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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.

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tet, von jedem merkwürdigen Tage meines Lebens, ein getreues Bild darstelle. --

Von mehr als sechs Wochen -- wie mancher Tag ist verlohren gegangen! Wie würde ich bestehen, wenn ich jetzt die große Rechnung von der Anwendung einer jeglichen Stunde, die mir gegeben war, ablegen sollte.

Ach, ich wagte es, nur einen einzigen Tag zu verschleudern, ohne Rechnung von ihm abzulegen, und nun -- wie hat sich, fast ohne mein Wissen, die Schuld gehäuft!

Stärke mich Gott in meinem Entschluß, von nun an aufmerksam auf mich selbst zu seyn, und höre mein Gelübde in dieser Mittagsstunde, daß ich am Abend dieses Tages -- mich seiner erinnern will.

Hab ich mich seiner erinnert -- des feierlichen Vorsatzes -- am Abend des gestrigen Tages? -- erinnert? ja, aber mit Schaam und Widerwillen, mit dem unseeligen Bestreben diese Erinnerung selbst aus meiner Seele zu verbannen. --

Wie zufrieden mit mir selbst hätt ich mich niederlegen können, wenn ich nicht noch in der letzten Stunde dieses Tages mich hätte verleiten lassen,


tet, von jedem merkwuͤrdigen Tage meines Lebens, ein getreues Bild darstelle. —

Von mehr als sechs Wochen — wie mancher Tag ist verlohren gegangen! Wie wuͤrde ich bestehen, wenn ich jetzt die große Rechnung von der Anwendung einer jeglichen Stunde, die mir gegeben war, ablegen sollte.

Ach, ich wagte es, nur einen einzigen Tag zu verschleudern, ohne Rechnung von ihm abzulegen, und nun — wie hat sich, fast ohne mein Wissen, die Schuld gehaͤuft!

Staͤrke mich Gott in meinem Entschluß, von nun an aufmerksam auf mich selbst zu seyn, und hoͤre mein Geluͤbde in dieser Mittagsstunde, daß ich am Abend dieses Tages — mich seiner erinnern will.

Hab ich mich seiner erinnert — des feierlichen Vorsatzes — am Abend des gestrigen Tages? — erinnert? ja, aber mit Schaam und Widerwillen, mit dem unseeligen Bestreben diese Erinnerung selbst aus meiner Seele zu verbannen. —

Wie zufrieden mit mir selbst haͤtt ich mich niederlegen koͤnnen, wenn ich nicht noch in der letzten Stunde dieses Tages mich haͤtte verleiten lassen,

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[26/0026] tet, von jedem merkwuͤrdigen Tage meines Lebens, ein getreues Bild darstelle. — Freitags den 23. Oct. Von mehr als sechs Wochen — wie mancher Tag ist verlohren gegangen! Wie wuͤrde ich bestehen, wenn ich jetzt die große Rechnung von der Anwendung einer jeglichen Stunde, die mir gegeben war, ablegen sollte. Ach, ich wagte es, nur einen einzigen Tag zu verschleudern, ohne Rechnung von ihm abzulegen, und nun — wie hat sich, fast ohne mein Wissen, die Schuld gehaͤuft! Staͤrke mich Gott in meinem Entschluß, von nun an aufmerksam auf mich selbst zu seyn, und hoͤre mein Geluͤbde in dieser Mittagsstunde, daß ich am Abend dieses Tages — mich seiner erinnern will. Sonnabends den 24. Oct. Hab ich mich seiner erinnert — des feierlichen Vorsatzes — am Abend des gestrigen Tages? — erinnert? ja, aber mit Schaam und Widerwillen, mit dem unseeligen Bestreben diese Erinnerung selbst aus meiner Seele zu verbannen. — Wie zufrieden mit mir selbst haͤtt ich mich niederlegen koͤnnen, wenn ich nicht noch in der letzten Stunde dieses Tages mich haͤtte verleiten lassen,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0703_1789/26>, abgerufen am 29.03.2024.