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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in die-
sem haderten die Wittwe des letzten Königs Kleopatra (+ 665)
und dessen beide Söhne Soter II. Lathyros (+ 673) und Alexan-
der I. (+ 666), was die Ursache ward, dass auch Kypros auf längere
Zeit von Aegypten sich schied. Die Römer griffen in diese Wir-
ren nicht ein; ja als ihnen im J. 658 das kyrenische Reich durch
das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen sie
diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überliessen doch die
Landschaft im Wesentlichen sich selbst, indem sie die griechi-
schen Städte des Reiches, Kyrene Ptolemais Berenike zu Frei-
städten erklärten und denselben sogar die Nutzung der königli-
chen Domänen überwiesen. Die Oberaufsicht, die der Statthalter
von Africa über das Gebiet zu führen hatte, war bei dessen Ent-
legenheit noch weit mehr eine bloss nominelle als die des Statt-
halters von Makedonien über die hellenischen Freistädte. Die
Folgen dieser Massregel, die nicht aus dem Philhellenismus, son-
dern ohne Zweifel lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit
der römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben,
die unter gleichen Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bür-
gerkriege und Usurpationen zerrissen die Landschaft so sehr,
dass, als dort zufällig im J. 668 ein höherer römischer Offizier
erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten ihre Verhältnisse
zu ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begründen.
-- Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders,
am wenigsten besser geworden. Während des zwanzigjährigen
Erbfolgekrieges der beiden Halbbrüder Antiochos Grypos (+ 658)
und Antiochos von Kyzikos (+ 659), der sich nach dem Tode
derselben auf ihre Söhne forterbte, ward das Reich, um das man
stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die kilikischen See-
könige, die Araberscheiks der syrischen Wüste, die Fürsten der
Juden und die Magistrate der grösseren Städte fast mehr zu sa-
gen hatten als die Träger des Diadems. Inzwischen setzten im
westlichen Kilikien die Römer sich fest, und ging das wichtige
Mesopotamien definitiv über an die Parther. -- Die Monarchie
der Arsakiden hatte, hauptsächlich in Folge der Einfälle turani-
scher Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise
durchzumachen gehabt; erst der neunte Arsakide, Mithrada-
tes II. oder der Grosse (630?-667?) hatte dem Staat seine
überwiegende Stellung in Asien zurückgegeben, die Skythen zu-
rückgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des
Reiches vorgeschoben. Allein gegen das Ende seiner Regierung
lähmten neue Unruhen sein Regiment; während die Grossen des

VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in die-
sem haderten die Wittwe des letzten Königs Kleopatra († 665)
und dessen beide Söhne Soter II. Lathyros († 673) und Alexan-
der I. († 666), was die Ursache ward, daſs auch Kypros auf längere
Zeit von Aegypten sich schied. Die Römer griffen in diese Wir-
ren nicht ein; ja als ihnen im J. 658 das kyrenische Reich durch
das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen sie
diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überlieſsen doch die
Landschaft im Wesentlichen sich selbst, indem sie die griechi-
schen Städte des Reiches, Kyrene Ptolemais Berenike zu Frei-
städten erklärten und denselben sogar die Nutzung der königli-
chen Domänen überwiesen. Die Oberaufsicht, die der Statthalter
von Africa über das Gebiet zu führen hatte, war bei dessen Ent-
legenheit noch weit mehr eine bloſs nominelle als die des Statt-
halters von Makedonien über die hellenischen Freistädte. Die
Folgen dieser Maſsregel, die nicht aus dem Philhellenismus, son-
dern ohne Zweifel lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit
der römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben,
die unter gleichen Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bür-
gerkriege und Usurpationen zerrissen die Landschaft so sehr,
daſs, als dort zufällig im J. 668 ein höherer römischer Offizier
erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten ihre Verhältnisse
zu ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begründen.
— Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders,
am wenigsten besser geworden. Während des zwanzigjährigen
Erbfolgekrieges der beiden Halbbrüder Antiochos Grypos († 658)
und Antiochos von Kyzikos († 659), der sich nach dem Tode
derselben auf ihre Söhne forterbte, ward das Reich, um das man
stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die kilikischen See-
könige, die Araberscheiks der syrischen Wüste, die Fürsten der
Juden und die Magistrate der gröſseren Städte fast mehr zu sa-
gen hatten als die Träger des Diadems. Inzwischen setzten im
westlichen Kilikien die Römer sich fest, und ging das wichtige
Mesopotamien definitiv über an die Parther. — Die Monarchie
der Arsakiden hatte, hauptsächlich in Folge der Einfälle turani-
scher Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise
durchzumachen gehabt; erst der neunte Arsakide, Mithrada-
tes II. oder der Groſse (630?-667?) hatte dem Staat seine
überwiegende Stellung in Asien zurückgegeben, die Skythen zu-
rückgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des
Reiches vorgeschoben. Allein gegen das Ende seiner Regierung
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[254/0264] VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in die- sem haderten die Wittwe des letzten Königs Kleopatra († 665) und dessen beide Söhne Soter II. Lathyros († 673) und Alexan- der I. († 666), was die Ursache ward, daſs auch Kypros auf längere Zeit von Aegypten sich schied. Die Römer griffen in diese Wir- ren nicht ein; ja als ihnen im J. 658 das kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überlieſsen doch die Landschaft im Wesentlichen sich selbst, indem sie die griechi- schen Städte des Reiches, Kyrene Ptolemais Berenike zu Frei- städten erklärten und denselben sogar die Nutzung der königli- chen Domänen überwiesen. Die Oberaufsicht, die der Statthalter von Africa über das Gebiet zu führen hatte, war bei dessen Ent- legenheit noch weit mehr eine bloſs nominelle als die des Statt- halters von Makedonien über die hellenischen Freistädte. Die Folgen dieser Maſsregel, die nicht aus dem Philhellenismus, son- dern ohne Zweifel lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit der römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die unter gleichen Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bür- gerkriege und Usurpationen zerrissen die Landschaft so sehr, daſs, als dort zufällig im J. 668 ein höherer römischer Offizier erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten ihre Verhältnisse zu ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begründen. — Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten besser geworden. Während des zwanzigjährigen Erbfolgekrieges der beiden Halbbrüder Antiochos Grypos († 658) und Antiochos von Kyzikos († 659), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Söhne forterbte, ward das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die kilikischen See- könige, die Araberscheiks der syrischen Wüste, die Fürsten der Juden und die Magistrate der gröſseren Städte fast mehr zu sa- gen hatten als die Träger des Diadems. Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Römer sich fest, und ging das wichtige Mesopotamien definitiv über an die Parther. — Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsächlich in Folge der Einfälle turani- scher Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise durchzumachen gehabt; erst der neunte Arsakide, Mithrada- tes II. oder der Groſse (630?-667?) hatte dem Staat seine überwiegende Stellung in Asien zurückgegeben, die Skythen zu- rückgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben. Allein gegen das Ende seiner Regierung lähmten neue Unruhen sein Regiment; während die Groſsen des

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/264>, abgerufen am 16.04.2024.