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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
Aber die Einheit des Hauses verlangt, dass sie alle vertreten
werden durch einen einheitlichen Repräsentanten, den Haus-
vater und Herrn. Die unumschränkte und keinem auf der
Erde verantwortliche Macht des Hausherrn ist unabänderlich
und unzerstörbar so lange er lebt; nicht das Alter, nicht der
Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille
vermögen bei seinen Lebzeiten die Macht zu lösen, ausser
wenn die Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des
Vaters übergeht in die Hand des Mannes und aus ihrem Ge-
schlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottes-
schutz des Mannes eintretend, ihm nun unterthan wird, wie
sie es bisher ihrem Vater war. Immer trennt noch eine
ungeheure Kluft den Sclaven und den Haussohn, die Habe
und die Glieder der Familie; jene sind bloss unterthan der
Gewalt, diese haben eigenen Antheil daran, nur dass deren
Ausübung ruht so lange der Vater lebt, oder, wie die Römer
dies fassen, die Sclaven sind Sachen, die Haussöhne Personen.
Zwar hat dies zunächst zur Folge, dass bei Lebzeiten des
Hausherrn wohl der Knecht von ihm sich lösen kann, wenn
der Herr will, aber nicht der Sohn; denn die Sache zur
Person zu erheben, wo die natürliche Bedingung der Willens-
fähigkeit vorhanden ist, ist möglich, nicht aber zur Person zu
machen wer schon Person ist -- und darum ist die Manu-
mission des Sclaven so alt wie der Eigenthumsprozess, die
Emancipation des Sohnes aber erst durch eigenthümliche
Umwege in weit späterer Zeit möglich geworden. Wenn in-
dess der Hausherr stirbt, so ändert dies gar nichts in der
Lage des Knechts; wogegen die Söhne jetzt von selbst als
Hausherren auftreten und nun ihrerseits über die Frauen und
Kinder und das Vermögen die bisher vom Vater geübten
Rechte erlangen. So lange der Hausherr lebt, ist ihm gegen-
über alles rechtlos was zur Familie gehört, der Stier und der
Sclave, aber nicht minder Weib und Kind. Er hat das Recht
und die Pflicht über die Seinigen die richterliche Gewalt zu
üben und nach Ermessen an Leib und Leben zu strafen.
Was die Seinigen erwerben, sei es durch eigene Arbeit oder
fremde Gabe, wird Eigenthum des Vaters wie der Verdienst
des Knechts; so lange der Vater lebt, können die unterthäni-
gen Personen kein Vermögen haben, daher auch nicht ver-
äussern noch vererben. Ja der Vater kann wie den Sclaven
so auch den Sohn einem Dritten zum Eigenthum übertragen;
ist der Käufer ein Fremder, so wird der Sohn sein Knecht,

ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
Aber die Einheit des Hauses verlangt, daſs sie alle vertreten
werden durch einen einheitlichen Repräsentanten, den Haus-
vater und Herrn. Die unumschränkte und keinem auf der
Erde verantwortliche Macht des Hausherrn ist unabänderlich
und unzerstörbar so lange er lebt; nicht das Alter, nicht der
Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille
vermögen bei seinen Lebzeiten die Macht zu lösen, auſser
wenn die Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des
Vaters übergeht in die Hand des Mannes und aus ihrem Ge-
schlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottes-
schutz des Mannes eintretend, ihm nun unterthan wird, wie
sie es bisher ihrem Vater war. Immer trennt noch eine
ungeheure Kluft den Sclaven und den Haussohn, die Habe
und die Glieder der Familie; jene sind bloſs unterthan der
Gewalt, diese haben eigenen Antheil daran, nur daſs deren
Ausübung ruht so lange der Vater lebt, oder, wie die Römer
dies fassen, die Sclaven sind Sachen, die Haussöhne Personen.
Zwar hat dies zunächst zur Folge, daſs bei Lebzeiten des
Hausherrn wohl der Knecht von ihm sich lösen kann, wenn
der Herr will, aber nicht der Sohn; denn die Sache zur
Person zu erheben, wo die natürliche Bedingung der Willens-
fähigkeit vorhanden ist, ist möglich, nicht aber zur Person zu
machen wer schon Person ist — und darum ist die Manu-
mission des Sclaven so alt wie der Eigenthumsprozess, die
Emancipation des Sohnes aber erst durch eigenthümliche
Umwege in weit späterer Zeit möglich geworden. Wenn in-
deſs der Hausherr stirbt, so ändert dies gar nichts in der
Lage des Knechts; wogegen die Söhne jetzt von selbst als
Hausherren auftreten und nun ihrerseits über die Frauen und
Kinder und das Vermögen die bisher vom Vater geübten
Rechte erlangen. So lange der Hausherr lebt, ist ihm gegen-
über alles rechtlos was zur Familie gehört, der Stier und der
Sclave, aber nicht minder Weib und Kind. Er hat das Recht
und die Pflicht über die Seinigen die richterliche Gewalt zu
üben und nach Ermessen an Leib und Leben zu strafen.
Was die Seinigen erwerben, sei es durch eigene Arbeit oder
fremde Gabe, wird Eigenthum des Vaters wie der Verdienst
des Knechts; so lange der Vater lebt, können die unterthäni-
gen Personen kein Vermögen haben, daher auch nicht ver-
äuſsern noch vererben. Ja der Vater kann wie den Sclaven
so auch den Sohn einem Dritten zum Eigenthum übertragen;
ist der Käufer ein Fremder, so wird der Sohn sein Knecht,

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[50/0064] ERSTES BUCH. KAPITEL VI. Aber die Einheit des Hauses verlangt, daſs sie alle vertreten werden durch einen einheitlichen Repräsentanten, den Haus- vater und Herrn. Die unumschränkte und keinem auf der Erde verantwortliche Macht des Hausherrn ist unabänderlich und unzerstörbar so lange er lebt; nicht das Alter, nicht der Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille vermögen bei seinen Lebzeiten die Macht zu lösen, auſser wenn die Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des Vaters übergeht in die Hand des Mannes und aus ihrem Ge- schlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottes- schutz des Mannes eintretend, ihm nun unterthan wird, wie sie es bisher ihrem Vater war. Immer trennt noch eine ungeheure Kluft den Sclaven und den Haussohn, die Habe und die Glieder der Familie; jene sind bloſs unterthan der Gewalt, diese haben eigenen Antheil daran, nur daſs deren Ausübung ruht so lange der Vater lebt, oder, wie die Römer dies fassen, die Sclaven sind Sachen, die Haussöhne Personen. Zwar hat dies zunächst zur Folge, daſs bei Lebzeiten des Hausherrn wohl der Knecht von ihm sich lösen kann, wenn der Herr will, aber nicht der Sohn; denn die Sache zur Person zu erheben, wo die natürliche Bedingung der Willens- fähigkeit vorhanden ist, ist möglich, nicht aber zur Person zu machen wer schon Person ist — und darum ist die Manu- mission des Sclaven so alt wie der Eigenthumsprozess, die Emancipation des Sohnes aber erst durch eigenthümliche Umwege in weit späterer Zeit möglich geworden. Wenn in- deſs der Hausherr stirbt, so ändert dies gar nichts in der Lage des Knechts; wogegen die Söhne jetzt von selbst als Hausherren auftreten und nun ihrerseits über die Frauen und Kinder und das Vermögen die bisher vom Vater geübten Rechte erlangen. So lange der Hausherr lebt, ist ihm gegen- über alles rechtlos was zur Familie gehört, der Stier und der Sclave, aber nicht minder Weib und Kind. Er hat das Recht und die Pflicht über die Seinigen die richterliche Gewalt zu üben und nach Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Was die Seinigen erwerben, sei es durch eigene Arbeit oder fremde Gabe, wird Eigenthum des Vaters wie der Verdienst des Knechts; so lange der Vater lebt, können die unterthäni- gen Personen kein Vermögen haben, daher auch nicht ver- äuſsern noch vererben. Ja der Vater kann wie den Sclaven so auch den Sohn einem Dritten zum Eigenthum übertragen; ist der Käufer ein Fremder, so wird der Sohn sein Knecht,

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/64>, abgerufen am 24.04.2024.