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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN.
sprungs ist, finden wir bei den Römern, Umbrern, Samniten,
aber auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleo-
ten, die sie wahrscheinlich eben so wenig von den Italikern
entlehnt haben, als diese sie von den Tarentinern, sondern
es ist altes Gemeingut. Eigenthümlich römisch und charak-
teristisch ist die eigensinnige Ausbildung des quadratischen
Princips, wonach man selbst wo Fluss und Meer eine natür-
liche Grenze machten, diese nicht gelten liess, sondern mit
dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen vertheilte Land
abschloss. -- Das griechische Haus, wie Homer es kennt, ist
im Wesentlichen dasselbe, das in Italien beständig festgehalten
ward; das wesentliche Stück und ursprünglich der ganze in-
nere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium mit
dem Ehebett, dem Hausaltar und dem Heerd, dessen Rauch
die Decke schwärzt -- daher der Name -- und durch ein
Loch in derselben abzieht; ihm gleicht durchaus das home-
rische Megaron mit Hausaltar und Heerd und schwarzberusster
Decke. Ebenso ist es im Schiffbau; navis erscheint schon im
sanskritischen ndus in gleicher Geltung, ebenso Ruder (aritram,
eretmos, remus, triresmis
); während die Bezeichnungen für
Segel (velum von vehere), Mast (malus der Baum) und Raa (an-
tenna
, das ist ana-tenda, supertensa) italischen Ursprungs sind,
also, wenn diese Spuren nicht trügen, die Graecoitaliker wohl
Ruderbarken hatten, aber keine Segelschiffe. Die uralte italische
Sitte, dass die Bauern gemeinschaftlich ihr Mittagsmahl hielten,
deren Ursprung der Mythus an die Einführung des Ackerbaus
anknüpft, vergleicht Aristoteles mit den kretischen Syssitien.
Ebenso ist die Kleidung beider Völker wesentlich identisch,
denn die Tunica entspricht völlig dem Chiton und die Toga
ist nichts als ein bauschigeres Ilimation; ja selbst in dem so
veränderlichen Waffenwesen ist wenigstens der Name der
Hauptwaffe jener Zeit, der Lanze (lancea logkhe) wahrschein-
lich bei beiden Völkern ein Erbstück der graecoitalischen Epoche.
So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte
zurück auf dieselben Elemente alles was die materiellen Grund-
lagen der menschlichen Existenz betrifft; die ältesten Aufga-
ben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von
beiden Völkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemein-
schaftlich gelöst worden.

Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Auf-
gabe des Menschen, mit sich selbst, mit seines Gleichen und
mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu leben, lässt so

Röm. Gesch. I. 2

AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN.
sprungs ist, finden wir bei den Römern, Umbrern, Samniten,
aber auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleo-
ten, die sie wahrscheinlich eben so wenig von den Italikern
entlehnt haben, als diese sie von den Tarentinern, sondern
es ist altes Gemeingut. Eigenthümlich römisch und charak-
teristisch ist die eigensinnige Ausbildung des quadratischen
Princips, wonach man selbst wo Fluſs und Meer eine natür-
liche Grenze machten, diese nicht gelten lieſs, sondern mit
dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen vertheilte Land
abschloſs. — Das griechische Haus, wie Homer es kennt, ist
im Wesentlichen dasselbe, das in Italien beständig festgehalten
ward; das wesentliche Stück und ursprünglich der ganze in-
nere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium mit
dem Ehebett, dem Hausaltar und dem Heerd, dessen Rauch
die Decke schwärzt — daher der Name — und durch ein
Loch in derselben abzieht; ihm gleicht durchaus das home-
rische Megaron mit Hausaltar und Heerd und schwarzberusster
Decke. Ebenso ist es im Schiffbau; navis erscheint schon im
sanskritischen ndus in gleicher Geltung, ebenso Ruder (aritram,
ἐϱετμός, remus, triresmis
); während die Bezeichnungen für
Segel (velum von vehere), Mast (malus der Baum) und Raa (an-
tenna
, das ist ἄνα-tenda, supertensa) italischen Ursprungs sind,
also, wenn diese Spuren nicht trügen, die Graecoitaliker wohl
Ruderbarken hatten, aber keine Segelschiffe. Die uralte italische
Sitte, daſs die Bauern gemeinschaftlich ihr Mittagsmahl hielten,
deren Ursprung der Mythus an die Einführung des Ackerbaus
anknüpft, vergleicht Aristoteles mit den kretischen Syssitien.
Ebenso ist die Kleidung beider Völker wesentlich identisch,
denn die Tunica entspricht völlig dem Chiton und die Toga
ist nichts als ein bauschigeres Ilimation; ja selbst in dem so
veränderlichen Waffenwesen ist wenigstens der Name der
Hauptwaffe jener Zeit, der Lanze (lancea λόγχη) wahrschein-
lich bei beiden Völkern ein Erbstück der graecoitalischen Epoche.
So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte
zurück auf dieselben Elemente alles was die materiellen Grund-
lagen der menschlichen Existenz betrifft; die ältesten Aufga-
ben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von
beiden Völkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemein-
schaftlich gelöst worden.

Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die groſse Auf-
gabe des Menschen, mit sich selbst, mit seines Gleichen und
mit dem Ganzen in bewuſster Harmonie zu leben, läſst so

Röm. Gesch. I. 2
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[17/0031] AELTESTE EINWANDERUNGEN IN ITALIEN. sprungs ist, finden wir bei den Römern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleo- ten, die sie wahrscheinlich eben so wenig von den Italikern entlehnt haben, als diese sie von den Tarentinern, sondern es ist altes Gemeingut. Eigenthümlich römisch und charak- teristisch ist die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Princips, wonach man selbst wo Fluſs und Meer eine natür- liche Grenze machten, diese nicht gelten lieſs, sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen vertheilte Land abschloſs. — Das griechische Haus, wie Homer es kennt, ist im Wesentlichen dasselbe, das in Italien beständig festgehalten ward; das wesentliche Stück und ursprünglich der ganze in- nere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium mit dem Ehebett, dem Hausaltar und dem Heerd, dessen Rauch die Decke schwärzt — daher der Name — und durch ein Loch in derselben abzieht; ihm gleicht durchaus das home- rische Megaron mit Hausaltar und Heerd und schwarzberusster Decke. Ebenso ist es im Schiffbau; navis erscheint schon im sanskritischen ndus in gleicher Geltung, ebenso Ruder (aritram, ἐϱετμός, remus, triresmis); während die Bezeichnungen für Segel (velum von vehere), Mast (malus der Baum) und Raa (an- tenna, das ist ἄνα-tenda, supertensa) italischen Ursprungs sind, also, wenn diese Spuren nicht trügen, die Graecoitaliker wohl Ruderbarken hatten, aber keine Segelschiffe. Die uralte italische Sitte, daſs die Bauern gemeinschaftlich ihr Mittagsmahl hielten, deren Ursprung der Mythus an die Einführung des Ackerbaus anknüpft, vergleicht Aristoteles mit den kretischen Syssitien. Ebenso ist die Kleidung beider Völker wesentlich identisch, denn die Tunica entspricht völlig dem Chiton und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Ilimation; ja selbst in dem so veränderlichen Waffenwesen ist wenigstens der Name der Hauptwaffe jener Zeit, der Lanze (lancea λόγχη) wahrschein- lich bei beiden Völkern ein Erbstück der graecoitalischen Epoche. So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte zurück auf dieselben Elemente alles was die materiellen Grund- lagen der menschlichen Existenz betrifft; die ältesten Aufga- ben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden Völkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemein- schaftlich gelöst worden. Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die groſse Auf- gabe des Menschen, mit sich selbst, mit seines Gleichen und mit dem Ganzen in bewuſster Harmonie zu leben, läſst so Röm. Gesch. I. 2

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/31>, abgerufen am 20.04.2024.