Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

In Ihren Auseinandersetzungen, hochgeehrter Herr Professor,4.30
führen Sie als geschichtliche Thatsache eine Reihe von Beispielen an,4.31
welche beweisen, daß es hervorragende Frauen bei den verschiedensten4.32
Völkern gegeben habe, die sich durch geniale Beanlagung, Geist4.33
und Willensstärke in allen Stücken den Männern ebenbürtig 4.34
erwiesen und ohne Schwierigkeit zu gleicher sozialer Stellung und4.35
wissenschaftlicher Anerkennung gelangt sind, und daß auch die höchste4.36
politische Stellung, das Regententum, ja sogar die 4.37
Heerführerschaft von Frauen erreicht und gut durchgeführt wurden. Es ist4.38
daher ein Widerspruch, wenn eine spätere Äußerung lautet:4.39
Bis zu dem Niveau, welches die Männer erreichten, hätten4.40
sich die Frauen nie erhoben.
Ich glaube, die Namen von drei4.41
regierenden Fürstinnen genügen, um daran zu erinnern, daß die4.42
Frau als Staatsoberhaupt sich bereits über das Niveau erhoben4.43
hat, welches gewöhnlich regierende Fürsten erreichen: Elisabeth von4.44
England, Katharina II. von Rußland, Maria Theresia von4.45
Oefterreich. -- In der Gelehrtenwelt hat schon Sokrates die Diotima4.46
und Aspasia Milesia als ebenbürtige Philosophen gerühmt und von4.47
der Hypatia von Alexandrien, welche in der platonischen Philosophie,4.48
in der Mathematik und Astronomie zu überraschender Gelehrsamkeit4.49
gelangte, äußerte Spinoza, sie habe die Philosophen ihrer Zeit4.50
übertroffen.
4.51

Wie Sie wissen, wurde diese Philosophin auf Anstiften des4.52
Patriarchen Cyrill vom Pöbel mit Steinen zu Tode geworfen, ihr4.53
Leib wurde zerstückt, Glied für Glied zerhauen und hierauf verbrannt.4.54

4.55

Eine Schlesierin Maria Cunitzin hatte nach autodidaktischen 4.56
Studien sich um die Astronomie, wie die Gelehrten ihrer Zeit 4.57
bekunden, hervorragende Verdienste erworben, indem sie astronomische 4.58
Tafeln anfertigte, welche die Bewegung der Planeten und ihre 4.59
Vorausberechnung darstellten. Sie war eine Vorgängerin von Karoline4.60
Herschel
und Mary Somerville, welche beide, obgleich sie4.61
nicht die Universität besucht, für ihre gelehrten Forschungen und 4.62
Leistungen, sowie für ihre selbstständigen Entdeckungen mit den größten4.63
Auszeichnungen zu Mitgliedern der königlichen astronomischen Gesellschaft4.64
in London, sowie zu Ehrenmitgliedern der königlichen Irischen Akademie4.65
ernannt wurden. Karoline Herschel wurde in Anerkennung ihrer hohen4.66
Verdienste um die Wissenschaft die goldene Medaille von der preußischen4.67
Regierung durch Alexander von Humboldt überreicht.*)4.71
Sophie Germain, welche sich während

*) 4.70
Siehe Lina Morgenstern's: Die Frauen des 19. Jahrhunderts, 4.68
S. 375, 376 u. 388.

In Ihren Auseinandersetzungen, hochgeehrter Herr Professor,4.30
führen Sie als geschichtliche Thatsache eine Reihe von Beispielen an,4.31
welche beweisen, daß es hervorragende Frauen bei den verschiedensten4.32
Völkern gegeben habe, die sich durch geniale Beanlagung, Geist4.33
und Willensstärke in allen Stücken den Männern ebenbürtig 4.34
erwiesen und ohne Schwierigkeit zu gleicher sozialer Stellung und4.35
wissenschaftlicher Anerkennung gelangt sind, und daß auch die höchste4.36
politische Stellung, das Regententum, ja sogar die 4.37
Heerführerschaft von Frauen erreicht und gut durchgeführt wurden. Es ist4.38
daher ein Widerspruch, wenn eine spätere Äußerung lautet:4.39
Bis zu dem Niveau, welches die Männer erreichten, hätten4.40
sich die Frauen nie erhoben.
Ich glaube, die Namen von drei4.41
regierenden Fürstinnen genügen, um daran zu erinnern, daß die4.42
Frau als Staatsoberhaupt sich bereits über das Niveau erhoben4.43
hat, welches gewöhnlich regierende Fürsten erreichen: Elisabeth von4.44
England, Katharina II. von Rußland, Maria Theresia von4.45
Oefterreich. — In der Gelehrtenwelt hat schon Sokrates die Diotima4.46
und Aspasia Milesia als ebenbürtige Philosophen gerühmt und von4.47
der Hypatia von Alexandrien, welche in der platonischen Philosophie,4.48
in der Mathematik und Astronomie zu überraschender Gelehrsamkeit4.49
gelangte, äußerte Spinoza, sie habe die Philosophen ihrer Zeit4.50
übertroffen.
4.51

Wie Sie wissen, wurde diese Philosophin auf Anstiften des4.52
Patriarchen Cyrill vom Pöbel mit Steinen zu Tode geworfen, ihr4.53
Leib wurde zerstückt, Glied für Glied zerhauen und hierauf verbrannt.4.54

4.55

Eine Schlesierin Maria Cunitzin hatte nach autodidaktischen 4.56
Studien sich um die Astronomie, wie die Gelehrten ihrer Zeit 4.57
bekunden, hervorragende Verdienste erworben, indem sie astronomische 4.58
Tafeln anfertigte, welche die Bewegung der Planeten und ihre 4.59
Vorausberechnung darstellten. Sie war eine Vorgängerin von Karoline4.60
Herschel
und Mary Somerville, welche beide, obgleich sie4.61
nicht die Universität besucht, für ihre gelehrten Forschungen und 4.62
Leistungen, sowie für ihre selbstständigen Entdeckungen mit den größten4.63
Auszeichnungen zu Mitgliedern der königlichen astronomischen Gesellschaft4.64
in London, sowie zu Ehrenmitgliedern der königlichen Irischen Akademie4.65
ernannt wurden. Karoline Herschel wurde in Anerkennung ihrer hohen4.66
Verdienste um die Wissenschaft die goldene Medaille von der preußischen4.67
Regierung durch Alexander von Humboldt überreicht.*)4.71
Sophie Germain, welche sich während

*) 4.70
Siehe Lina Morgenstern's: Die Frauen des 19. Jahrhunderts, 4.68
S. 375, 376 u. 388.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0003" n="4"/>
      <p>              In Ihren Auseinandersetzungen, hochgeehrter Herr Professor,<lb n="4.30"/>
führen Sie als geschichtliche Thatsache eine Reihe von Beispielen an,<lb n="4.31"/>
welche beweisen, daß es hervorragende Frauen bei den verschiedensten<lb n="4.32"/>
Völkern gegeben habe, die sich durch geniale Beanlagung, Geist<lb n="4.33"/>
und Willensstärke in allen Stücken den Männern ebenbürtig <lb n="4.34"/>
erwiesen und ohne Schwierigkeit zu gleicher sozialer Stellung und<lb n="4.35"/>
wissenschaftlicher Anerkennung gelangt sind, und daß auch die höchste<lb n="4.36"/>
politische Stellung, das Regententum, ja sogar die <lb n="4.37"/>
Heerführerschaft von Frauen erreicht und gut durchgeführt wurden. Es ist<lb n="4.38"/>
daher ein Widerspruch, wenn eine spätere Äußerung lautet:<lb n="4.39"/>
<q who="Waldeyer">Bis zu dem Niveau, welches die Männer erreichten, hätten<lb n="4.40"/>
sich die Frauen nie erhoben.</q> Ich glaube, die Namen von drei<lb n="4.41"/>
regierenden Fürstinnen genügen, um daran zu erinnern, daß die<lb n="4.42"/>
Frau als Staatsoberhaupt sich bereits über das Niveau erhoben<lb n="4.43"/>
hat, welches gewöhnlich regierende Fürsten erreichen: <hi rendition="#g">Elisabeth</hi> von<lb n="4.44"/>
England, <hi rendition="#g">Katharina II.</hi> von Rußland, <hi rendition="#g">Maria Theresia</hi> von<lb n="4.45"/>
Oefterreich. &#x2014; In der Gelehrtenwelt hat schon Sokrates die <hi rendition="#g">Diotima</hi><lb n="4.46"/>
und <hi rendition="#g">Aspasia Milesia</hi> als ebenbürtige Philosophen gerühmt und von<lb n="4.47"/>
der Hypatia von Alexandrien, welche in der platonischen Philosophie,<lb n="4.48"/>
in der Mathematik und Astronomie zu überraschender Gelehrsamkeit<lb n="4.49"/>
gelangte, äußerte Spinoza, <q who="Spinoza">sie habe die Philosophen ihrer Zeit<lb n="4.50"/>
übertroffen.</q><lb n="4.51"/>
</p>
      <p>              Wie Sie wissen, wurde diese Philosophin auf Anstiften des<lb n="4.52"/>
Patriarchen Cyrill vom Pöbel mit Steinen zu Tode geworfen, ihr<lb n="4.53"/>
Leib wurde zerstückt, Glied für Glied zerhauen und hierauf verbrannt.<lb n="4.54"/>
</p>
      <lb n="4.55"/>
      <p>  Eine Schlesierin <hi rendition="#g">Maria Cunitzin</hi> hatte nach autodidaktischen <lb n="4.56"/>
Studien sich um die Astronomie, wie die Gelehrten ihrer Zeit <lb n="4.57"/>
bekunden, hervorragende Verdienste erworben, indem sie astronomische <lb n="4.58"/>
Tafeln anfertigte, welche die Bewegung der Planeten und ihre <lb n="4.59"/>
Vorausberechnung darstellten. Sie war eine Vorgängerin von <hi rendition="#g">Karoline<lb n="4.60"/>
Herschel</hi> und <hi rendition="#g">Mary Somerville</hi>, welche beide, obgleich sie<lb n="4.61"/>
nicht die Universität besucht, für ihre gelehrten Forschungen und <lb n="4.62"/>
Leistungen, sowie für ihre selbstständigen Entdeckungen mit den größten<lb n="4.63"/>
Auszeichnungen zu Mitgliedern der königlichen astronomischen Gesellschaft<lb n="4.64"/>
in London, sowie zu Ehrenmitgliedern der königlichen Irischen Akademie<lb n="4.65"/>
ernannt wurden. Karoline Herschel wurde in Anerkennung ihrer hohen<lb n="4.66"/>
Verdienste um die Wissenschaft die goldene Medaille von der preußischen<lb n="4.67"/>
Regierung durch Alexander von Humboldt überreicht.<note place="foot" n="*)"><lb n="4.70"/>
Siehe Lina Morgenstern's: Die Frauen des 19. Jahrhunderts, <lb n="4.68"/>
S. 375, 376 u. 388.</note><lb n="4.71"/> <hi rendition="#g">Sophie Germain</hi>, welche sich während
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0003] In Ihren Auseinandersetzungen, hochgeehrter Herr Professor, 4.30 führen Sie als geschichtliche Thatsache eine Reihe von Beispielen an, 4.31 welche beweisen, daß es hervorragende Frauen bei den verschiedensten 4.32 Völkern gegeben habe, die sich durch geniale Beanlagung, Geist 4.33 und Willensstärke in allen Stücken den Männern ebenbürtig 4.34 erwiesen und ohne Schwierigkeit zu gleicher sozialer Stellung und 4.35 wissenschaftlicher Anerkennung gelangt sind, und daß auch die höchste 4.36 politische Stellung, das Regententum, ja sogar die 4.37 Heerführerschaft von Frauen erreicht und gut durchgeführt wurden. Es ist 4.38 daher ein Widerspruch, wenn eine spätere Äußerung lautet: 4.39 Bis zu dem Niveau, welches die Männer erreichten, hätten 4.40 sich die Frauen nie erhoben. Ich glaube, die Namen von drei 4.41 regierenden Fürstinnen genügen, um daran zu erinnern, daß die 4.42 Frau als Staatsoberhaupt sich bereits über das Niveau erhoben 4.43 hat, welches gewöhnlich regierende Fürsten erreichen: Elisabeth von 4.44 England, Katharina II. von Rußland, Maria Theresia von 4.45 Oefterreich. — In der Gelehrtenwelt hat schon Sokrates die Diotima 4.46 und Aspasia Milesia als ebenbürtige Philosophen gerühmt und von 4.47 der Hypatia von Alexandrien, welche in der platonischen Philosophie, 4.48 in der Mathematik und Astronomie zu überraschender Gelehrsamkeit 4.49 gelangte, äußerte Spinoza, sie habe die Philosophen ihrer Zeit 4.50 übertroffen. 4.51 Wie Sie wissen, wurde diese Philosophin auf Anstiften des 4.52 Patriarchen Cyrill vom Pöbel mit Steinen zu Tode geworfen, ihr 4.53 Leib wurde zerstückt, Glied für Glied zerhauen und hierauf verbrannt. 4.54 4.55 Eine Schlesierin Maria Cunitzin hatte nach autodidaktischen 4.56 Studien sich um die Astronomie, wie die Gelehrten ihrer Zeit 4.57 bekunden, hervorragende Verdienste erworben, indem sie astronomische 4.58 Tafeln anfertigte, welche die Bewegung der Planeten und ihre 4.59 Vorausberechnung darstellten. Sie war eine Vorgängerin von Karoline 4.60 Herschel und Mary Somerville, welche beide, obgleich sie 4.61 nicht die Universität besucht, für ihre gelehrten Forschungen und 4.62 Leistungen, sowie für ihre selbstständigen Entdeckungen mit den größten 4.63 Auszeichnungen zu Mitgliedern der königlichen astronomischen Gesellschaft 4.64 in London, sowie zu Ehrenmitgliedern der königlichen Irischen Akademie 4.65 ernannt wurden. Karoline Herschel wurde in Anerkennung ihrer hohen 4.66 Verdienste um die Wissenschaft die goldene Medaille von der preußischen 4.67 Regierung durch Alexander von Humboldt überreicht. *) 4.71 Sophie Germain, welche sich während *) 4.70 Siehe Lina Morgenstern's: Die Frauen des 19. Jahrhunderts, 4.68 S. 375, 376 u. 388.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2011-11-20T12:00:00Z)
Google: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2011-11-20T12:00:00Z)

Weitere Informationen:

  • Langes s wurde als rundes s transkribiert.
  • Auflösungen des hochgestellten e über Vokalen.
  • Silbentrennungen wurden aufgelöst.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/morgenstern_studium_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/morgenstern_studium_1888/3
Zitationshilfe: Morgenstern, Lina: Ein offenes Wort über das medizinische Studium der Frauen an Herrn Prof. Dr. W. Waldeyer. Berlin, 1888, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/morgenstern_studium_1888/3>, abgerufen am 29.03.2024.