Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

te, und ihn, von seiner Geburt an bis zum Tode,
an ihrer Hand durchs Leben führte. -- In diesem
schönen Sinne war es, daß die Männer bei ihrem
Jupiter, und die Frauen bei ihrer Juno schwu-
ren, indem sie unter dieser Benennung sich ihren
eigenen Genius, oder ihre besondre schützende
Gottheit dachten.

An ihren Geburtstagen brachten die Alten ih-
rem Genius Opfer, der unter der Gestalt eines
schönen Jünglings abgebildet war, dessen Haupt
sie mit Blumen umkränzten. --

Ein jeder verehrte auf die Weise, durch ein
zartes Gefühl gedrungen, in sich etwas Göttli-
ches
und Höheres, als er, in seiner Beschränkt-
heit und Einzelnheit, selber war; und dem er
nun, wie einer Gottheit, Opfer brachte, und
gleichsam durch Verehrung das zu ersetzen suchte,
was ihm an deutlicher Erkenntniß seines eigenen
Wesens und seines göttlichen Ursprungs abging.

Nach einer andern Dichtung, sind die See-
len der Verstorbnen, aus dem goldnen Zeitalter
der Menschen, als untadliche in die Gottheit über-
gegangne Wesen, die Schutzgötter der Lebenden.

Musen.

Die Dichtung läßt diese himmlischen Wesen
vom Jupiter und der Mnemosyne abstammen. --

te, und ihn, von ſeiner Geburt an bis zum Tode,
an ihrer Hand durchs Leben fuͤhrte. — In dieſem
ſchoͤnen Sinne war es, daß die Maͤnner bei ihrem
Jupiter, und die Frauen bei ihrer Juno ſchwu-
ren, indem ſie unter dieſer Benennung ſich ihren
eigenen Genius, oder ihre beſondre ſchuͤtzende
Gottheit dachten.

An ihren Geburtstagen brachten die Alten ih-
rem Genius Opfer, der unter der Geſtalt eines
ſchoͤnen Juͤnglings abgebildet war, deſſen Haupt
ſie mit Blumen umkraͤnzten. —

Ein jeder verehrte auf die Weiſe, durch ein
zartes Gefuͤhl gedrungen, in ſich etwas Goͤttli-
ches
und Hoͤheres, als er, in ſeiner Beſchraͤnkt-
heit und Einzelnheit, ſelber war; und dem er
nun, wie einer Gottheit, Opfer brachte, und
gleichſam durch Verehrung das zu erſetzen ſuchte,
was ihm an deutlicher Erkenntniß ſeines eigenen
Weſens und ſeines goͤttlichen Urſprungs abging.

Nach einer andern Dichtung, ſind die See-
len der Verſtorbnen, aus dem goldnen Zeitalter
der Menſchen, als untadliche in die Gottheit uͤber-
gegangne Weſen, die Schutzgoͤtter der Lebenden.

Muſen.

Die Dichtung laͤßt dieſe himmliſchen Weſen
vom Jupiter und der Mnemoſyne abſtammen. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0360" n="302"/>
te, und ihn, von &#x017F;einer Geburt an bis zum Tode,<lb/>
an ihrer Hand durchs Leben fu&#x0364;hrte. &#x2014; In die&#x017F;em<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Sinne war es, daß die Ma&#x0364;nner bei <hi rendition="#fr">ihrem</hi><lb/>
Jupiter, und die Frauen bei <hi rendition="#fr">ihrer</hi> Juno &#x017F;chwu-<lb/>
ren, indem &#x017F;ie unter die&#x017F;er Benennung &#x017F;ich ihren<lb/><hi rendition="#fr">eigenen</hi> Genius, oder ihre be&#x017F;ondre &#x017F;chu&#x0364;tzende<lb/>
Gottheit dachten.</p><lb/>
          <p>An ihren Geburtstagen brachten die Alten ih-<lb/>
rem Genius Opfer, der unter der Ge&#x017F;talt eines<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Ju&#x0364;nglings abgebildet war, de&#x017F;&#x017F;en Haupt<lb/>
&#x017F;ie mit Blumen umkra&#x0364;nzten. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ein jeder verehrte auf die Wei&#x017F;e, durch ein<lb/>
zartes Gefu&#x0364;hl gedrungen, <hi rendition="#fr">in &#x017F;ich</hi> etwas <hi rendition="#fr">Go&#x0364;ttli-<lb/>
ches</hi> und <hi rendition="#fr">Ho&#x0364;heres,</hi> als er, in &#x017F;einer Be&#x017F;chra&#x0364;nkt-<lb/>
heit und Einzelnheit, &#x017F;elber war; und dem er<lb/>
nun, wie einer Gottheit, Opfer brachte, und<lb/>
gleich&#x017F;am durch Verehrung das zu er&#x017F;etzen &#x017F;uchte,<lb/>
was ihm an deutlicher Erkenntniß &#x017F;eines eigenen<lb/>
We&#x017F;ens und &#x017F;eines go&#x0364;ttlichen Ur&#x017F;prungs abging.</p><lb/>
          <p>Nach einer andern Dichtung, &#x017F;ind die See-<lb/>
len der Ver&#x017F;torbnen, aus dem goldnen Zeitalter<lb/>
der Men&#x017F;chen, als untadliche in die Gottheit u&#x0364;ber-<lb/>
gegangne We&#x017F;en, die Schutzgo&#x0364;tter der Lebenden.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Mu&#x017F;en</hi>.</hi> </head><lb/>
          <p>Die Dichtung la&#x0364;ßt die&#x017F;e himmli&#x017F;chen We&#x017F;en<lb/>
vom <hi rendition="#fr">Jupiter</hi> und der <hi rendition="#fr">Mnemo&#x017F;yne</hi> ab&#x017F;tammen. &#x2014;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0360] te, und ihn, von ſeiner Geburt an bis zum Tode, an ihrer Hand durchs Leben fuͤhrte. — In dieſem ſchoͤnen Sinne war es, daß die Maͤnner bei ihrem Jupiter, und die Frauen bei ihrer Juno ſchwu- ren, indem ſie unter dieſer Benennung ſich ihren eigenen Genius, oder ihre beſondre ſchuͤtzende Gottheit dachten. An ihren Geburtstagen brachten die Alten ih- rem Genius Opfer, der unter der Geſtalt eines ſchoͤnen Juͤnglings abgebildet war, deſſen Haupt ſie mit Blumen umkraͤnzten. — Ein jeder verehrte auf die Weiſe, durch ein zartes Gefuͤhl gedrungen, in ſich etwas Goͤttli- ches und Hoͤheres, als er, in ſeiner Beſchraͤnkt- heit und Einzelnheit, ſelber war; und dem er nun, wie einer Gottheit, Opfer brachte, und gleichſam durch Verehrung das zu erſetzen ſuchte, was ihm an deutlicher Erkenntniß ſeines eigenen Weſens und ſeines goͤttlichen Urſprungs abging. Nach einer andern Dichtung, ſind die See- len der Verſtorbnen, aus dem goldnen Zeitalter der Menſchen, als untadliche in die Gottheit uͤber- gegangne Weſen, die Schutzgoͤtter der Lebenden. Muſen. Die Dichtung laͤßt dieſe himmliſchen Weſen vom Jupiter und der Mnemoſyne abſtammen. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/360
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/360>, abgerufen am 28.03.2024.