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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
ser Unfug nicht mehr geduldet ward, der Schauplatz ewiger Bür-
gerkriege, die trotz der römischen Vermittlungsversuche auf der
alten ,Insel der hundert Städte' eine blühende Ortschaft nach
der andern in Ruinenhaufen verwandelten, vor allem aber der
rechte Sitz der Piraterie, wie denn zum Beispiel um diese Zeit
die Insel Siphnos durch eine kretische Corsarenflotte völlig aus-
geraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem Verlust seiner Be-
sitzungen und den seinem Handel zugefügten Schlägen (I, 593)
sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine letzten Kräfte
in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie gegen die
Kreter zu führen sich genöthigt sah (um 600) und in denen die
Römer zwar zu vermitteln suchten, indess ohne Ernst und wie
es scheint ohne Erfolg. Neben Kreta fing bald auch Kilikien an
für diese Flibustierwirthschaft eine zweite Heimath zu werden;
es war nicht bloss die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die
ihr hier Vorschub that, sondern der Usurpator Diodotos Try-
phon, der sich vom Sclaven zum König Syriens aufgeworfen
hatte (608-615), förderte, um durch Corsarenhülfe seinen
Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem rauhen oder
westlichen Kilikien mit allen Mitteln von oben herab die Pirate-
rie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten,
die zugleich die hauptsächlichsten Sclavenfänger und Sclaven-
händler waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmännischen Publi-
cum, sogar in Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Dul-
dung, an der selbst die Regierungen wenigstens durch Passivität
sich betheiligten. Das Uebel ward so ernsthaft, dass der Senat
um 611 seinen besten Mann Scipio Aemilianus nach Alexandreia
und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was sich
thun lasse. Allein dass die Vorstellungen der Römer die schwa-
chen Regierungen nicht stark machen konnten, war begreiflich;
es gab keine andere Abhülfe als geradezu eine Flotte in diesen Ge-
wässern zu unterhalten, wozu es wieder der römischen Regierung
an Energie und Consequenz gebrach. So blieb eben alles beim
Alten, die Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mit-
telmeere, der Menschenfang das einzige daselbst blühende Ge-
werbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu, die römi-
schen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem
Sclavenmarkt mit den Piratencapitänen als den bedeutendsten
Grosshändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem
und freundlichem Geschäftsverkehr.


DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
ser Unfug nicht mehr geduldet ward, der Schauplatz ewiger Bür-
gerkriege, die trotz der römischen Vermittlungsversuche auf der
alten ‚Insel der hundert Städte‘ eine blühende Ortschaft nach
der andern in Ruinenhaufen verwandelten, vor allem aber der
rechte Sitz der Piraterie, wie denn zum Beispiel um diese Zeit
die Insel Siphnos durch eine kretische Corsarenflotte völlig aus-
geraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem Verlust seiner Be-
sitzungen und den seinem Handel zugefügten Schlägen (I, 593)
sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine letzten Kräfte
in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie gegen die
Kreter zu führen sich genöthigt sah (um 600) und in denen die
Römer zwar zu vermitteln suchten, indeſs ohne Ernst und wie
es scheint ohne Erfolg. Neben Kreta fing bald auch Kilikien an
für diese Flibustierwirthschaft eine zweite Heimath zu werden;
es war nicht bloſs die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die
ihr hier Vorschub that, sondern der Usurpator Diodotos Try-
phon, der sich vom Sclaven zum König Syriens aufgeworfen
hatte (608-615), förderte, um durch Corsarenhülfe seinen
Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem rauhen oder
westlichen Kilikien mit allen Mitteln von oben herab die Pirate-
rie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten,
die zugleich die hauptsächlichsten Sclavenfänger und Sclaven-
händler waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmännischen Publi-
cum, sogar in Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Dul-
dung, an der selbst die Regierungen wenigstens durch Passivität
sich betheiligten. Das Uebel ward so ernsthaft, daſs der Senat
um 611 seinen besten Mann Scipio Aemilianus nach Alexandreia
und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was sich
thun lasse. Allein daſs die Vorstellungen der Römer die schwa-
chen Regierungen nicht stark machen konnten, war begreiflich;
es gab keine andere Abhülfe als geradezu eine Flotte in diesen Ge-
wässern zu unterhalten, wozu es wieder der römischen Regierung
an Energie und Consequenz gebrach. So blieb eben alles beim
Alten, die Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mit-
telmeere, der Menschenfang das einzige daselbst blühende Ge-
werbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu, die römi-
schen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem
Sclavenmarkt mit den Piratencapitänen als den bedeutendsten
Groſshändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem
und freundlichem Geschäftsverkehr.


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[61/0071] DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. ser Unfug nicht mehr geduldet ward, der Schauplatz ewiger Bür- gerkriege, die trotz der römischen Vermittlungsversuche auf der alten ‚Insel der hundert Städte‘ eine blühende Ortschaft nach der andern in Ruinenhaufen verwandelten, vor allem aber der rechte Sitz der Piraterie, wie denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische Corsarenflotte völlig aus- geraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem Verlust seiner Be- sitzungen und den seinem Handel zugefügten Schlägen (I, 593) sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine letzten Kräfte in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie gegen die Kreter zu führen sich genöthigt sah (um 600) und in denen die Römer zwar zu vermitteln suchten, indeſs ohne Ernst und wie es scheint ohne Erfolg. Neben Kreta fing bald auch Kilikien an für diese Flibustierwirthschaft eine zweite Heimath zu werden; es war nicht bloſs die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub that, sondern der Usurpator Diodotos Try- phon, der sich vom Sclaven zum König Syriens aufgeworfen hatte (608-615), förderte, um durch Corsarenhülfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem rauhen oder westlichen Kilikien mit allen Mitteln von oben herab die Pirate- rie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich die hauptsächlichsten Sclavenfänger und Sclaven- händler waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmännischen Publi- cum, sogar in Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Dul- dung, an der selbst die Regierungen wenigstens durch Passivität sich betheiligten. Das Uebel ward so ernsthaft, daſs der Senat um 611 seinen besten Mann Scipio Aemilianus nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was sich thun lasse. Allein daſs die Vorstellungen der Römer die schwa- chen Regierungen nicht stark machen konnten, war begreiflich; es gab keine andere Abhülfe als geradezu eine Flotte in diesen Ge- wässern zu unterhalten, wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Consequenz gebrach. So blieb eben alles beim Alten, die Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mit- telmeere, der Menschenfang das einzige daselbst blühende Ge- werbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu, die römi- schen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem Sclavenmarkt mit den Piratencapitänen als den bedeutendsten Groſshändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem und freundlichem Geschäftsverkehr.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/71>, abgerufen am 24.04.2024.