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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
tert als gedemüthigt, sofort wieder das reiche turdetanische Ge-
biet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius Vetilius
(605? *) und schlug sie nicht bloss, sondern drängte auch das
ganze Heer auf einen Hügel zusammen, wo dasselbe rettungslos
verloren schien. Schon war die Capitulation so gut wie abge-
schlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie
einst als Bube ein tapferer Vertheidiger seiner Heerde gegen die
wilden Thiere und die Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein
gefürchteter Guerillachef und einer der wenigen Spanier, die dem
treulosen Ueberfall Galbas zufällig entronnen waren, seine Lands-
leute warnte auf römisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Ret-
tung verhiess, wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein
Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den Oberbefehl. Viria-
thus bildete aus den bestberittenen Leuten eine zuverlässige Rei-
terschaar von 1000 Pferden und gab dem Rest der Armee den
Befehl nach allen Seiten hin sich zu verlaufen und sich auf ver-
schiedenen Wegen nach dem bestimmten Sammelplatz zu bege-
ben. Die Römer, denen es an leichter Reiterei fehlte, wagten
nicht unter den Augen des geschlossenen feindlichen Reitercorps
sich zur Verfolgung zu zerstreuen; nachdem Viriathus zwei volle
Tage hindurch mit seinen Reitern das ganze römische Heer auf-
gehalten hatte, verschwand auch er plötzlich in der Nacht und
eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der römische Feldherr
folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in
dem er die Hälfte seines Heeres verlor und selber gefangen und
getödtet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an die
Meerenge nach der Colonie Carteia. Die schleunigst von den
Spaniern am Ebro herbeigerufenen Hülfsvölker wurden, 5000
an der Zahl, von Viriathus auf dem Marsch vernichtet und in
dem ganzen carpetanischen Binnenland gebot derselbe unum-
schränkt, ohne dass die Römer auch nur ihn dort aufzusuchen
wagten. Viriathus, jetzt als Herr und König der sämmtlichen

* Die Chronologie des viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es
steht fest, dass Viriathus Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datirt
(Appian Hisp. 61; Justin 44, 2) und dass er 615 umkam; die Dauer sei-
nes Regiments wird auf 8 (Appian Hisp. 63), 10 (Justin 44, 2), 11 (Dio-
dor S. 597) und 14 Jahre (Liv., Flor.) berechnet. Der dritte Ansatz hat
desswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil der Kampf sich eng an die Statt-
halterschaft Galbas anschliesst. Dagegen ist für die folgende Zeit bis 608
die Reihenfolge der römischen Statthalter ganz ungewiss, um so mehr als
Viriathus zwar vorwiegend in der südlichen, aber doch auch in der nörd-
lichen Provinz focht (Liv. 52) und seine römischen Gegner also nicht bloss
einer Statthalterreihe angehören.

DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
tert als gedemüthigt, sofort wieder das reiche turdetanische Ge-
biet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius Vetilius
(605? *) und schlug sie nicht bloſs, sondern drängte auch das
ganze Heer auf einen Hügel zusammen, wo dasselbe rettungslos
verloren schien. Schon war die Capitulation so gut wie abge-
schlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie
einst als Bube ein tapferer Vertheidiger seiner Heerde gegen die
wilden Thiere und die Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein
gefürchteter Guerillachef und einer der wenigen Spanier, die dem
treulosen Ueberfall Galbas zufällig entronnen waren, seine Lands-
leute warnte auf römisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Ret-
tung verhieſs, wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein
Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den Oberbefehl. Viria-
thus bildete aus den bestberittenen Leuten eine zuverlässige Rei-
terschaar von 1000 Pferden und gab dem Rest der Armee den
Befehl nach allen Seiten hin sich zu verlaufen und sich auf ver-
schiedenen Wegen nach dem bestimmten Sammelplatz zu bege-
ben. Die Römer, denen es an leichter Reiterei fehlte, wagten
nicht unter den Augen des geschlossenen feindlichen Reitercorps
sich zur Verfolgung zu zerstreuen; nachdem Viriathus zwei volle
Tage hindurch mit seinen Reitern das ganze römische Heer auf-
gehalten hatte, verschwand auch er plötzlich in der Nacht und
eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der römische Feldherr
folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in
dem er die Hälfte seines Heeres verlor und selber gefangen und
getödtet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an die
Meerenge nach der Colonie Carteia. Die schleunigst von den
Spaniern am Ebro herbeigerufenen Hülfsvölker wurden, 5000
an der Zahl, von Viriathus auf dem Marsch vernichtet und in
dem ganzen carpetanischen Binnenland gebot derselbe unum-
schränkt, ohne daſs die Römer auch nur ihn dort aufzusuchen
wagten. Viriathus, jetzt als Herr und König der sämmtlichen

* Die Chronologie des viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es
steht fest, daſs Viriathus Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datirt
(Appian Hisp. 61; Justin 44, 2) und daſs er 615 umkam; die Dauer sei-
nes Regiments wird auf 8 (Appian Hisp. 63), 10 (Justin 44, 2), 11 (Dio-
dor S. 597) und 14 Jahre (Liv., Flor.) berechnet. Der dritte Ansatz hat
deſswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil der Kampf sich eng an die Statt-
halterschaft Galbas anschlieſst. Dagegen ist für die folgende Zeit bis 608
die Reihenfolge der römischen Statthalter ganz ungewiſs, um so mehr als
Viriathus zwar vorwiegend in der südlichen, aber doch auch in der nörd-
lichen Provinz focht (Liv. 52) und seine römischen Gegner also nicht bloſs
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[9/0019] DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. tert als gedemüthigt, sofort wieder das reiche turdetanische Ge- biet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius Vetilius (605? *) und schlug sie nicht bloſs, sondern drängte auch das ganze Heer auf einen Hügel zusammen, wo dasselbe rettungslos verloren schien. Schon war die Capitulation so gut wie abge- schlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst als Bube ein tapferer Vertheidiger seiner Heerde gegen die wilden Thiere und die Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter Guerillachef und einer der wenigen Spanier, die dem treulosen Ueberfall Galbas zufällig entronnen waren, seine Lands- leute warnte auf römisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Ret- tung verhieſs, wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den Oberbefehl. Viria- thus bildete aus den bestberittenen Leuten eine zuverlässige Rei- terschaar von 1000 Pferden und gab dem Rest der Armee den Befehl nach allen Seiten hin sich zu verlaufen und sich auf ver- schiedenen Wegen nach dem bestimmten Sammelplatz zu bege- ben. Die Römer, denen es an leichter Reiterei fehlte, wagten nicht unter den Augen des geschlossenen feindlichen Reitercorps sich zur Verfolgung zu zerstreuen; nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinen Reitern das ganze römische Heer auf- gehalten hatte, verschwand auch er plötzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der römische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte seines Heeres verlor und selber gefangen und getödtet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an die Meerenge nach der Colonie Carteia. Die schleunigst von den Spaniern am Ebro herbeigerufenen Hülfsvölker wurden, 5000 an der Zahl, von Viriathus auf dem Marsch vernichtet und in dem ganzen carpetanischen Binnenland gebot derselbe unum- schränkt, ohne daſs die Römer auch nur ihn dort aufzusuchen wagten. Viriathus, jetzt als Herr und König der sämmtlichen * Die Chronologie des viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, daſs Viriathus Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datirt (Appian Hisp. 61; Justin 44, 2) und daſs er 615 umkam; die Dauer sei- nes Regiments wird auf 8 (Appian Hisp. 63), 10 (Justin 44, 2), 11 (Dio- dor S. 597) und 14 Jahre (Liv., Flor.) berechnet. Der dritte Ansatz hat deſswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil der Kampf sich eng an die Statt- halterschaft Galbas anschlieſst. Dagegen ist für die folgende Zeit bis 608 die Reihenfolge der römischen Statthalter ganz ungewiſs, um so mehr als Viriathus zwar vorwiegend in der südlichen, aber doch auch in der nörd- lichen Provinz focht (Liv. 52) und seine römischen Gegner also nicht bloſs einer Statthalterreihe angehören.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/19>, abgerufen am 24.04.2024.