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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
die römische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen ver-
schlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften auszu-
beuten begannen.

Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedo-
nien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossen-
schaften, in die die Weisheit des römischen Senats das alte König-
reich zerstückelt hatte, konnten in sich und unter einander nicht
zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein
einzelner zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo der gesammte
Regierungsrath einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften
eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die Com-
missionen, die der Senat abordnete (590), noch die nach grie-
chischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden
Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603), ver-
mochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien
plötzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos
nannte, den Sohn des Königs Perseus, welchem er auffallend
glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in dem
mysischen Adramyttion verlebt; allein in Kenntniss gesetzt von
seiner hohen Geburt hatte er nach einem vergeblichen Versuch
in seinem Heimathland sich geltend zu machen sich an seiner
Mutter Bruder König Demetrios Soter von Syrien gewandt und in
der That in dessen Reich einige Anhänger gefunden, bis der König,
von desen gedrängt den Philippos entweder in sein angeerbtes
Reich wieder einzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten,
um den tollen Treiben ein Ende zu machen den Prätendenten
gefangen gesetzt und den Römern ausgeliefert hatte. Indess der
Senat achtete des Menschen so wenig, dass er ihn in einer itali-
schen Stadt confinirte ohne ihn auch nur ernstlich zu bewachen.
So war er nach Milet entflohen, wo die städtischen Behörden ihn
wieder festsetzten und bei den römischen Gesandten anfragten,
was sie mit dem Gefangenen machen sollten. Diese riethen ihn
laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte er denn in Thra-
kien abermals sein Glück. Wunderbarer Weise fand der Präten-
dent hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloss bei den
thrakischen barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vater-
schwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzanti-
nern; mit thrakischer Unterstützung drang er in Makedonien ein
und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald
darauf einen Sieg über das makedonische Aufgebot in der Odo-
mantike jenseits des Strymon und bald darauf einen zweiten dies-
seit des Flusses, der ihm den Besitz von ganz Makedonien ver-

DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
die römische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen ver-
schlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften auszu-
beuten begannen.

Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedo-
nien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossen-
schaften, in die die Weisheit des römischen Senats das alte König-
reich zerstückelt hatte, konnten in sich und unter einander nicht
zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein
einzelner zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo der gesammte
Regierungsrath einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften
eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die Com-
missionen, die der Senat abordnete (590), noch die nach grie-
chischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden
Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603), ver-
mochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien
plötzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos
nannte, den Sohn des Königs Perseus, welchem er auffallend
glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in dem
mysischen Adramyttion verlebt; allein in Kenntniſs gesetzt von
seiner hohen Geburt hatte er nach einem vergeblichen Versuch
in seinem Heimathland sich geltend zu machen sich an seiner
Mutter Bruder König Demetrios Soter von Syrien gewandt und in
der That in dessen Reich einige Anhänger gefunden, bis der König,
von desen gedrängt den Philippos entweder in sein angeerbtes
Reich wieder einzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten,
um den tollen Treiben ein Ende zu machen den Prätendenten
gefangen gesetzt und den Römern ausgeliefert hatte. Indeſs der
Senat achtete des Menschen so wenig, daſs er ihn in einer itali-
schen Stadt confinirte ohne ihn auch nur ernstlich zu bewachen.
So war er nach Milet entflohen, wo die städtischen Behörden ihn
wieder festsetzten und bei den römischen Gesandten anfragten,
was sie mit dem Gefangenen machen sollten. Diese riethen ihn
laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte er denn in Thra-
kien abermals sein Glück. Wunderbarer Weise fand der Präten-
dent hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloſs bei den
thrakischen barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vater-
schwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzanti-
nern; mit thrakischer Unterstützung drang er in Makedonien ein
und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald
darauf einen Sieg über das makedonische Aufgebot in der Odo-
mantike jenseits des Strymon und bald darauf einen zweiten dies-
seit des Flusses, der ihm den Besitz von ganz Makedonien ver-

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[37/0047] DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. die römische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen ver- schlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften auszu- beuten begannen. Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedo- nien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossen- schaften, in die die Weisheit des römischen Senats das alte König- reich zerstückelt hatte, konnten in sich und unter einander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo der gesammte Regierungsrath einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die Com- missionen, die der Senat abordnete (590), noch die nach grie- chischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603), ver- mochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des Königs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in dem mysischen Adramyttion verlebt; allein in Kenntniſs gesetzt von seiner hohen Geburt hatte er nach einem vergeblichen Versuch in seinem Heimathland sich geltend zu machen sich an seiner Mutter Bruder König Demetrios Soter von Syrien gewandt und in der That in dessen Reich einige Anhänger gefunden, bis der König, von desen gedrängt den Philippos entweder in sein angeerbtes Reich wieder einzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten, um den tollen Treiben ein Ende zu machen den Prätendenten gefangen gesetzt und den Römern ausgeliefert hatte. Indeſs der Senat achtete des Menschen so wenig, daſs er ihn in einer itali- schen Stadt confinirte ohne ihn auch nur ernstlich zu bewachen. So war er nach Milet entflohen, wo die städtischen Behörden ihn wieder festsetzten und bei den römischen Gesandten anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen sollten. Diese riethen ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte er denn in Thra- kien abermals sein Glück. Wunderbarer Weise fand der Präten- dent hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloſs bei den thrakischen barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vater- schwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzanti- nern; mit thrakischer Unterstützung drang er in Makedonien ein und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald darauf einen Sieg über das makedonische Aufgebot in der Odo- mantike jenseits des Strymon und bald darauf einen zweiten dies- seit des Flusses, der ihm den Besitz von ganz Makedonien ver-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/47>, abgerufen am 29.03.2024.