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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL I.
in Africa und Spanien, ja sogar auf dem atlantischen Meer
und der Nordsee; durch ihre Hände gehen das Gold und die
Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, das Elfenbein und
die Löwenfelle aus dem inneren Africa, der arabische Weih-
rauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Thongeschirr und
edle Weine, das cyprische Kupfer, das spanische Silber, das
englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen
die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch
kaufen mag und überall kommen sie herum, um doch immer
wieder zurückzukehren zu der engen Heimath, an der ihr
Herz hängt. Die Phoenikier haben wohl ein Recht in der
Geschichte genannt zu werden neben der hellenischen und
der latinischen Nation; aber auch an ihnen und vielleicht an
ihnen am meisten bewährt es sich, dass das Alterthum die
Kräfte der Völker einseitig entwickelte. Ihre religiösen Vor-
stellungen sind formlos und unschön und ihr Gottesdienst
schien Lüsternheit und Grausamkeit mehr zu wecken als zu
bändigen bestimmt. In der Kunst sind sie, so weit wir sehen,
nicht einmal den Italikern, geschweige denn den Griechen
ebenbürtig und selbst in der Wissenschaft scheinen sie mehr
das praktisch Brauchbare aufgenommen und verarbeitet, als
schöpferisch sie weiter gebildet zu haben -- entlehnten sie
doch allem Anschein nach die Lautschrift von Aegypten, Mass
und Gewicht von Babylon und eben daher die Anregungen
zu ihrer kunstreichen Industrie. Manchen wichtigen Keim
der Civilisation haben sie mit ihren Waaren vertrieben; aber
die Kraft die bildungsfähigen Völker, mit denen sie sich be-
rührten, zu civilisiren und sich zu assimiliren, wie sie die
Hellenen, auch die Italiker besitzen, fehlt gänzlich den Pu-
niern. Selbst der staatsbildende Trieb ist in ihr Gemüth
nicht so gepflanzt, wie er überall bei den Indogermanen uns
begegnet. Während der höchsten Blüthe von Sidon und
Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der
am Euphrat und am Nil herrschenden Mächte und bald den
Assyriern, bald den Aegyptern unterthan. Mit der halben
Macht hätten hellenische Städte sich unabhängig gemacht;
aber die vorsichtigen sidonischen Männer berechneten, dass
die Sperrung der Karavanenstrassen nach dem Osten oder
der ägyptischen Häfen ihnen weit höher zu stehen komme
als der schwerste Tribut und zahlten darum prompt ihre
Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und
fochten sogar, wenn es nicht anders sein konnte, mit ihren

DRITTES BUCH. KAPITEL I.
in Africa und Spanien, ja sogar auf dem atlantischen Meer
und der Nordsee; durch ihre Hände gehen das Gold und die
Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, das Elfenbein und
die Löwenfelle aus dem inneren Africa, der arabische Weih-
rauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Thongeschirr und
edle Weine, das cyprische Kupfer, das spanische Silber, das
englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen
die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch
kaufen mag und überall kommen sie herum, um doch immer
wieder zurückzukehren zu der engen Heimath, an der ihr
Herz hängt. Die Phoenikier haben wohl ein Recht in der
Geschichte genannt zu werden neben der hellenischen und
der latinischen Nation; aber auch an ihnen und vielleicht an
ihnen am meisten bewährt es sich, daſs das Alterthum die
Kräfte der Völker einseitig entwickelte. Ihre religiösen Vor-
stellungen sind formlos und unschön und ihr Gottesdienst
schien Lüsternheit und Grausamkeit mehr zu wecken als zu
bändigen bestimmt. In der Kunst sind sie, so weit wir sehen,
nicht einmal den Italikern, geschweige denn den Griechen
ebenbürtig und selbst in der Wissenschaft scheinen sie mehr
das praktisch Brauchbare aufgenommen und verarbeitet, als
schöpferisch sie weiter gebildet zu haben — entlehnten sie
doch allem Anschein nach die Lautschrift von Aegypten, Maſs
und Gewicht von Babylon und eben daher die Anregungen
zu ihrer kunstreichen Industrie. Manchen wichtigen Keim
der Civilisation haben sie mit ihren Waaren vertrieben; aber
die Kraft die bildungsfähigen Völker, mit denen sie sich be-
rührten, zu civilisiren und sich zu assimiliren, wie sie die
Hellenen, auch die Italiker besitzen, fehlt gänzlich den Pu-
niern. Selbst der staatsbildende Trieb ist in ihr Gemüth
nicht so gepflanzt, wie er überall bei den Indogermanen uns
begegnet. Während der höchsten Blüthe von Sidon und
Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der
am Euphrat und am Nil herrschenden Mächte und bald den
Assyriern, bald den Aegyptern unterthan. Mit der halben
Macht hätten hellenische Städte sich unabhängig gemacht;
aber die vorsichtigen sidonischen Männer berechneten, daſs
die Sperrung der Karavanenstraſsen nach dem Osten oder
der ägyptischen Häfen ihnen weit höher zu stehen komme
als der schwerste Tribut und zahlten darum prompt ihre
Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und
fochten sogar, wenn es nicht anders sein konnte, mit ihren

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[310/0324] DRITTES BUCH. KAPITEL I. in Africa und Spanien, ja sogar auf dem atlantischen Meer und der Nordsee; durch ihre Hände gehen das Gold und die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, das Elfenbein und die Löwenfelle aus dem inneren Africa, der arabische Weih- rauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Thongeschirr und edle Weine, das cyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch kaufen mag und überall kommen sie herum, um doch immer wieder zurückzukehren zu der engen Heimath, an der ihr Herz hängt. Die Phoenikier haben wohl ein Recht in der Geschichte genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewährt es sich, daſs das Alterthum die Kräfte der Völker einseitig entwickelte. Ihre religiösen Vor- stellungen sind formlos und unschön und ihr Gottesdienst schien Lüsternheit und Grausamkeit mehr zu wecken als zu bändigen bestimmt. In der Kunst sind sie, so weit wir sehen, nicht einmal den Italikern, geschweige denn den Griechen ebenbürtig und selbst in der Wissenschaft scheinen sie mehr das praktisch Brauchbare aufgenommen und verarbeitet, als schöpferisch sie weiter gebildet zu haben — entlehnten sie doch allem Anschein nach die Lautschrift von Aegypten, Maſs und Gewicht von Babylon und eben daher die Anregungen zu ihrer kunstreichen Industrie. Manchen wichtigen Keim der Civilisation haben sie mit ihren Waaren vertrieben; aber die Kraft die bildungsfähigen Völker, mit denen sie sich be- rührten, zu civilisiren und sich zu assimiliren, wie sie die Hellenen, auch die Italiker besitzen, fehlt gänzlich den Pu- niern. Selbst der staatsbildende Trieb ist in ihr Gemüth nicht so gepflanzt, wie er überall bei den Indogermanen uns begegnet. Während der höchsten Blüthe von Sidon und Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil herrschenden Mächte und bald den Assyriern, bald den Aegyptern unterthan. Mit der halben Macht hätten hellenische Städte sich unabhängig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Männer berechneten, daſs die Sperrung der Karavanenstraſsen nach dem Osten oder der ägyptischen Häfen ihnen weit höher zu stehen komme als der schwerste Tribut und zahlten darum prompt ihre Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders sein konnte, mit ihren

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/324>, abgerufen am 20.04.2024.