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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.

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Einen viel empfindlichern Verlust erlitte ein junger hofnungsvoller Mensch K. aus A. Dieser wurde auf der Akademie, wo er ein halbes Jahr studirt hatte, von einem hitzigen Fieber befallen; und wie er von dieser Krankheit wieder genesen war, so hatte er nicht nur alles vergessen, was er während seines halbjährigen akademischen Lebens gelernt hatte, sondern es war ihm sogar unbewußt geworden, daß er an diesem Ort ein halbes Jahr gelebt und Umgang mit den Personen, mit denen er täglich in Gesellschaft gewesen war, gehabt hatte.

Es zeigte sich eine anhaltende Verstandsschwäche, die alle Hofnung benahm, ihn zu einem brauchbaren Manne noch zu bilden.

Seine Familie nahm ihn wieder zu sich, und in dieser lebt er noch, immer ärmer werdend am Stoff seiner Jdeen, und auf nichts vorzüglich sinnend, als auf die Erhaltung des Körpers.

Er ist also jetzt noch im Besitz von folgenden Vorstellungen: Er weiß, daß er an dem Orte, wo er lebt, als Knabe und Jüngling gelebt hat, daß er da in die Schule gegangen ist, und daß er Bekanntschaft gehabt hat; auch von dem, was er vor der Akademie gelernt hat, weiß er noch vieles, und wußte noch mehr davon kurz nach seiner Krankheit.

Aber alle Begebenheiten seines Lebens auf der Akademie, alle seine daselbst erlernten Sprach- und Sachkenntnisse sind durchaus verwischt. Für dasjenige, was sich nach seiner Genesung und Eintre-


Einen viel empfindlichern Verlust erlitte ein junger hofnungsvoller Mensch K. aus A. Dieser wurde auf der Akademie, wo er ein halbes Jahr studirt hatte, von einem hitzigen Fieber befallen; und wie er von dieser Krankheit wieder genesen war, so hatte er nicht nur alles vergessen, was er waͤhrend seines halbjaͤhrigen akademischen Lebens gelernt hatte, sondern es war ihm sogar unbewußt geworden, daß er an diesem Ort ein halbes Jahr gelebt und Umgang mit den Personen, mit denen er taͤglich in Gesellschaft gewesen war, gehabt hatte.

Es zeigte sich eine anhaltende Verstandsschwaͤche, die alle Hofnung benahm, ihn zu einem brauchbaren Manne noch zu bilden.

Seine Familie nahm ihn wieder zu sich, und in dieser lebt er noch, immer aͤrmer werdend am Stoff seiner Jdeen, und auf nichts vorzuͤglich sinnend, als auf die Erhaltung des Koͤrpers.

Er ist also jetzt noch im Besitz von folgenden Vorstellungen: Er weiß, daß er an dem Orte, wo er lebt, als Knabe und Juͤngling gelebt hat, daß er da in die Schule gegangen ist, und daß er Bekanntschaft gehabt hat; auch von dem, was er vor der Akademie gelernt hat, weiß er noch vieles, und wußte noch mehr davon kurz nach seiner Krankheit.

Aber alle Begebenheiten seines Lebens auf der Akademie, alle seine daselbst erlernten Sprach- und Sachkenntnisse sind durchaus verwischt. Fuͤr dasjenige, was sich nach seiner Genesung und Eintre-

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[13/0013] Einen viel empfindlichern Verlust erlitte ein junger hofnungsvoller Mensch K. aus A. Dieser wurde auf der Akademie, wo er ein halbes Jahr studirt hatte, von einem hitzigen Fieber befallen; und wie er von dieser Krankheit wieder genesen war, so hatte er nicht nur alles vergessen, was er waͤhrend seines halbjaͤhrigen akademischen Lebens gelernt hatte, sondern es war ihm sogar unbewußt geworden, daß er an diesem Ort ein halbes Jahr gelebt und Umgang mit den Personen, mit denen er taͤglich in Gesellschaft gewesen war, gehabt hatte. Es zeigte sich eine anhaltende Verstandsschwaͤche, die alle Hofnung benahm, ihn zu einem brauchbaren Manne noch zu bilden. Seine Familie nahm ihn wieder zu sich, und in dieser lebt er noch, immer aͤrmer werdend am Stoff seiner Jdeen, und auf nichts vorzuͤglich sinnend, als auf die Erhaltung des Koͤrpers. Er ist also jetzt noch im Besitz von folgenden Vorstellungen: Er weiß, daß er an dem Orte, wo er lebt, als Knabe und Juͤngling gelebt hat, daß er da in die Schule gegangen ist, und daß er Bekanntschaft gehabt hat; auch von dem, was er vor der Akademie gelernt hat, weiß er noch vieles, und wußte noch mehr davon kurz nach seiner Krankheit. Aber alle Begebenheiten seines Lebens auf der Akademie, alle seine daselbst erlernten Sprach- und Sachkenntnisse sind durchaus verwischt. Fuͤr dasjenige, was sich nach seiner Genesung und Eintre-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0703_1789/13>, abgerufen am 29.03.2024.