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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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hemmt als constatirt ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinn-
ten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, thaten sich in He-
tärien zusammen; die Masse der Bürgerschaft, so weit sie über-
haupt an den politischen Vorgängen regelmässig sich betheiligte,
bildete gleichfalls nach den Stimmbezirken geschlossene und fast
militärisch organisirte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke,
den ,Bezirkvertheilern' (divisores tribuum) ihre natürlichen Haupt-
leute und Mittelsmänner fanden. Feil war diesen politischen Clubs
alles: die Stimme des Wählers vor allem, aber auch die des Rath-
manns und des Richters, auch die Fäuste, die den Strassenkrawall
machten und die Rottenführer, die ihn lenkten -- nur im Tarif un-
terschieden sich die Associationen der Vornehmen und der Gerin-
gen. Die Hetärie entschied die Wahlen, die Hetärie beschloss die
Anklagen, die Hetärie leitete die Vertheidigung; sie gewann den an-
gesehenen Advokaten, sie accordirte im Nothfall wegen der Frei-
sprechung mit einem der Speculanten, die den einträglichen Handel
mit Richterstimmen im Grossen betrieben. Die Hetärie beherrschte
durch ihre geschlossenen Banden die Strassen der Hauptstadt und
damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer
gewissen Regel und so zu sagen öffentlich; das Hetärienwesen war
besser geordnet und besorgt als irgend ein Zweig der Staatsver-
waltung; wenn auch, wie es unter civilisirten Gaunern üblich ist,
von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Ein-
verständniss nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch Nie-
mand dessen ein Hehl und angesehene Sachwalter scheuten sich
nicht ihr Verhältniss zu den Hetärien ihrer Clienten öffentlich
und verständlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzel-
ner Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem öffentlichen
Leben sich entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politi-
scher Don Quixote. An die Stelle der Parteien und des Parteien-
kampfes traten die Clubs und deren Concurrenz, an die Stelle
des Regiments die Intrigue. Ein mehr als zweideutiger Charak-
ter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, später
als Ueberläufer von Sulla zu Gnaden aufgenommen (II, 308),
spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der einfluss-
reichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischenträger und Vermittler
zwischen den senatorischen Fractionen und als staatsmännischer
Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied über die
Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner
Mätresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur möglich, wo
keiner der politisch thätigen Männer sich über die Linie des Ge-
wöhnlichen erhob; jedes ausserordentliche Talent hätte diese

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hemmt als constatirt ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinn-
ten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, thaten sich in He-
tärien zusammen; die Masse der Bürgerschaft, so weit sie über-
haupt an den politischen Vorgängen regelmäſsig sich betheiligte,
bildete gleichfalls nach den Stimmbezirken geschlossene und fast
militärisch organisirte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke,
den ‚Bezirkvertheilern‘ (divisores tribuum) ihre natürlichen Haupt-
leute und Mittelsmänner fanden. Feil war diesen politischen Clubs
alles: die Stimme des Wählers vor allem, aber auch die des Rath-
manns und des Richters, auch die Fäuste, die den Straſsenkrawall
machten und die Rottenführer, die ihn lenkten — nur im Tarif un-
terschieden sich die Associationen der Vornehmen und der Gerin-
gen. Die Hetärie entschied die Wahlen, die Hetärie beschloſs die
Anklagen, die Hetärie leitete die Vertheidigung; sie gewann den an-
gesehenen Advokaten, sie accordirte im Nothfall wegen der Frei-
sprechung mit einem der Speculanten, die den einträglichen Handel
mit Richterstimmen im Groſsen betrieben. Die Hetärie beherrschte
durch ihre geschlossenen Banden die Straſsen der Hauptstadt und
damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer
gewissen Regel und so zu sagen öffentlich; das Hetärienwesen war
besser geordnet und besorgt als irgend ein Zweig der Staatsver-
waltung; wenn auch, wie es unter civilisirten Gaunern üblich ist,
von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Ein-
verständniſs nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch Nie-
mand dessen ein Hehl und angesehene Sachwalter scheuten sich
nicht ihr Verhältniſs zu den Hetärien ihrer Clienten öffentlich
und verständlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzel-
ner Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem öffentlichen
Leben sich entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politi-
scher Don Quixote. An die Stelle der Parteien und des Parteien-
kampfes traten die Clubs und deren Concurrenz, an die Stelle
des Regiments die Intrigue. Ein mehr als zweideutiger Charak-
ter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, später
als Ueberläufer von Sulla zu Gnaden aufgenommen (II, 308),
spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der einfluſs-
reichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischenträger und Vermittler
zwischen den senatorischen Fractionen und als staatsmännischer
Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied über die
Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner
Mätresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur möglich, wo
keiner der politisch thätigen Männer sich über die Linie des Ge-
wöhnlichen erhob; jedes auſserordentliche Talent hätte diese

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[7/0017] LEPIDUS UND SERTORIUS. hemmt als constatirt ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinn- ten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, thaten sich in He- tärien zusammen; die Masse der Bürgerschaft, so weit sie über- haupt an den politischen Vorgängen regelmäſsig sich betheiligte, bildete gleichfalls nach den Stimmbezirken geschlossene und fast militärisch organisirte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke, den ‚Bezirkvertheilern‘ (divisores tribuum) ihre natürlichen Haupt- leute und Mittelsmänner fanden. Feil war diesen politischen Clubs alles: die Stimme des Wählers vor allem, aber auch die des Rath- manns und des Richters, auch die Fäuste, die den Straſsenkrawall machten und die Rottenführer, die ihn lenkten — nur im Tarif un- terschieden sich die Associationen der Vornehmen und der Gerin- gen. Die Hetärie entschied die Wahlen, die Hetärie beschloſs die Anklagen, die Hetärie leitete die Vertheidigung; sie gewann den an- gesehenen Advokaten, sie accordirte im Nothfall wegen der Frei- sprechung mit einem der Speculanten, die den einträglichen Handel mit Richterstimmen im Groſsen betrieben. Die Hetärie beherrschte durch ihre geschlossenen Banden die Straſsen der Hauptstadt und damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer gewissen Regel und so zu sagen öffentlich; das Hetärienwesen war besser geordnet und besorgt als irgend ein Zweig der Staatsver- waltung; wenn auch, wie es unter civilisirten Gaunern üblich ist, von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Ein- verständniſs nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch Nie- mand dessen ein Hehl und angesehene Sachwalter scheuten sich nicht ihr Verhältniſs zu den Hetärien ihrer Clienten öffentlich und verständlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzel- ner Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem öffentlichen Leben sich entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politi- scher Don Quixote. An die Stelle der Parteien und des Parteien- kampfes traten die Clubs und deren Concurrenz, an die Stelle des Regiments die Intrigue. Ein mehr als zweideutiger Charak- ter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, später als Ueberläufer von Sulla zu Gnaden aufgenommen (II, 308), spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der einfluſs- reichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischenträger und Vermittler zwischen den senatorischen Fractionen und als staatsmännischer Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied über die Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner Mätresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur möglich, wo keiner der politisch thätigen Männer sich über die Linie des Ge- wöhnlichen erhob; jedes auſserordentliche Talent hätte diese

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/17>, abgerufen am 29.03.2024.