich, ökonomisch
und sittlich zu Grunde gerichtet haben. Ungeheure Vermögen,
namentlich an Grundbesitz, concentrirten sich in den Händen
von wenigen Adlichen, während die Massen verarmten; die
socialen Umwälzungen, die hieraus entstanden, erhöhten die
Noth, der sie abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der
Centralgewalt blieb zuletzt den bedrängten Aristokraten, zum
Beispiel in Arretium 453, in Volsinii 488 nichts übrig als
die Römer zur Hülfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung,
aber zugleich auch der Unabhängigkeit ein Ende machten.
Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii
und Melpum; es wurden wohl einige Male noch ernstliche
Versuche gemacht sich der römischen Oberherrschaft zu ent-
ziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den
Etruskern von auſsen, von einem andern italischen Stamm,
den Samniten.


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[219/0233] STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. Etruskern verloren gingen, gelang es ihnen in den also be- schränkten Grenzen sich zu behaupten und, wenn die Zeiten der Macht und des Aufstrebens auch vorüber waren, minde- stens der Segnungen des Friedens und des Wohllebens sich zu erfreuen. So weit unsere dürftige Kunde von den inneren Zuständen der Nation reicht, finden wir aristokratische Ten- denzen vorwiegend, in ähnlicher Weise wie gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des Königthums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen Städten Etruriens durchgeführt gewesen zu sein scheint, rief in den einzelnen Städten ein Patricierregiment hervor, das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschränkt sah. Selten nur gelang es selbst zur Landesver- theidigung alle etruskischen Städte zu vereinigen und Volsi- niis nominelle Hegemonie hält nicht den entferntesten Ver- gleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms Führung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die aus- schlieſsliche staatliche Berechtigung der Altbürger, der auch den römischen Staat politisch und ökonomisch hätte ver- derben müssen, wenn nicht die äuſseren Erfolge es möglich gemacht hätten die Ansprüche der Plebejer wenigstens mate- riell auf Kosten fremder Völker zu befriedigen und dem Ehr- geiz andere Bahnen zu öffnen — dieser Kampf gegen die Geschlechterherrschaft muſs Etrurien staatlich, ökonomisch und sittlich zu Grunde gerichtet haben. Ungeheure Vermögen, namentlich an Grundbesitz, concentrirten sich in den Händen von wenigen Adlichen, während die Massen verarmten; die socialen Umwälzungen, die hieraus entstanden, erhöhten die Noth, der sie abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der Centralgewalt blieb zuletzt den bedrängten Aristokraten, zum Beispiel in Arretium 453, in Volsinii 488 nichts übrig als die Römer zur Hülfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung, aber zugleich auch der Unabhängigkeit ein Ende machten. Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht sich der römischen Oberherrschaft zu ent- ziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den Etruskern von auſsen, von einem andern italischen Stamm, den Samniten.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/233>, abgerufen am 29.03.2024.