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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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KAPITEL VI.
Die Unterwerfung des Westens.

Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egois-
mus, der in der Curie und auf den Strassen der Hauptstadt seine
Schlachten schlug, sich der Gang der Geschichte wieder zu wich-
tigeren Dingen wendet, als die Frage ist, ob der erste Monarch
Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heissen wird, so mag es wohl
gestattet sein an der Schwelle eines Ereignisses, dessen Folgen
noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen Augenblick
umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem
die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Römer und
ihre ersten Berührungen mit den Bewohnern Deutschlands und
Grossbritanniens weltgeschichtlich aufzufassen sind. -- Kraft des
Gesetzes, dass das zum Staat entwickelte Volk die politisch, das
civilisirte die geistig unmündigen Nachbaren in sich auflöst -- Kraft
dieses Gesetzes, das so allgemeingültig und so sehr Naturgesetz
ist wie das Gesetz der Schwere, war die italische Nation, die ein-
zige des Alterthums, welche die höhere politische Entwicklung
und die höhere Civilisation, wenn auch letztere nur in unvoll-
kommener und äusserlicher Weise, mit einander zu verbinden
vermocht hat, befugt die zum Untergang reifen griechischen Staa-
ten des Ostens sich unterthan zu machen und die Völkerschaften
niedrigerer Culturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Ger-
manen durch ihre Ansiedler zu verdrängen -- eben wie England
mit gleichem Recht in Ostindien eine ebenbürtige, aber politisch
impotente Civilisation sich unterworfen, in Amerika und Austra-
lien ausgedehnte barbarische Landschaften mit dem Stempel sei-

KAPITEL VI.
Die Unterwerfung des Westens.

Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egois-
mus, der in der Curie und auf den Straſsen der Hauptstadt seine
Schlachten schlug, sich der Gang der Geschichte wieder zu wich-
tigeren Dingen wendet, als die Frage ist, ob der erste Monarch
Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heiſsen wird, so mag es wohl
gestattet sein an der Schwelle eines Ereignisses, dessen Folgen
noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen Augenblick
umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem
die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Römer und
ihre ersten Berührungen mit den Bewohnern Deutschlands und
Groſsbritanniens weltgeschichtlich aufzufassen sind. — Kraft des
Gesetzes, daſs das zum Staat entwickelte Volk die politisch, das
civilisirte die geistig unmündigen Nachbaren in sich auflöst — Kraft
dieses Gesetzes, das so allgemeingültig und so sehr Naturgesetz
ist wie das Gesetz der Schwere, war die italische Nation, die ein-
zige des Alterthums, welche die höhere politische Entwicklung
und die höhere Civilisation, wenn auch letztere nur in unvoll-
kommener und äuſserlicher Weise, mit einander zu verbinden
vermocht hat, befugt die zum Untergang reifen griechischen Staa-
ten des Ostens sich unterthan zu machen und die Völkerschaften
niedrigerer Culturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Ger-
manen durch ihre Ansiedler zu verdrängen — eben wie England
mit gleichem Recht in Ostindien eine ebenbürtige, aber politisch
impotente Civilisation sich unterworfen, in Amerika und Austra-
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[[201]/0211] KAPITEL VI. Die Unterwerfung des Westens. Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egois- mus, der in der Curie und auf den Straſsen der Hauptstadt seine Schlachten schlug, sich der Gang der Geschichte wieder zu wich- tigeren Dingen wendet, als die Frage ist, ob der erste Monarch Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heiſsen wird, so mag es wohl gestattet sein an der Schwelle eines Ereignisses, dessen Folgen noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen Augenblick umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Römer und ihre ersten Berührungen mit den Bewohnern Deutschlands und Groſsbritanniens weltgeschichtlich aufzufassen sind. — Kraft des Gesetzes, daſs das zum Staat entwickelte Volk die politisch, das civilisirte die geistig unmündigen Nachbaren in sich auflöst — Kraft dieses Gesetzes, das so allgemeingültig und so sehr Naturgesetz ist wie das Gesetz der Schwere, war die italische Nation, die ein- zige des Alterthums, welche die höhere politische Entwicklung und die höhere Civilisation, wenn auch letztere nur in unvoll- kommener und äuſserlicher Weise, mit einander zu verbinden vermocht hat, befugt die zum Untergang reifen griechischen Staa- ten des Ostens sich unterthan zu machen und die Völkerschaften niedrigerer Culturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Ger- manen durch ihre Ansiedler zu verdrängen — eben wie England mit gleichem Recht in Ostindien eine ebenbürtige, aber politisch impotente Civilisation sich unterworfen, in Amerika und Austra- lien ausgedehnte barbarische Landschaften mit dem Stempel sei-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. [201]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/211>, abgerufen am 28.03.2024.