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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen ward nicht ferner
beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im Wesentlichen ihr
bisheriges Gebiet mit Einschluss der kürzlich am Bagradas und
in Emporia den Karthagern entrissenen Districte; die lange ge-
nährte Hoffnung Karthago zur Hauptstadt zu erhalten ward für
immer vereitelt; dafür verehrte ihnen der Senat die karthagischen
Büchersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt
sie zuletzt besessen hatte, das heisst der schmale zunächst Sici-
lien gegenüberliegende Küstenstrich von Africa vom Tuscafluss
(Wadi Saine, der Insel Galita gegenüber) bis Thenae (der Insel
Karkenah gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnen-
land, wo die Uebergriffe Massinissas die karthagische Herr-
schaft fortwährend zurückgedrängt hatten und schon Vacca,
Zama, Bulla zu Numidien gehörten, blieb den Numidiern, was sie
besassen. Allein eine sorgfältige Regulirung der Grenze zwischen
der römischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe ein-
schliessenden numidischen Königreich zeugte davon, dass Rom
gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago ver-
stattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, an-
drerseits darauf hinzudeuten schien, dass Rom die gegenwärtig
abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte.
Die Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer
Statthalter, der in Utica seinen Sitz nahm; einer regelmässigen
Grenzvertheidigung bedurfte dieselbe nicht, da das verbündete
numidische Reich sie überall von den Bewohnern der Wüste
schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im Ganzen mit
Milde. Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica
verschenkten Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaf-
ten ward römisches Domanialland, welches man durch Verpach-
tung verwerthete. Die übrigen Ortschaften, sowohl diejenigen,
denen man ihre Gemeindeverfassung und ihr Gebiet garantirte,
wie Utica nebst den benachbarten kleinen Städten Usalis und
Theudalis, ferner an der Ostküste Hadrumetum, Kleinleptis,
Thapsus, Achulla und die neugegründete Gemeinde der Ueber-
läufer, als auch die eigentlichen Unterthanenstädte zahlten jähr-
lich nach Rom wie bisher nach Karthago eine feste Summe (I,
315), welche Rom von den Gemeinden erhob und diese mit-
telst einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflich-
tigen wieder einzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei
dieser Zerstörung der ersten Handelsstadt des Westens waren
die römischen Kaufleute, welche, so wie Karthago in Asche lag,
schaarenweise nach Utica strömten und von dort aus nicht bloss

VIERTES BUCH. KAPITEL I.
Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen ward nicht ferner
beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im Wesentlichen ihr
bisheriges Gebiet mit Einschluſs der kürzlich am Bagradas und
in Emporia den Karthagern entrissenen Districte; die lange ge-
nährte Hoffnung Karthago zur Hauptstadt zu erhalten ward für
immer vereitelt; dafür verehrte ihnen der Senat die karthagischen
Büchersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt
sie zuletzt besessen hatte, das heiſst der schmale zunächst Sici-
lien gegenüberliegende Küstenstrich von Africa vom Tuscafluſs
(Wadi Saine, der Insel Galita gegenüber) bis Thenae (der Insel
Karkenah gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnen-
land, wo die Uebergriffe Massinissas die karthagische Herr-
schaft fortwährend zurückgedrängt hatten und schon Vacca,
Zama, Bulla zu Numidien gehörten, blieb den Numidiern, was sie
besaſsen. Allein eine sorgfältige Regulirung der Grenze zwischen
der römischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe ein-
schlieſsenden numidischen Königreich zeugte davon, daſs Rom
gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago ver-
stattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, an-
drerseits darauf hinzudeuten schien, daſs Rom die gegenwärtig
abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte.
Die Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer
Statthalter, der in Utica seinen Sitz nahm; einer regelmäſsigen
Grenzvertheidigung bedurfte dieselbe nicht, da das verbündete
numidische Reich sie überall von den Bewohnern der Wüste
schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im Ganzen mit
Milde. Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica
verschenkten Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaf-
ten ward römisches Domanialland, welches man durch Verpach-
tung verwerthete. Die übrigen Ortschaften, sowohl diejenigen,
denen man ihre Gemeindeverfassung und ihr Gebiet garantirte,
wie Utica nebst den benachbarten kleinen Städten Usalis und
Theudalis, ferner an der Ostküste Hadrumetum, Kleinleptis,
Thapsus, Achulla und die neugegründete Gemeinde der Ueber-
läufer, als auch die eigentlichen Unterthanenstädte zahlten jähr-
lich nach Rom wie bisher nach Karthago eine feste Summe (I,
315), welche Rom von den Gemeinden erhob und diese mit-
telst einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflich-
tigen wieder einzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei
dieser Zerstörung der ersten Handelsstadt des Westens waren
die römischen Kaufleute, welche, so wie Karthago in Asche lag,
schaarenweise nach Utica strömten und von dort aus nicht bloſs

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[36/0046] VIERTES BUCH. KAPITEL I. Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen ward nicht ferner beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im Wesentlichen ihr bisheriges Gebiet mit Einschluſs der kürzlich am Bagradas und in Emporia den Karthagern entrissenen Districte; die lange ge- nährte Hoffnung Karthago zur Hauptstadt zu erhalten ward für immer vereitelt; dafür verehrte ihnen der Senat die karthagischen Büchersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heiſst der schmale zunächst Sici- lien gegenüberliegende Küstenstrich von Africa vom Tuscafluſs (Wadi Saine, der Insel Galita gegenüber) bis Thenae (der Insel Karkenah gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnen- land, wo die Uebergriffe Massinissas die karthagische Herr- schaft fortwährend zurückgedrängt hatten und schon Vacca, Zama, Bulla zu Numidien gehörten, blieb den Numidiern, was sie besaſsen. Allein eine sorgfältige Regulirung der Grenze zwischen der römischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe ein- schlieſsenden numidischen Königreich zeugte davon, daſs Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago ver- stattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, an- drerseits darauf hinzudeuten schien, daſs Rom die gegenwärtig abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter, der in Utica seinen Sitz nahm; einer regelmäſsigen Grenzvertheidigung bedurfte dieselbe nicht, da das verbündete numidische Reich sie überall von den Bewohnern der Wüste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im Ganzen mit Milde. Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaf- ten ward römisches Domanialland, welches man durch Verpach- tung verwerthete. Die übrigen Ortschaften, sowohl diejenigen, denen man ihre Gemeindeverfassung und ihr Gebiet garantirte, wie Utica nebst den benachbarten kleinen Städten Usalis und Theudalis, ferner an der Ostküste Hadrumetum, Kleinleptis, Thapsus, Achulla und die neugegründete Gemeinde der Ueber- läufer, als auch die eigentlichen Unterthanenstädte zahlten jähr- lich nach Rom wie bisher nach Karthago eine feste Summe (I, 315), welche Rom von den Gemeinden erhob und diese mit- telst einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflich- tigen wieder einzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung der ersten Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute, welche, so wie Karthago in Asche lag, schaarenweise nach Utica strömten und von dort aus nicht bloſs

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/46>, abgerufen am 25.04.2024.