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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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KAPITEL V.
Die Völker des Nordens.

Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die
römische Gemeinde die drei grossen von dem nördlichen Con-
tinent in das Mittelmeer hineinragenden Halbinseln. Indess
abgesehen von den ganz oder halbfreien Völkerschaften, die
innerhalb derselben im Norden und Westen Spaniens, in den
ligurischen Apenninen- und Alpenthälern, in den Gebirgen
Makedoniens und Thrakiens fortfuhren der schlaffen römischen
Regierung zu trotzen, war die continentale Verbindung zwischen
Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur
in der oberflächlichsten Weise hergestellt, und die Landschaften
jenseits der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die gros-
sen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen
vollständig ausserhalb des politischen Gesichtskreises der Römer.
Es ist hier darzustellen, was römischer Seits geschah, um nach
dieser Richtung hin das Reich zu sichern und zu arrondiren und
wie zugleich die grossen Völkermassen, die hinter jenem gewal-
tigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen an
die Thore der nördlichen Gebirge zu pochen und die griechisch-
römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, dass sie
mit Unrecht meine die Erde für sich allein zu besitzen.

Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Alpen
und den Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen
Theil der Küste des Mittelmeers seit langem durch ihre Clientel-
stadt Massalia, eine der ältesten, treuesten und mächtigsten der
von Rom abhängigen bundesgenössischen Gemeinden, deren See-

KAPITEL V.
Die Völker des Nordens.

Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die
römische Gemeinde die drei groſsen von dem nördlichen Con-
tinent in das Mittelmeer hineinragenden Halbinseln. Indeſs
abgesehen von den ganz oder halbfreien Völkerschaften, die
innerhalb derselben im Norden und Westen Spaniens, in den
ligurischen Apenninen- und Alpenthälern, in den Gebirgen
Makedoniens und Thrakiens fortfuhren der schlaffen römischen
Regierung zu trotzen, war die continentale Verbindung zwischen
Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur
in der oberflächlichsten Weise hergestellt, und die Landschaften
jenseits der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die gros-
sen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen
vollständig auſserhalb des politischen Gesichtskreises der Römer.
Es ist hier darzustellen, was römischer Seits geschah, um nach
dieser Richtung hin das Reich zu sichern und zu arrondiren und
wie zugleich die groſsen Völkermassen, die hinter jenem gewal-
tigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen an
die Thore der nördlichen Gebirge zu pochen und die griechisch-
römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, daſs sie
mit Unrecht meine die Erde für sich allein zu besitzen.

Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Alpen
und den Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen
Theil der Küste des Mittelmeers seit langem durch ihre Clientel-
stadt Massalia, eine der ältesten, treuesten und mächtigsten der
von Rom abhängigen bundesgenössischen Gemeinden, deren See-

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[[152]/0162] KAPITEL V. Die Völker des Nordens. Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische Gemeinde die drei groſsen von dem nördlichen Con- tinent in das Mittelmeer hineinragenden Halbinseln. Indeſs abgesehen von den ganz oder halbfreien Völkerschaften, die innerhalb derselben im Norden und Westen Spaniens, in den ligurischen Apenninen- und Alpenthälern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens fortfuhren der schlaffen römischen Regierung zu trotzen, war die continentale Verbindung zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der oberflächlichsten Weise hergestellt, und die Landschaften jenseits der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die gros- sen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen vollständig auſserhalb des politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen, was römischer Seits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu sichern und zu arrondiren und wie zugleich die groſsen Völkermassen, die hinter jenem gewal- tigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen an die Thore der nördlichen Gebirge zu pochen und die griechisch- römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, daſs sie mit Unrecht meine die Erde für sich allein zu besitzen. Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Alpen und den Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen Theil der Küste des Mittelmeers seit langem durch ihre Clientel- stadt Massalia, eine der ältesten, treuesten und mächtigsten der von Rom abhängigen bundesgenössischen Gemeinden, deren See-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. [152]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/162>, abgerufen am 28.03.2024.