Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN.
sogar schon ein wein- und ölbauendes Volk waren. Zwar
liegt der Uebergang von der Hirtenwirthschaft zum Ackerbau
so nah, dass er bei allen indogermanischen Völkern eingetre-
ten ist, ohne dass ein historischer Zusammenhang zum Beispiel
des indischen und des slavischen Ackerbaus anzunehmen wäre.
Allein in Hinsicht auf die Stammväter der Griechen und der
Italiker lässt ein solcher Zusammenhang sich nicht abweisen.
Dafür zeugt die Sprache: ager agros; aro aratrum aroo
arotron; ligo
neben lakhaino; hortus khortos; hordeum
krithe; cicer kegkhros; milium meline; vinum oinos; oliva
elaia,
und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und
italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf alt-
attischen und römischen Denkmälern ganz gleichgebildet vor-
kommt, wie in der Wahl der ältesten Kornarten: Hirse, Gerste,
Spelt, und in der Bereitungsart: puls poltos, pinso ptisso,
mola mule;
denn das Backen ist jüngeren Ursprungs und
wird auch deshalb im römischen Ritual statt des Brotes stets
der Teig oder Brei gebraucht. Wie alt der Weinbau in Ita-
lien ist, beweist die Benennung der Landschaft Oinotria, die
bis zu den ältesten griechischen Anlandern hinaufzureichen
scheint. Dass auch die Germanen in unmittelbarem Zusam-
menhang mit dieser Entwicklung standen, wie die Ausdrücke
Acker, aran (pflügen, mundartlich eren), Rechen neben ligo,
Garten neben hortus zu verstehen geben, kann hier nur ange-
deutet werden. Erwähnenswerth ist es dagegen, dass die san-
skritischen Bezeichnungen für die Gegenstände des Ackerbaus
denen der westlichen Völker nicht gleichartig sind; agras ist
bei den Indern überhaupt Gebiet, Flur, aritram ist Ruder
und Schiff, venas das Anmuthige überhaupt, namentlich auch
von Getränken, -- man sieht, dass die Wurzeln schon vor
der Trennung bestanden, aber die bestimmten Beziehungen
des Bewirthschaftens, des Aufwühlens, des anmuthigen Tran-
kes erst später hinzutraten. Ob der durch das Feststellen
dieser Bezeichnungen charakterisirte Fortschritt des Stammes
stattfand, während er in den südkaukasischen Gegenden in
Armenien ansässig war, wo Gerste und Spelt, der Weinstock
und der Apfelbaum und andere älteste Culturpflanzen einhei-
misch sein sollen, sind Fragen, auf die schwerlich eine sichere
Antwort sich geben lässt. Sicher aber ist der Ackerbau für
die graecoitalische wie ja für alle anderen Nationen auch der
Keim und der Kern ihres Volks- und Privatlebens geworden
und als solcher im Volksbewusstsein geblieben, wie Religion

AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN.
sogar schon ein wein- und ölbauendes Volk waren. Zwar
liegt der Uebergang von der Hirtenwirthschaft zum Ackerbau
so nah, daſs er bei allen indogermanischen Völkern eingetre-
ten ist, ohne daſs ein historischer Zusammenhang zum Beispiel
des indischen und des slavischen Ackerbaus anzunehmen wäre.
Allein in Hinsicht auf die Stammväter der Griechen und der
Italiker läſst ein solcher Zusammenhang sich nicht abweisen.
Dafür zeugt die Sprache: ager ἀγϱός; aro aratrum ἀϱόω
ἂϱοτϱον; ligo
neben λαχαίνω; hortus χόϱτος; hordeum
ϰϱιϑή; cicer ϰέγχϱος; milium μελίνη; vinum οἶνος; oliva
ἐλαία,
und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und
italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf alt-
attischen und römischen Denkmälern ganz gleichgebildet vor-
kommt, wie in der Wahl der ältesten Kornarten: Hirse, Gerste,
Spelt, und in der Bereitungsart: puls πόλτος, pinso πτίσσω,
mola μύλη;
denn das Backen ist jüngeren Ursprungs und
wird auch deshalb im römischen Ritual statt des Brotes stets
der Teig oder Brei gebraucht. Wie alt der Weinbau in Ita-
lien ist, beweist die Benennung der Landschaft Οἰνωτϱία, die
bis zu den ältesten griechischen Anlandern hinaufzureichen
scheint. Daſs auch die Germanen in unmittelbarem Zusam-
menhang mit dieser Entwicklung standen, wie die Ausdrücke
Acker, aran (pflügen, mundartlich eren), Rechen neben ligo,
Garten neben hortus zu verstehen geben, kann hier nur ange-
deutet werden. Erwähnenswerth ist es dagegen, daſs die san-
skritischen Bezeichnungen für die Gegenstände des Ackerbaus
denen der westlichen Völker nicht gleichartig sind; agras ist
bei den Indern überhaupt Gebiet, Flur, aritram ist Ruder
und Schiff, venas das Anmuthige überhaupt, namentlich auch
von Getränken, — man sieht, daſs die Wurzeln schon vor
der Trennung bestanden, aber die bestimmten Beziehungen
des Bewirthschaftens, des Aufwühlens, des anmuthigen Tran-
kes erst später hinzutraten. Ob der durch das Feststellen
dieser Bezeichnungen charakterisirte Fortschritt des Stammes
stattfand, während er in den südkaukasischen Gegenden in
Armenien ansässig war, wo Gerste und Spelt, der Weinstock
und der Apfelbaum und andere älteste Culturpflanzen einhei-
misch sein sollen, sind Fragen, auf die schwerlich eine sichere
Antwort sich geben läſst. Sicher aber ist der Ackerbau für
die graecoitalische wie ja für alle anderen Nationen auch der
Keim und der Kern ihres Volks- und Privatlebens geworden
und als solcher im Volksbewuſstsein geblieben, wie Religion

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="15"/><fw place="top" type="header">AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN.</fw><lb/>
sogar schon ein wein- und ölbauendes Volk waren. Zwar<lb/>
liegt der Uebergang von der Hirtenwirthschaft zum Ackerbau<lb/>
so nah, da&#x017F;s er bei allen indogermanischen Völkern eingetre-<lb/>
ten ist, ohne da&#x017F;s ein historischer Zusammenhang zum Beispiel<lb/>
des indischen und des slavischen Ackerbaus anzunehmen wäre.<lb/>
Allein in Hinsicht auf die Stammväter der Griechen und der<lb/>
Italiker lä&#x017F;st ein solcher Zusammenhang sich nicht abweisen.<lb/>
Dafür zeugt die Sprache: <hi rendition="#i">ager &#x1F00;&#x03B3;&#x03F1;&#x03CC;&#x03C2;; aro aratrum &#x1F00;&#x03F1;&#x03CC;&#x03C9;<lb/>
&#x1F02;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C4;&#x03F1;&#x03BF;&#x03BD;; ligo</hi> neben <hi rendition="#i">&#x03BB;&#x03B1;&#x03C7;&#x03B1;&#x03AF;&#x03BD;&#x03C9;; hortus &#x03C7;&#x03CC;&#x03F1;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2;; hordeum<lb/>
&#x03F0;&#x03F1;&#x03B9;&#x03D1;&#x03AE;; cicer &#x03F0;&#x03AD;&#x03B3;&#x03C7;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C2;; milium &#x03BC;&#x03B5;&#x03BB;&#x03AF;&#x03BD;&#x03B7;; vinum &#x03BF;&#x1F36;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2;; oliva<lb/>
&#x1F10;&#x03BB;&#x03B1;&#x03AF;&#x03B1;,</hi> und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und<lb/>
italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf alt-<lb/>
attischen und römischen Denkmälern ganz gleichgebildet vor-<lb/>
kommt, wie in der Wahl der ältesten Kornarten: Hirse, Gerste,<lb/>
Spelt, und in der Bereitungsart: <hi rendition="#i">puls &#x03C0;&#x03CC;&#x03BB;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2;, pinso &#x03C0;&#x03C4;&#x03AF;&#x03C3;&#x03C3;&#x03C9;,<lb/>
mola &#x03BC;&#x03CD;&#x03BB;&#x03B7;;</hi> denn das Backen ist jüngeren Ursprungs und<lb/>
wird auch deshalb im römischen Ritual statt des Brotes stets<lb/>
der Teig oder Brei gebraucht. Wie alt der Weinbau in Ita-<lb/>
lien ist, beweist die Benennung der Landschaft <hi rendition="#i">&#x039F;&#x1F30;&#x03BD;&#x03C9;&#x03C4;&#x03F1;&#x03AF;&#x03B1;,</hi> die<lb/>
bis zu den ältesten griechischen Anlandern hinaufzureichen<lb/>
scheint. Da&#x017F;s auch die Germanen in unmittelbarem Zusam-<lb/>
menhang mit dieser Entwicklung standen, wie die Ausdrücke<lb/>
Acker, aran (pflügen, mundartlich eren), Rechen neben <hi rendition="#i">ligo,</hi><lb/>
Garten neben <hi rendition="#i">hortus</hi> zu verstehen geben, kann hier nur ange-<lb/>
deutet werden. Erwähnenswerth ist es dagegen, da&#x017F;s die san-<lb/>
skritischen Bezeichnungen für die Gegenstände des Ackerbaus<lb/>
denen der westlichen Völker nicht gleichartig sind; <hi rendition="#i">agras</hi> ist<lb/>
bei den Indern überhaupt Gebiet, Flur, <hi rendition="#i">aritram</hi> ist Ruder<lb/>
und Schiff, <hi rendition="#i">venas</hi> das Anmuthige überhaupt, namentlich auch<lb/>
von Getränken, &#x2014; man sieht, da&#x017F;s die Wurzeln schon vor<lb/>
der Trennung bestanden, aber die bestimmten Beziehungen<lb/>
des Bewirthschaftens, des Aufwühlens, des anmuthigen Tran-<lb/>
kes erst später hinzutraten. Ob der durch das Feststellen<lb/>
dieser Bezeichnungen charakterisirte Fortschritt des Stammes<lb/>
stattfand, während er in den südkaukasischen Gegenden in<lb/>
Armenien ansässig war, wo Gerste und Spelt, der Weinstock<lb/>
und der Apfelbaum und andere älteste Culturpflanzen einhei-<lb/>
misch sein sollen, sind Fragen, auf die schwerlich eine sichere<lb/>
Antwort sich geben lä&#x017F;st. Sicher aber ist der Ackerbau für<lb/>
die graecoitalische wie ja für alle anderen Nationen auch der<lb/>
Keim und der Kern ihres Volks- und Privatlebens geworden<lb/>
und als solcher im Volksbewu&#x017F;stsein geblieben, wie Religion<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0029] AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN. sogar schon ein wein- und ölbauendes Volk waren. Zwar liegt der Uebergang von der Hirtenwirthschaft zum Ackerbau so nah, daſs er bei allen indogermanischen Völkern eingetre- ten ist, ohne daſs ein historischer Zusammenhang zum Beispiel des indischen und des slavischen Ackerbaus anzunehmen wäre. Allein in Hinsicht auf die Stammväter der Griechen und der Italiker läſst ein solcher Zusammenhang sich nicht abweisen. Dafür zeugt die Sprache: ager ἀγϱός; aro aratrum ἀϱόω ἂϱοτϱον; ligo neben λαχαίνω; hortus χόϱτος; hordeum ϰϱιϑή; cicer ϰέγχϱος; milium μελίνη; vinum οἶνος; oliva ἐλαία, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf alt- attischen und römischen Denkmälern ganz gleichgebildet vor- kommt, wie in der Wahl der ältesten Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, und in der Bereitungsart: puls πόλτος, pinso πτίσσω, mola μύλη; denn das Backen ist jüngeren Ursprungs und wird auch deshalb im römischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder Brei gebraucht. Wie alt der Weinbau in Ita- lien ist, beweist die Benennung der Landschaft Οἰνωτϱία, die bis zu den ältesten griechischen Anlandern hinaufzureichen scheint. Daſs auch die Germanen in unmittelbarem Zusam- menhang mit dieser Entwicklung standen, wie die Ausdrücke Acker, aran (pflügen, mundartlich eren), Rechen neben ligo, Garten neben hortus zu verstehen geben, kann hier nur ange- deutet werden. Erwähnenswerth ist es dagegen, daſs die san- skritischen Bezeichnungen für die Gegenstände des Ackerbaus denen der westlichen Völker nicht gleichartig sind; agras ist bei den Indern überhaupt Gebiet, Flur, aritram ist Ruder und Schiff, venas das Anmuthige überhaupt, namentlich auch von Getränken, — man sieht, daſs die Wurzeln schon vor der Trennung bestanden, aber die bestimmten Beziehungen des Bewirthschaftens, des Aufwühlens, des anmuthigen Tran- kes erst später hinzutraten. Ob der durch das Feststellen dieser Bezeichnungen charakterisirte Fortschritt des Stammes stattfand, während er in den südkaukasischen Gegenden in Armenien ansässig war, wo Gerste und Spelt, der Weinstock und der Apfelbaum und andere älteste Culturpflanzen einhei- misch sein sollen, sind Fragen, auf die schwerlich eine sichere Antwort sich geben läſst. Sicher aber ist der Ackerbau für die graecoitalische wie ja für alle anderen Nationen auch der Keim und der Kern ihres Volks- und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewuſstsein geblieben, wie Religion

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/29
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/29>, abgerufen am 28.03.2024.