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Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888.

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Hälfte des Menschengeschlechtes über die andere ausübt, weil sie13.408
die stärkere ist und war, führte zur Sklaverei der Frau, deren13.409
abscheuliche Folgen wir nicht nur bei den wilden und barbarischen13.410
Völkerschaften beobachten, sondern heut noch bei uns -- wo man13.411
in einem Atem die Frau als die Priesterin der Sitte naturgemäß13.412
in's Haus weist -- und dennoch eine vom Staate geduldete und13.413
kontrollierte Prostitution bestehen läßt und gut heißt. Begreifen Sie13.414
nun, hochgeehrter Herr Professor, warum die Frauen es sich 13.415
gefallen lassen mußten, die zweite Stellung einzunehmen! Sehr einfach!13.416
Es fehlt ihnen die Macht sich ihr Recht zu erzwingen.13.417

Der Mangel des Stimmrechtssagt Hedwig Dohm in13.418
ihrem vortrefflichen Buch: "Der Frauen Natur und Recht" 13.419
bedeutet für die Frau: Du hast kein Recht am Eigentum, keines an13.420
selbstbestimmendem Beruf und Unterricht, kein volles Recht an13.421
Deinen Kindern, Du bist der Gewalt des Mannes anheimgegeben.
13.422

Aber die Gesetzgebung des Mannes unterdrückte nicht nur13.423
äußerlich die Frau, sondern sie verurteilte sie zu geistiger 13.424
Knechtschaft. Ihre ganze Denk- und Gefühlsweise wurde durch einen13.425
beschränkten Schulunterricht und eine noch beschränktere Erziehung13.426
eingedämmt. Man faßte dabei nur die Ehe und die Mutterschaft13.426
in's Auge und konnte doch nicht ändern, daß Millionen Mädchen13.427
durch die bestehenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatlichen13.428
Verhältnisse zur Ehelosigkeit und zur Entsagung des Mutterglücks13.429
verurteilt sind. Und selbst für diesen als natürlich hingestellten13.430
Beruf wurden die Mädchen nie genügend und rationell vorbereitet.13.431

Während dem Manne alle Bildungsanstalten für den frei zu13.432
erwählenden Fachberuf offen stehen, alle Bildungsmittel und 13.433
ausreichende Lehrzeit gegeben ist, forderte man von der Frau, daß die13.434
Familientradition ausreiche, um sie für den so komplizierten 13.435
häuslichen Beruf vorzubereiten. Der Instinkt sollte sie lehren, ihre13.436
Aufgaben zu erfüllen, als Mutter, Erzieherin, häusliche 13.437
Krankenpflegerin, Wirtschaftsleiterin u. s. w.13.438

Aus der Initiative weiblicher Pioniere wurden erst in der13.439
letzten Hälfte unseres Jahrhunderts Fortbildungs- und 13.440
Berufsschulen für die Hauswirtschaft, die Kindes- und Krankenpflege 13.441
geschaffen, und schon beginnt man die segenvollen Resultate zu 13.442
bemerken, welche sich in erhöhtem Interesse der Frauen für Hygiene,13.443
Erziehung, bessere Ernährung und wirtschaftliche Verbesserungen13.444
bekunden.13.445

Ihre Ansichten, hochgeehrter Herr Professor, von der 13.446
verschiedenen Beanlagung der Geschlechter und der dadurch bedingten13.447
Arbeitsteilung ist auch die meinige, aber eben im Interesse der13.448

Hälfte des Menschengeschlechtes über die andere ausübt, weil sie13.408
die stärkere ist und war, führte zur Sklaverei der Frau, deren13.409
abscheuliche Folgen wir nicht nur bei den wilden und barbarischen13.410
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in einem Atem die Frau als die Priesterin der Sitte naturgemäß13.412
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kontrollierte Prostitution bestehen läßt und gut heißt. Begreifen Sie13.414
nun, hochgeehrter Herr Professor, warum die Frauen es sich 13.415
gefallen lassen mußten, die zweite Stellung einzunehmen! Sehr einfach!13.416
Es fehlt ihnen die Macht sich ihr Recht zu erzwingen.13.417

Der Mangel des Stimmrechtssagt Hedwig Dohm in13.418
ihrem vortrefflichen Buch: „Der Frauen Natur und Recht" 13.419
bedeutet für die Frau: Du hast kein Recht am Eigentum, keines an13.420
selbstbestimmendem Beruf und Unterricht, kein volles Recht an13.421
Deinen Kindern, Du bist der Gewalt des Mannes anheimgegeben.
13.422

Aber die Gesetzgebung des Mannes unterdrückte nicht nur13.423
äußerlich die Frau, sondern sie verurteilte sie zu geistiger 13.424
Knechtschaft. Ihre ganze Denk- und Gefühlsweise wurde durch einen13.425
beschränkten Schulunterricht und eine noch beschränktere Erziehung13.426
eingedämmt. Man faßte dabei nur die Ehe und die Mutterschaft13.426
in's Auge und konnte doch nicht ändern, daß Millionen Mädchen13.427
durch die bestehenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatlichen13.428
Verhältnisse zur Ehelosigkeit und zur Entsagung des Mutterglücks13.429
verurteilt sind. Und selbst für diesen als natürlich hingestellten13.430
Beruf wurden die Mädchen nie genügend und rationell vorbereitet.13.431

Während dem Manne alle Bildungsanstalten für den frei zu13.432
erwählenden Fachberuf offen stehen, alle Bildungsmittel und 13.433
ausreichende Lehrzeit gegeben ist, forderte man von der Frau, daß die13.434
Familientradition ausreiche, um sie für den so komplizierten 13.435
häuslichen Beruf vorzubereiten. Der Instinkt sollte sie lehren, ihre13.436
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Krankenpflegerin, Wirtschaftsleiterin u. s. w.13.438

Aus der Initiative weiblicher Pioniere wurden erst in der13.439
letzten Hälfte unseres Jahrhunderts Fortbildungs- und 13.440
Berufsschulen für die Hauswirtschaft, die Kindes- und Krankenpflege 13.441
geschaffen, und schon beginnt man die segenvollen Resultate zu 13.442
bemerken, welche sich in erhöhtem Interesse der Frauen für Hygiene,13.443
Erziehung, bessere Ernährung und wirtschaftliche Verbesserungen13.444
bekunden.13.445

Ihre Ansichten, hochgeehrter Herr Professor, von der 13.446
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Zitationshilfe: Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/morgenstern_studium_1888/12>, abgerufen am 19.04.2024.