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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KAPITEL XI.


Die Verfassung und die inneren Verhältnisse.

In keiner Epoche ist die römische Verfassung formell so
stabil geblieben wie in der vom sicilischen bis zum dritten
makedonischen Kriege und noch ein Menschenalter über die-
sen hinaus. Die Vermehrung der Beamtenzahl hielt schwer-
lich auch nur Schritt mit der Erweiterung der Grenzen und
der Vermehrung der Obliegenheiten der Regierung; wesent-
liche Verfassungsänderungen fanden kaum statt, und selbst die
wichtigsten, von denen wir Kunde haben, die Ausdehnung der
Wahlen auf priesterliche Würden und die Umgestaltung der
Abstimmungsweise in den Volksversammlungen, waren zwar
Fortschritte im demokratischen Sinn, aber mit den Reformen
weder der vorhergehenden noch der folgenden Periode an
Wichtigkeit irgend zu vergleichen. Unter den geistlichen Aem-
tern blieben die eigentlichen Priesterthümer, sowohl die Fla-
minate wie die Collegien der Salier und Arvalen, von dem
Kampf der Parteien unberührt wegen ihrer politischen Nich-
tigkeit. Dagegen die Collegien der Sachverständigen, der Pon-
tifices, der Auguren, der Orakelbewahrer, der Schmausherren,
griffen vielfach ein in das öffentliche Leben und wie einst die
Plebejer sich den Eintritt in dieselben zu erkämpfen bemüht
gewesen waren, so suchte jetzt die Bewegungspartei die Be-
setzung dieser Aemter in die Hände der Bürgerversammlung
zu bringen. Dem Geiste dieser Institutionen, die ja eben be-
stimmt waren die Kunde des göttlichen und menschlichen

KAPITEL XI.


Die Verfassung und die inneren Verhältnisse.

In keiner Epoche ist die römische Verfassung formell so
stabil geblieben wie in der vom sicilischen bis zum dritten
makedonischen Kriege und noch ein Menschenalter über die-
sen hinaus. Die Vermehrung der Beamtenzahl hielt schwer-
lich auch nur Schritt mit der Erweiterung der Grenzen und
der Vermehrung der Obliegenheiten der Regierung; wesent-
liche Verfassungsänderungen fanden kaum statt, und selbst die
wichtigsten, von denen wir Kunde haben, die Ausdehnung der
Wahlen auf priesterliche Würden und die Umgestaltung der
Abstimmungsweise in den Volksversammlungen, waren zwar
Fortschritte im demokratischen Sinn, aber mit den Reformen
weder der vorhergehenden noch der folgenden Periode an
Wichtigkeit irgend zu vergleichen. Unter den geistlichen Aem-
tern blieben die eigentlichen Priesterthümer, sowohl die Fla-
minate wie die Collegien der Salier und Arvalen, von dem
Kampf der Parteien unberührt wegen ihrer politischen Nich-
tigkeit. Dagegen die Collegien der Sachverständigen, der Pon-
tifices, der Auguren, der Orakelbewahrer, der Schmausherren,
griffen vielfach ein in das öffentliche Leben und wie einst die
Plebejer sich den Eintritt in dieselben zu erkämpfen bemüht
gewesen waren, so suchte jetzt die Bewegungspartei die Be-
setzung dieser Aemter in die Hände der Bürgerversammlung
zu bringen. Dem Geiste dieser Institutionen, die ja eben be-
stimmt waren die Kunde des göttlichen und menschlichen

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[[601]/0615] KAPITEL XI. Die Verfassung und die inneren Verhältnisse. In keiner Epoche ist die römische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom sicilischen bis zum dritten makedonischen Kriege und noch ein Menschenalter über die- sen hinaus. Die Vermehrung der Beamtenzahl hielt schwer- lich auch nur Schritt mit der Erweiterung der Grenzen und der Vermehrung der Obliegenheiten der Regierung; wesent- liche Verfassungsänderungen fanden kaum statt, und selbst die wichtigsten, von denen wir Kunde haben, die Ausdehnung der Wahlen auf priesterliche Würden und die Umgestaltung der Abstimmungsweise in den Volksversammlungen, waren zwar Fortschritte im demokratischen Sinn, aber mit den Reformen weder der vorhergehenden noch der folgenden Periode an Wichtigkeit irgend zu vergleichen. Unter den geistlichen Aem- tern blieben die eigentlichen Priesterthümer, sowohl die Fla- minate wie die Collegien der Salier und Arvalen, von dem Kampf der Parteien unberührt wegen ihrer politischen Nich- tigkeit. Dagegen die Collegien der Sachverständigen, der Pon- tifices, der Auguren, der Orakelbewahrer, der Schmausherren, griffen vielfach ein in das öffentliche Leben und wie einst die Plebejer sich den Eintritt in dieselben zu erkämpfen bemüht gewesen waren, so suchte jetzt die Bewegungspartei die Be- setzung dieser Aemter in die Hände der Bürgerversammlung zu bringen. Dem Geiste dieser Institutionen, die ja eben be- stimmt waren die Kunde des göttlichen und menschlichen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [601]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/615>, abgerufen am 28.03.2024.