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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern an-
gewiesenen Bewohner. Im Innern des weiten tunesischen Golfs,
den westlich Cap Farina, östlich Cap Bon begrenzt, lag die Stadt
auf einer in den Golf vorspringenden Landspitze, die an drei Sei-
ten vom Meer umflossen war und nur gegen Westen durch einen
etwa eine halbe Meile breiten niedrigen Landstreifen mit dem Fest-
land zusammenhing. Der ziemlich steile Abfall der Halbinsel ge-
gen die See und deren zahlreiche Klippen und Untiefen deckten
nach Norden und Osten die Stadt sicherer als Mauern gegen je-
den Angriff. An der West- oder Landseite schloss die Citadelle,
die Byrsa (syrisch Birtha=Burg) die Stadt, so dass ihre Aussen-
mauer zugleich die Stadtmauer bildete, ähnlich wie in Rom die
Felsenwand des Capitols. Auf diese Mauer, durch deren Thore
die ganze karthagische Landcommunication auf den beiden Haupt-
strassen nach Utica und nach Tunis sich bewegte, war alles ver-
wandt, was die damalige Befestigungskunst vermochte: in drei
Terrassen, jede 40 Ellen hoch und 22 breit, erhob sie sich und
gewährte in ihren beiden Stockwerken zugleich Stallungen für
Elephanten und Pferde und Quartier für die Besatzung. Hinter
ihr stieg der steile Burgfelsen empor, dessen obere Fläche von
2000 Doppelschritten im Umfang den gewaltigen auf einem Un-
terbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel des Heilgottes trug.
Endlich die Südseite der Stadt bespülte theils der seichte tune-
sische See im Südwesten, den eine von der karthagischen Halb-
insel südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge *
fast gänzlich von dem Golfe schied, theils im Südosten der offene
Golf. An dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der
Stadt, ein Werk von Menschenhand: der äussere oder der Han-
delshafen, von dessen nur 70 Fuss breiter Mündung nach bei-
den Seiten breite Quais am Wasser sich hinzogen und der innere
oder der Kriegshafen (Kothon, d. h. ,der kleine' Hafen genannt), in
den man durch den äusseren gelangte. Zwischen beiden ging die
Stadtmauer durch, die von da wo die Byrsa den tunesischen See
berührte ostwärts sich wendend die Landzunge und den Aussen-
hafen aus-, dagegen den Kriegshafen einschloss, so dass die Ein-
fahrt in den letzteren gleich einem Thor verschliessbar gedacht
werden muss. Unweit des Kriegshafens lag der Marktplatz, der
durch drei enge Strassen mit der nach der Stadtseite offenen

nannt, die in den Golf hineinragende östlichste Spitze der Halbinsel und ihr
höchster 393 F. über dem Meer gelegener Punct.
* Sie trägt jetzt das Fort Goletta.

VIERTES BUCH. KAPITEL I.
durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern an-
gewiesenen Bewohner. Im Innern des weiten tunesischen Golfs,
den westlich Cap Farina, östlich Cap Bon begrenzt, lag die Stadt
auf einer in den Golf vorspringenden Landspitze, die an drei Sei-
ten vom Meer umflossen war und nur gegen Westen durch einen
etwa eine halbe Meile breiten niedrigen Landstreifen mit dem Fest-
land zusammenhing. Der ziemlich steile Abfall der Halbinsel ge-
gen die See und deren zahlreiche Klippen und Untiefen deckten
nach Norden und Osten die Stadt sicherer als Mauern gegen je-
den Angriff. An der West- oder Landseite schloſs die Citadelle,
die Byrsa (syrisch Birtha=Burg) die Stadt, so daſs ihre Auſsen-
mauer zugleich die Stadtmauer bildete, ähnlich wie in Rom die
Felsenwand des Capitols. Auf diese Mauer, durch deren Thore
die ganze karthagische Landcommunication auf den beiden Haupt-
straſsen nach Utica und nach Tunis sich bewegte, war alles ver-
wandt, was die damalige Befestigungskunst vermochte: in drei
Terrassen, jede 40 Ellen hoch und 22 breit, erhob sie sich und
gewährte in ihren beiden Stockwerken zugleich Stallungen für
Elephanten und Pferde und Quartier für die Besatzung. Hinter
ihr stieg der steile Burgfelsen empor, dessen obere Fläche von
2000 Doppelschritten im Umfang den gewaltigen auf einem Un-
terbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel des Heilgottes trug.
Endlich die Südseite der Stadt bespülte theils der seichte tune-
sische See im Südwesten, den eine von der karthagischen Halb-
insel südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge *
fast gänzlich von dem Golfe schied, theils im Südosten der offene
Golf. An dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der
Stadt, ein Werk von Menschenhand: der äuſsere oder der Han-
delshafen, von dessen nur 70 Fuss breiter Mündung nach bei-
den Seiten breite Quais am Wasser sich hinzogen und der innere
oder der Kriegshafen (Kothon, d. h. ‚der kleine‘ Hafen genannt), in
den man durch den äuſseren gelangte. Zwischen beiden ging die
Stadtmauer durch, die von da wo die Byrsa den tunesischen See
berührte ostwärts sich wendend die Landzunge und den Auſsen-
hafen aus-, dagegen den Kriegshafen einschloſs, so daſs die Ein-
fahrt in den letzteren gleich einem Thor verschlieſsbar gedacht
werden muſs. Unweit des Kriegshafens lag der Marktplatz, der
durch drei enge Straſsen mit der nach der Stadtseite offenen

nannt, die in den Golf hineinragende östlichste Spitze der Halbinsel und ihr
höchster 393 F. über dem Meer gelegener Punct.
* Sie trägt jetzt das Fort Goletta.
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[28/0038] VIERTES BUCH. KAPITEL I. durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern an- gewiesenen Bewohner. Im Innern des weiten tunesischen Golfs, den westlich Cap Farina, östlich Cap Bon begrenzt, lag die Stadt auf einer in den Golf vorspringenden Landspitze, die an drei Sei- ten vom Meer umflossen war und nur gegen Westen durch einen etwa eine halbe Meile breiten niedrigen Landstreifen mit dem Fest- land zusammenhing. Der ziemlich steile Abfall der Halbinsel ge- gen die See und deren zahlreiche Klippen und Untiefen deckten nach Norden und Osten die Stadt sicherer als Mauern gegen je- den Angriff. An der West- oder Landseite schloſs die Citadelle, die Byrsa (syrisch Birtha=Burg) die Stadt, so daſs ihre Auſsen- mauer zugleich die Stadtmauer bildete, ähnlich wie in Rom die Felsenwand des Capitols. Auf diese Mauer, durch deren Thore die ganze karthagische Landcommunication auf den beiden Haupt- straſsen nach Utica und nach Tunis sich bewegte, war alles ver- wandt, was die damalige Befestigungskunst vermochte: in drei Terrassen, jede 40 Ellen hoch und 22 breit, erhob sie sich und gewährte in ihren beiden Stockwerken zugleich Stallungen für Elephanten und Pferde und Quartier für die Besatzung. Hinter ihr stieg der steile Burgfelsen empor, dessen obere Fläche von 2000 Doppelschritten im Umfang den gewaltigen auf einem Un- terbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel des Heilgottes trug. Endlich die Südseite der Stadt bespülte theils der seichte tune- sische See im Südwesten, den eine von der karthagischen Halb- insel südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge * fast gänzlich von dem Golfe schied, theils im Südosten der offene Golf. An dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von Menschenhand: der äuſsere oder der Han- delshafen, von dessen nur 70 Fuss breiter Mündung nach bei- den Seiten breite Quais am Wasser sich hinzogen und der innere oder der Kriegshafen (Kothon, d. h. ‚der kleine‘ Hafen genannt), in den man durch den äuſseren gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die von da wo die Byrsa den tunesischen See berührte ostwärts sich wendend die Landzunge und den Auſsen- hafen aus-, dagegen den Kriegshafen einschloſs, so daſs die Ein- fahrt in den letzteren gleich einem Thor verschlieſsbar gedacht werden muſs. Unweit des Kriegshafens lag der Marktplatz, der durch drei enge Straſsen mit der nach der Stadtseite offenen * * Sie trägt jetzt das Fort Goletta. * nannt, die in den Golf hineinragende östlichste Spitze der Halbinsel und ihr höchster 393 F. über dem Meer gelegener Punct.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/38>, abgerufen am 25.04.2024.