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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KAPITEL IV.


Die Anfänge Roms.

Etwa vier deutsche Meilen von der Mündung des Tiber-
flusses aufwärts erheben sich an beiden Ufern desselben
mässige Hügel, höhere auf dem rechten, niedrigere auf dem
linken; auf den letzteren liegt Rom. Die Stätte ist minder
gesund und minder fruchtbar als die der meisten alten La-
tinerstädte; der Weinstock und der Fruchtbaum gedeihen nicht
wohl in der nächsten Umgebung und es ist Mangel an aus-
giebigen Quellen -- denn weder der sonst treffliche Born der
Camenen vor dem capenischen Thor noch der später im Tul-
lianum gefasste capitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu
kommen die häufigen Ueberschwemmungen des Flusses, der bei
sehr geringem Gefäll die reichlich ihm in der Regenzeit zuströ-
menden Bergwasser nicht schnell dem Meer zuzuführen vermag
und die zwischen den Hügeln sich öffnenden Thäler und Nie-
derungen überstaut und versumpft, um die Lage für den An-
siedler keineswegs lockend zu machen. Schon in alter Zeit ist
es ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und
unfruchtbaren Fleck nicht die erste naturgemässe Ansiedlung
der einwandernden Bauern sich gelenkt haben könne, sondern
dass die Noth oder vielmehr irgend ein eigenthümlicher Grund
die Anlage dieser Stadt veranlasst haben müsse. Diesen Grund
sucht die einheimische Sage in der Anlage der Stadt durch
Ausgetretene von Alba unter Führung der albanischen Fürsten-
söhne Romulus und Remus; eine Legende, die zwar viel älter
erfunden und viel naiver gebildet ist als die hellenisirende

KAPITEL IV.


Die Anfänge Roms.

Etwa vier deutsche Meilen von der Mündung des Tiber-
flusses aufwärts erheben sich an beiden Ufern desselben
mäſsige Hügel, höhere auf dem rechten, niedrigere auf dem
linken; auf den letzteren liegt Rom. Die Stätte ist minder
gesund und minder fruchtbar als die der meisten alten La-
tinerstädte; der Weinstock und der Fruchtbaum gedeihen nicht
wohl in der nächsten Umgebung und es ist Mangel an aus-
giebigen Quellen — denn weder der sonst treffliche Born der
Camenen vor dem capenischen Thor noch der später im Tul-
lianum gefaſste capitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu
kommen die häufigen Ueberschwemmungen des Flusses, der bei
sehr geringem Gefäll die reichlich ihm in der Regenzeit zuströ-
menden Bergwasser nicht schnell dem Meer zuzuführen vermag
und die zwischen den Hügeln sich öffnenden Thäler und Nie-
derungen überstaut und versumpft, um die Lage für den An-
siedler keineswegs lockend zu machen. Schon in alter Zeit ist
es ausgesprochen worden, daſs auf diesen ungesunden und
unfruchtbaren Fleck nicht die erste naturgemäſse Ansiedlung
der einwandernden Bauern sich gelenkt haben könne, sondern
daſs die Noth oder vielmehr irgend ein eigenthümlicher Grund
die Anlage dieser Stadt veranlaſst haben müsse. Diesen Grund
sucht die einheimische Sage in der Anlage der Stadt durch
Ausgetretene von Alba unter Führung der albanischen Fürsten-
söhne Romulus und Remus; eine Legende, die zwar viel älter
erfunden und viel naiver gebildet ist als die hellenisirende

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[[30]/0044] KAPITEL IV. Die Anfänge Roms. Etwa vier deutsche Meilen von der Mündung des Tiber- flusses aufwärts erheben sich an beiden Ufern desselben mäſsige Hügel, höhere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; auf den letzteren liegt Rom. Die Stätte ist minder gesund und minder fruchtbar als die der meisten alten La- tinerstädte; der Weinstock und der Fruchtbaum gedeihen nicht wohl in der nächsten Umgebung und es ist Mangel an aus- giebigen Quellen — denn weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem capenischen Thor noch der später im Tul- lianum gefaſste capitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu kommen die häufigen Ueberschwemmungen des Flusses, der bei sehr geringem Gefäll die reichlich ihm in der Regenzeit zuströ- menden Bergwasser nicht schnell dem Meer zuzuführen vermag und die zwischen den Hügeln sich öffnenden Thäler und Nie- derungen überstaut und versumpft, um die Lage für den An- siedler keineswegs lockend zu machen. Schon in alter Zeit ist es ausgesprochen worden, daſs auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck nicht die erste naturgemäſse Ansiedlung der einwandernden Bauern sich gelenkt haben könne, sondern daſs die Noth oder vielmehr irgend ein eigenthümlicher Grund die Anlage dieser Stadt veranlaſst haben müsse. Diesen Grund sucht die einheimische Sage in der Anlage der Stadt durch Ausgetretene von Alba unter Führung der albanischen Fürsten- söhne Romulus und Remus; eine Legende, die zwar viel älter erfunden und viel naiver gebildet ist als die hellenisirende

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [30]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/44>, abgerufen am 28.03.2024.