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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um sich der in Rom
seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen Be-
griffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg sein Wort
nicht etwa bloss zu brechen, sondern zu verleugnen, und als die
Numantiner kamen um die letzte Zahlung zu machen, ihren und
seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluss des Vertrags einfach in
Abrede zu stellen. Die Sache kam zur rechtlichen Entscheidung
an den Senat zu Rom; während dort darüber verhandelt ward,
ruhte vor Numantia der Krieg und beschäftigte sich Laenas mit
einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus
beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Nu-
mantinern benachbarten Lusonen. Endlich kam die Entschei-
dung vom Senat; sie lautete auf Fortsetzung des Krieges -- man
betheiligte sich also von Staatswegen an dem Bubenstreich des
Pompeius. Mit ungeschwächtem Muth und erhöhter Erbitterung
nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht un-
glücklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger Gaius Ho-
stilius Mancinus (617). Die Demoralisation des Heeres nahm
unter den schlaffen und elenden Feldherrn in einer entsetzlichen
Weise zu; die Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit, Feigheit der Sol-
daten stand in üppigster Blüthe und führte endlich weit
mehr als die Numantiner eine Katastrophe herbei. Das blosse
überdies falsche Gerücht, dass die Cantabrer und Vaccaeer
zum Ersatz von Numantia heranrückten, bewog das römische
Heer ungeheissen in der Nacht das Lager zu räumen und sich in
die sechszehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzun-
gen (S. 6) zu flüchten. Die Numantiner, von dem Aufbruch in
Kenntniss gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und um-
zingelten sie; es blieb nur die Wahl mit dem Schwert in der
Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern ge-
stellten Bedingungen Frieden zu schliessen. Mehr als der Consul,
der persönlich ein Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt
war, bewirkte Tiberius Gracchus, der als Quaestor im Heere
diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der Ebro-
provinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, dass die
Numantiner sich mit einem billigen von allen Stabsoffizieren be-
schworenen Friedensvertrag genügen liessen. Allein der Senat
rief nicht bloss den Feldherrn sofort zurück, sondern liess auch
nach langer Berathung bei der Bürgerschaft darauf antragen
den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heisst
ihm die Ratification zu verweigern und die Verantwortlichkeit
dafür auf diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten.

VIERTES BUCH. KAPITEL I.
fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um sich der in Rom
seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen Be-
griffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg sein Wort
nicht etwa bloſs zu brechen, sondern zu verleugnen, und als die
Numantiner kamen um die letzte Zahlung zu machen, ihren und
seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluſs des Vertrags einfach in
Abrede zu stellen. Die Sache kam zur rechtlichen Entscheidung
an den Senat zu Rom; während dort darüber verhandelt ward,
ruhte vor Numantia der Krieg und beschäftigte sich Laenas mit
einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus
beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Nu-
mantinern benachbarten Lusonen. Endlich kam die Entschei-
dung vom Senat; sie lautete auf Fortsetzung des Krieges — man
betheiligte sich also von Staatswegen an dem Bubenstreich des
Pompeius. Mit ungeschwächtem Muth und erhöhter Erbitterung
nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht un-
glücklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger Gaius Ho-
stilius Mancinus (617). Die Demoralisation des Heeres nahm
unter den schlaffen und elenden Feldherrn in einer entsetzlichen
Weise zu; die Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit, Feigheit der Sol-
daten stand in üppigster Blüthe und führte endlich weit
mehr als die Numantiner eine Katastrophe herbei. Das bloſse
überdies falsche Gerücht, daſs die Cantabrer und Vaccaeer
zum Ersatz von Numantia heranrückten, bewog das römische
Heer ungeheiſsen in der Nacht das Lager zu räumen und sich in
die sechszehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzun-
gen (S. 6) zu flüchten. Die Numantiner, von dem Aufbruch in
Kenntniſs gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und um-
zingelten sie; es blieb nur die Wahl mit dem Schwert in der
Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern ge-
stellten Bedingungen Frieden zu schlieſsen. Mehr als der Consul,
der persönlich ein Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt
war, bewirkte Tiberius Gracchus, der als Quaestor im Heere
diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der Ebro-
provinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, daſs die
Numantiner sich mit einem billigen von allen Stabsoffizieren be-
schworenen Friedensvertrag genügen lieſsen. Allein der Senat
rief nicht bloſs den Feldherrn sofort zurück, sondern lieſs auch
nach langer Berathung bei der Bürgerschaft darauf antragen
den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heiſst
ihm die Ratification zu verweigern und die Verantwortlichkeit
dafür auf diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten.

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[14/0024] VIERTES BUCH. KAPITEL I. fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen Be- griffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg sein Wort nicht etwa bloſs zu brechen, sondern zu verleugnen, und als die Numantiner kamen um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluſs des Vertrags einfach in Abrede zu stellen. Die Sache kam zur rechtlichen Entscheidung an den Senat zu Rom; während dort darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschäftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Nu- mantinern benachbarten Lusonen. Endlich kam die Entschei- dung vom Senat; sie lautete auf Fortsetzung des Krieges — man betheiligte sich also von Staatswegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwächtem Muth und erhöhter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht un- glücklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger Gaius Ho- stilius Mancinus (617). Die Demoralisation des Heeres nahm unter den schlaffen und elenden Feldherrn in einer entsetzlichen Weise zu; die Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit, Feigheit der Sol- daten stand in üppigster Blüthe und führte endlich weit mehr als die Numantiner eine Katastrophe herbei. Das bloſse überdies falsche Gerücht, daſs die Cantabrer und Vaccaeer zum Ersatz von Numantia heranrückten, bewog das römische Heer ungeheiſsen in der Nacht das Lager zu räumen und sich in die sechszehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzun- gen (S. 6) zu flüchten. Die Numantiner, von dem Aufbruch in Kenntniſs gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und um- zingelten sie; es blieb nur die Wahl mit dem Schwert in der Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern ge- stellten Bedingungen Frieden zu schlieſsen. Mehr als der Consul, der persönlich ein Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius Gracchus, der als Quaestor im Heere diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der Ebro- provinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, daſs die Numantiner sich mit einem billigen von allen Stabsoffizieren be- schworenen Friedensvertrag genügen lieſsen. Allein der Senat rief nicht bloſs den Feldherrn sofort zurück, sondern lieſs auch nach langer Berathung bei der Bürgerschaft darauf antragen den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heiſst ihm die Ratification zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/24>, abgerufen am 28.03.2024.