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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
Feindes oder ein besonderer Glücksfall dazwischen trat, un-
zweifelhaft verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; aber es
hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden die Ratifi-
cation verweigert ward und man wusste, wie die öffentliche
Meinung in Rom jetzt diesen Friedensschluss beurtheilte. Man
mochte zugeben, dass Rom jetzt noch nicht dachte an die
Eroberung Africas und ihm Italien genügte; aber wenn an
dieser Genügsamkeit die Existenz des karthagischen Staats
hing, so sah es übel damit aus, und wer bürgte dafür, dass
die Römer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen
fanden den africanischen Nachbar wenn nicht sich zu unter-
werfen, so doch unschädlich zu machen? -- Kurz, Karthago
durfte den Frieden von 513 nur als einen Waffenstillstand
betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung für die
unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht um die erlit-
tene Niederlage zu rächen, nicht einmal zunächst um das
Verlorene zurückzugewinnen, sondern um nicht ferner seine
Existenz abhängig zu wissen von dem Gutfinden des Landes-
feindes. Allein wenn einem schwächeren Staat ein gewisser,
aber der Zeit nach unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht,
werden die klügeren, entschlosseneren, hingebenderen Männer,
die zu dem unvermeidlichen Kampf sich sogleich fertig machen,
ihn zur günstigen Stunde aufnehmen und so die politische Defen-
sive durch die strategische Offensive verdecken möchten, überall
sich gehemmt sehen durch die träge und feige Masse der
Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen, wel-
che nur Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu
sterben, nur den letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschie-
ben bedacht sind. So gab es auch in Karthago eine Friedens-
und eine Kriegspartei, die wie natürlich sich anschlossen an
die schon zwischen den Conservativen und den Reformisten
bestehenden politischen Gegensätze; jene fand ihre Stütze in
den Regierungsbehörden, dem Rath der Alten und den Hun-
dertmännern, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse,
stand, diese in den Leitern der Menge, namentlich dem
angesehenen Hasdrubal und in den Offizieren des sicilischen
Heeres, dessen grosse Erfolge unter Hamilkars Führung, wenn
sie auch sonst vergeblich gewesen waren, doch den Patrioten
einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der ungeheuren
Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen
diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg
zwischen sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzählt

DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
Feindes oder ein besonderer Glücksfall dazwischen trat, un-
zweifelhaft verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; aber es
hatte an einem Haar gehangen, daſs dem Frieden die Ratifi-
cation verweigert ward und man wuſste, wie die öffentliche
Meinung in Rom jetzt diesen Friedensschluſs beurtheilte. Man
mochte zugeben, daſs Rom jetzt noch nicht dachte an die
Eroberung Africas und ihm Italien genügte; aber wenn an
dieser Genügsamkeit die Existenz des karthagischen Staats
hing, so sah es übel damit aus, und wer bürgte dafür, daſs
die Römer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen
fanden den africanischen Nachbar wenn nicht sich zu unter-
werfen, so doch unschädlich zu machen? — Kurz, Karthago
durfte den Frieden von 513 nur als einen Waffenstillstand
betrachten und muſste ihn benutzen zur Vorbereitung für die
unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht um die erlit-
tene Niederlage zu rächen, nicht einmal zunächst um das
Verlorene zurückzugewinnen, sondern um nicht ferner seine
Existenz abhängig zu wissen von dem Gutfinden des Landes-
feindes. Allein wenn einem schwächeren Staat ein gewisser,
aber der Zeit nach unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht,
werden die klügeren, entschlosseneren, hingebenderen Männer,
die zu dem unvermeidlichen Kampf sich sogleich fertig machen,
ihn zur günstigen Stunde aufnehmen und so die politische Defen-
sive durch die strategische Offensive verdecken möchten, überall
sich gehemmt sehen durch die träge und feige Masse der
Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen, wel-
che nur Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu
sterben, nur den letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschie-
ben bedacht sind. So gab es auch in Karthago eine Friedens-
und eine Kriegspartei, die wie natürlich sich anschlossen an
die schon zwischen den Conservativen und den Reformisten
bestehenden politischen Gegensätze; jene fand ihre Stütze in
den Regierungsbehörden, dem Rath der Alten und den Hun-
dertmännern, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Groſse,
stand, diese in den Leitern der Menge, namentlich dem
angesehenen Hasdrubal und in den Offizieren des sicilischen
Heeres, dessen groſse Erfolge unter Hamilkars Führung, wenn
sie auch sonst vergeblich gewesen waren, doch den Patrioten
einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der ungeheuren
Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen
diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg
zwischen sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzählt

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[380/0394] DRITTES BUCH. KAPITEL IV. Feindes oder ein besonderer Glücksfall dazwischen trat, un- zweifelhaft verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen, daſs dem Frieden die Ratifi- cation verweigert ward und man wuſste, wie die öffentliche Meinung in Rom jetzt diesen Friedensschluſs beurtheilte. Man mochte zugeben, daſs Rom jetzt noch nicht dachte an die Eroberung Africas und ihm Italien genügte; aber wenn an dieser Genügsamkeit die Existenz des karthagischen Staats hing, so sah es übel damit aus, und wer bürgte dafür, daſs die Römer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen fanden den africanischen Nachbar wenn nicht sich zu unter- werfen, so doch unschädlich zu machen? — Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 nur als einen Waffenstillstand betrachten und muſste ihn benutzen zur Vorbereitung für die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht um die erlit- tene Niederlage zu rächen, nicht einmal zunächst um das Verlorene zurückzugewinnen, sondern um nicht ferner seine Existenz abhängig zu wissen von dem Gutfinden des Landes- feindes. Allein wenn einem schwächeren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die klügeren, entschlosseneren, hingebenderen Männer, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich sogleich fertig machen, ihn zur günstigen Stunde aufnehmen und so die politische Defen- sive durch die strategische Offensive verdecken möchten, überall sich gehemmt sehen durch die träge und feige Masse der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen, wel- che nur Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur den letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschie- ben bedacht sind. So gab es auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die wie natürlich sich anschlossen an die schon zwischen den Conservativen und den Reformisten bestehenden politischen Gegensätze; jene fand ihre Stütze in den Regierungsbehörden, dem Rath der Alten und den Hun- dertmännern, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Groſse, stand, diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal und in den Offizieren des sicilischen Heeres, dessen groſse Erfolge unter Hamilkars Führung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren, doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzählt

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/394>, abgerufen am 19.04.2024.