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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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KAPITEL XII.
Nationalität. Religion. Erziehung.

In dem grossen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des
weiten Umfangs des römischen Reiches erscheinen die secundä-
ren Nationen in dieser Zeit im Zurückweichen oder im Ver-
schwinden. Die bedeutendste unter allen, die phönikische, em-
pfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde, an der
sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die ihre
alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien
und Samnium, wurden nicht bloss von den schwersten Schlägen
der sullanischen Reaction getroffen, sondern die politische Nivel-
lirung Italiens nöthigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr die
lateinische Sprache und Weise auf und drückte die alten Landes-
sprachen herab zu rasch verkümmernden Volksdialekten. Nir-
gends mehr erscheint im ganzen Umfang des römischen Staates
eine Nationalität als befugt mit der römischen und der griechi-
schen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie intensiv die
latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie
seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem
Italiker zu vollem römischem Eigen zustehen, jeder italische
Tempelgott römische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien
mit Ausnahme der transpadanischen Landschaft seitdem das rö-
mische Recht mit Beseitigung aller anderen Stadt- und Land-
rechte ausschliesslich gilt: so ist auch damals die römische
Sprache die allgemeine Geschäfts- und bald gleichfalls die allge-
meine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der ganzen Halbinsel
von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie beschränkte

KAPITEL XII.
Nationalität. Religion. Erziehung.

In dem groſsen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des
weiten Umfangs des römischen Reiches erscheinen die secundä-
ren Nationen in dieser Zeit im Zurückweichen oder im Ver-
schwinden. Die bedeutendste unter allen, die phönikische, em-
pfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde, an der
sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die ihre
alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien
und Samnium, wurden nicht bloſs von den schwersten Schlägen
der sullanischen Reaction getroffen, sondern die politische Nivel-
lirung Italiens nöthigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr die
lateinische Sprache und Weise auf und drückte die alten Landes-
sprachen herab zu rasch verkümmernden Volksdialekten. Nir-
gends mehr erscheint im ganzen Umfang des römischen Staates
eine Nationalität als befugt mit der römischen und der griechi-
schen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie intensiv die
latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie
seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem
Italiker zu vollem römischem Eigen zustehen, jeder italische
Tempelgott römische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien
mit Ausnahme der transpadanischen Landschaft seitdem das rö-
mische Recht mit Beseitigung aller anderen Stadt- und Land-
rechte ausschlieſslich gilt: so ist auch damals die römische
Sprache die allgemeine Geschäfts- und bald gleichfalls die allge-
meine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der ganzen Halbinsel
von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie beschränkte

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[[386]/0396] KAPITEL XII. Nationalität. Religion. Erziehung. In dem groſsen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des weiten Umfangs des römischen Reiches erscheinen die secundä- ren Nationen in dieser Zeit im Zurückweichen oder im Ver- schwinden. Die bedeutendste unter allen, die phönikische, em- pfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde, an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und Samnium, wurden nicht bloſs von den schwersten Schlägen der sullanischen Reaction getroffen, sondern die politische Nivel- lirung Italiens nöthigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr die lateinische Sprache und Weise auf und drückte die alten Landes- sprachen herab zu rasch verkümmernden Volksdialekten. Nir- gends mehr erscheint im ganzen Umfang des römischen Staates eine Nationalität als befugt mit der römischen und der griechi- schen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie intensiv die latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem Italiker zu vollem römischem Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott römische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der transpadanischen Landschaft seitdem das rö- mische Recht mit Beseitigung aller anderen Stadt- und Land- rechte ausschlieſslich gilt: so ist auch damals die römische Sprache die allgemeine Geschäfts- und bald gleichfalls die allge- meine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie beschränkte

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. [386]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/396>, abgerufen am 28.03.2024.