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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Factionenwirthschaft wie Spinneweben weggefegt; aber eben an
politischen und militärischen Capacitäten war der bitterste Man-
gel. Von dem älteren Geschlecht hatten die Bürgerkriege keinen
einzigen angesehenen Mann übrig gelassen als den alten klugen
redegewandten Lucius Philippus Consul 663, der, früher popular
gesinnt und Führer der Capitalistenpartei gegen den Senat, dann
mit den Marianern eng verknüpft, endlich zeitig genug um Dank
und Lohn zu ernten übergetreten zu der siegenden Oligarchie,
zwischen den Parteien durchgeschlüpft war. Unter den Männern
der folgenden Generation waren die namhaftesten Häupter der
reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius Consul 674, Sullas
Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Con-
sul in Sullas Todesjahr 676, der Sohn des Siegers von Vercellae;
und zwei jüngere Offiziere, die beiden Brüder Lucius und Marcus
Lucullus, von denen jener in Asien, dieser in Italien mit Aus-
zeichnung unter Sulla gefochten hatte; um zu schweigen von
Optimaten wie Quintus Hortensius (640--704), der nur als
Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus Junius Bru-
tus (Consul 677), Mamercus Aemilius Lepidus Livianus (Consul
677) und andere solche Nullitäten, an denen der vollklingende
aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch jene vier
Männer erhoben sich wenig über den Durchschnittswerth der
vornehmen Adlichen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Va-
ter ein feingebildeter Mann und ein ehrlicher Aristokrat, aber von
mässigen Talenten und namentlich kein Soldat. Metellus war nicht
bloss ein persönlich achtbarer Charakter, sondern auch ein fä-
higer und erprobter Offizier und nicht einzig wegen seiner engen
verwandtschaftlichen und collegialischen Beziehungen zu dem
Regenten, sondern vor allem wegen seiner anerkannten Tüchtig-
keit nach Niederlegung des Consulats im J. 675 nach Spanien
gesandt worden, als dort die Lusitaner und die römischen Emi-
granten unter Quintus Sertorius abermals sich regten. Tüchtige
Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der ältere,
der ein sehr achtbares militärisches Talent mit gründlicher litte-
rarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte
und auch als Mensch ehrenwerth erschien. Allein als Staats-
männer waren doch selbst diese besseren Aristokraten nicht viel
weniger schlaff und kurzsichtig als die Dutzendsenatoren der
Zeit. Dem äusseren Feind gegenüber bewährten Metellus und
die Luculler sich wohl als brauchbar und brav; aber keiner von
ihnen bezeigte Lust und Geschick die eigentlich politischen Auf-
gaben zu lösen und das Staatsschiff durch die bewegte See der

FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Factionenwirthschaft wie Spinneweben weggefegt; aber eben an
politischen und militärischen Capacitäten war der bitterste Man-
gel. Von dem älteren Geschlecht hatten die Bürgerkriege keinen
einzigen angesehenen Mann übrig gelassen als den alten klugen
redegewandten Lucius Philippus Consul 663, der, früher popular
gesinnt und Führer der Capitalistenpartei gegen den Senat, dann
mit den Marianern eng verknüpft, endlich zeitig genug um Dank
und Lohn zu ernten übergetreten zu der siegenden Oligarchie,
zwischen den Parteien durchgeschlüpft war. Unter den Männern
der folgenden Generation waren die namhaftesten Häupter der
reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius Consul 674, Sullas
Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Con-
sul in Sullas Todesjahr 676, der Sohn des Siegers von Vercellae;
und zwei jüngere Offiziere, die beiden Brüder Lucius und Marcus
Lucullus, von denen jener in Asien, dieser in Italien mit Aus-
zeichnung unter Sulla gefochten hatte; um zu schweigen von
Optimaten wie Quintus Hortensius (640—704), der nur als
Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus Junius Bru-
tus (Consul 677), Mamercus Aemilius Lepidus Livianus (Consul
677) und andere solche Nullitäten, an denen der vollklingende
aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch jene vier
Männer erhoben sich wenig über den Durchschnittswerth der
vornehmen Adlichen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Va-
ter ein feingebildeter Mann und ein ehrlicher Aristokrat, aber von
mäſsigen Talenten und namentlich kein Soldat. Metellus war nicht
bloſs ein persönlich achtbarer Charakter, sondern auch ein fä-
higer und erprobter Offizier und nicht einzig wegen seiner engen
verwandtschaftlichen und collegialischen Beziehungen zu dem
Regenten, sondern vor allem wegen seiner anerkannten Tüchtig-
keit nach Niederlegung des Consulats im J. 675 nach Spanien
gesandt worden, als dort die Lusitaner und die römischen Emi-
granten unter Quintus Sertorius abermals sich regten. Tüchtige
Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der ältere,
der ein sehr achtbares militärisches Talent mit gründlicher litte-
rarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte
und auch als Mensch ehrenwerth erschien. Allein als Staats-
männer waren doch selbst diese besseren Aristokraten nicht viel
weniger schlaff und kurzsichtig als die Dutzendsenatoren der
Zeit. Dem äusseren Feind gegenüber bewährten Metellus und
die Luculler sich wohl als brauchbar und brav; aber keiner von
ihnen bezeigte Lust und Geschick die eigentlich politischen Auf-
gaben zu lösen und das Staatsschiff durch die bewegte See der

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[8/0018] FÜNFTES BUCH. KAPITEL I. Factionenwirthschaft wie Spinneweben weggefegt; aber eben an politischen und militärischen Capacitäten war der bitterste Man- gel. Von dem älteren Geschlecht hatten die Bürgerkriege keinen einzigen angesehenen Mann übrig gelassen als den alten klugen redegewandten Lucius Philippus Consul 663, der, früher popular gesinnt und Führer der Capitalistenpartei gegen den Senat, dann mit den Marianern eng verknüpft, endlich zeitig genug um Dank und Lohn zu ernten übergetreten zu der siegenden Oligarchie, zwischen den Parteien durchgeschlüpft war. Unter den Männern der folgenden Generation waren die namhaftesten Häupter der reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius Consul 674, Sullas Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Con- sul in Sullas Todesjahr 676, der Sohn des Siegers von Vercellae; und zwei jüngere Offiziere, die beiden Brüder Lucius und Marcus Lucullus, von denen jener in Asien, dieser in Italien mit Aus- zeichnung unter Sulla gefochten hatte; um zu schweigen von Optimaten wie Quintus Hortensius (640—704), der nur als Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus Junius Bru- tus (Consul 677), Mamercus Aemilius Lepidus Livianus (Consul 677) und andere solche Nullitäten, an denen der vollklingende aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch jene vier Männer erhoben sich wenig über den Durchschnittswerth der vornehmen Adlichen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Va- ter ein feingebildeter Mann und ein ehrlicher Aristokrat, aber von mäſsigen Talenten und namentlich kein Soldat. Metellus war nicht bloſs ein persönlich achtbarer Charakter, sondern auch ein fä- higer und erprobter Offizier und nicht einzig wegen seiner engen verwandtschaftlichen und collegialischen Beziehungen zu dem Regenten, sondern vor allem wegen seiner anerkannten Tüchtig- keit nach Niederlegung des Consulats im J. 675 nach Spanien gesandt worden, als dort die Lusitaner und die römischen Emi- granten unter Quintus Sertorius abermals sich regten. Tüchtige Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der ältere, der ein sehr achtbares militärisches Talent mit gründlicher litte- rarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte und auch als Mensch ehrenwerth erschien. Allein als Staats- männer waren doch selbst diese besseren Aristokraten nicht viel weniger schlaff und kurzsichtig als die Dutzendsenatoren der Zeit. Dem äusseren Feind gegenüber bewährten Metellus und die Luculler sich wohl als brauchbar und brav; aber keiner von ihnen bezeigte Lust und Geschick die eigentlich politischen Auf- gaben zu lösen und das Staatsschiff durch die bewegte See der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/18>, abgerufen am 19.04.2024.