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Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888.

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Jahrhunderts die Geige durchbrochen und wie viele Frauen zeichnen12.366
sich jetzt schon als Violinvirtuosinnen aus.12.367

Componistinnen wie Fanny Hensel, Le Beau, Emilie Meyer,12.368
Lina Ramann, Mary Wurm, Malerinnen wie Angelika 12.369
Kauffmann, Luise Seidler, Rosa Bonheur und die auf unseren 12.370
Ausstellungen in reicher Anzahl vertretenen Künstlerinnen widerlegen12.371
Ihr Vorurteil ebenso wie Dichterinnen und Schriftstellerinnen von12.372
dem Werte der Annette von Droste-Hülshoff, George Sand, George12.373
Elliot, Frau von Staßl, Fanny Lewald u. a. m., deren Werke ihre12.374
Zeit überdauern.12.375

Wie Sie, hochgeehrter Herr Professor, erkennen auch wir als12.376
erste und glücklichste Bestimmung der Frau das Wirken im Hause,12.377
innerhalb des Familienlebens und für dasselbe; aber wie Sie es12.378
wissen und ausgesprochen haben und wie die Statistik es nachweist,12.379
existieren allein im deutschen Reiche über 2 Millionen Frauen, welche12.380
dazu verurteilt sind, nicht zu heiraten, und die daher gezwungen12.381
werden, einen Beruf zu ergreifen, der ihnen die Möglichkeit der12.382
Selbsterhaltung gewährt, um niemand zur Last zu fallen. --12.383
Es klingt wie Hohn, wenn Sie, hochgeehrter Herr Professor, sagen:12.384
Warum hat sich denn das Frauengeschlecht in diese zweite Stellung12.385
bringen lassen?
Wie sollte die Frau bei dem Geschlechtsdespotismus12.386
des Mannes sich die erste Stellung haben erringen können? Über12.387
ihr Recht entschieden bisher nur die Männer, die ihre wirtschaftliche12.388
und juridische Stellung Jahrtausende lang garnicht in Betracht12.389
zogen. Ist es doch kaum hundert Jahre her, daß ein Philosoph12.390
aussprach: Frauen sind keine Menschen! Dagegen freilich der 12.391
berühmte Rechtsgelehrte Harprecht geschrieben hat: Welcher 12.392
vertheydiget und bejahet, daß die Weiber keine Menschen seyn, derselbe12.393
verunehrt die Mütterliche Asche, er wäre würdig, daß er nicht aus12.394
einer Mutter zum Menschen, sondern von einem Schwein gebohren12.395
würde! u. s. w.
Aber Macht geht vor Recht. Die Thatsache steht12.396
fest, daß die Gesetze, welche der Frau bei den verschiedensten 12.397
Kulturvölkern gegeben sind, ohne ihr Zuthun und ohne sie nach ihrem12.398
Willen zu fragen, von den Männern gemacht wurden und daß12.399
alle ihr zustehenden Rechte, selbst bei der liberalsten Gesetzgebung12.400
immer wie Gnadenakte erteilt wurden. die gerade das Gegenteil12.401
von Recht sind. Secretan sagte in seinem "Das Recht der12.402
Frau": Jedes Individuum, das nichts anderes ist und thut, als12.403
was ein Anderer ihm zu sein und zu thun erlaubt, ist der Sklave12.404
dieses Anderen, und jede Klasse, die nichts anderes ist und thut,12.405
als was eine andere Klasse ihr zu sein und zu thun vorschreibt, ist12.406
Sklavin dieser Klasse.
Diese absolute Autorität, welche die eine12.407

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sich jetzt schon als Violinvirtuosinnen aus.12.367

Componistinnen wie Fanny Hensel, Le Beau, Emilie Meyer,12.368
Lina Ramann, Mary Wurm, Malerinnen wie Angelika 12.369
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Ihr Vorurteil ebenso wie Dichterinnen und Schriftstellerinnen von12.372
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Elliot, Frau von Staßl, Fanny Lewald u. a. m., deren Werke ihre12.374
Zeit überdauern.12.375

Wie Sie, hochgeehrter Herr Professor, erkennen auch wir als12.376
erste und glücklichste Bestimmung der Frau das Wirken im Hause,12.377
innerhalb des Familienlebens und für dasselbe; aber wie Sie es12.378
wissen und ausgesprochen haben und wie die Statistik es nachweist,12.379
existieren allein im deutschen Reiche über 2 Millionen Frauen, welche12.380
dazu verurteilt sind, nicht zu heiraten, und die daher gezwungen12.381
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Selbsterhaltung gewährt, um niemand zur Last zu fallen. —12.383
Es klingt wie Hohn, wenn Sie, hochgeehrter Herr Professor, sagen:12.384
Warum hat sich denn das Frauengeschlecht in diese zweite Stellung12.385
bringen lassen?
Wie sollte die Frau bei dem Geschlechtsdespotismus12.386
des Mannes sich die erste Stellung haben erringen können? Über12.387
ihr Recht entschieden bisher nur die Männer, die ihre wirtschaftliche12.388
und juridische Stellung Jahrtausende lang garnicht in Betracht12.389
zogen. Ist es doch kaum hundert Jahre her, daß ein Philosoph12.390
aussprach: Frauen sind keine Menschen! Dagegen freilich der 12.391
berühmte Rechtsgelehrte Harprecht geschrieben hat: Welcher 12.392
vertheydiget und bejahet, daß die Weiber keine Menschen seyn, derselbe12.393
verunehrt die Mütterliche Asche, er wäre würdig, daß er nicht aus12.394
einer Mutter zum Menschen, sondern von einem Schwein gebohren12.395
würde! u. s. w.
Aber Macht geht vor Recht. Die Thatsache steht12.396
fest, daß die Gesetze, welche der Frau bei den verschiedensten 12.397
Kulturvölkern gegeben sind, ohne ihr Zuthun und ohne sie nach ihrem12.398
Willen zu fragen, von den Männern gemacht wurden und daß12.399
alle ihr zustehenden Rechte, selbst bei der liberalsten Gesetzgebung12.400
immer wie Gnadenakte erteilt wurden. die gerade das Gegenteil12.401
von Recht sind. Secrétan sagte in seinem „Das Recht der12.402
Frau": Jedes Individuum, das nichts anderes ist und thut, als12.403
was ein Anderer ihm zu sein und zu thun erlaubt, ist der Sklave12.404
dieses Anderen, und jede Klasse, die nichts anderes ist und thut,12.405
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Zitationshilfe: Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/morgenstern_studium_1888/11>, abgerufen am 19.04.2024.