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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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welt, auf die Spitze eines Berges einen großen
Stein zu wälzen, der immer durch seine Schwere
wieder hinunter rollt, so daß dem Unglücklichen,
der unaufhörlich sich abarbeitet, kein Augenblick
der Ruhe und Erholung gestattet ist. -- Sisyphus
erreichte ein hohes Alter, weswegen die Dich-
tung von ihm sagt, er habe die unterirdischen Göt-
ter betrogen, die ihn auf sein Versprechen, gleich
wieder zurückzukehren, einst aus dem Orkus ent-
lassen hätten, und denen er frevelnd sein Wort
gebrochen. -- Indem er, nach dieser Dichtung, seine
Tage über das bestimmte Ziel zu verlängern suchte,
so war es gleichsam der immer wieder herabrol-
lende Stein, die mühselige Arbeit des Lebens,
die er sich selbst aufs neue wählte, und welche nun,
als Schattenbild, im Tode ihn noch verfolgte.

Auf der hier beigefügten Kupfertafel ist, nach
einer antiken Gemme, Sisyphus den Stein in
die Höhe wälzend, abgebildet; und nach einem
antiken Basrelief sind Amor und Psyche sich um-
armend dargestellt.

Amor und Psyche.

Eine der reitzendsten Dichtungen ist die vom
Amor und der Psyche. -- Unter der Psyche mit
Schmetterlingsflügeln abgebildet, dachte man
sich gleichsam ein zartes geistiges Wesen, das aus

welt, auf die Spitze eines Berges einen großen
Stein zu waͤlzen, der immer durch ſeine Schwere
wieder hinunter rollt, ſo daß dem Ungluͤcklichen,
der unaufhoͤrlich ſich abarbeitet, kein Augenblick
der Ruhe und Erholung geſtattet iſt. — Siſyphus
erreichte ein hohes Alter, weswegen die Dich-
tung von ihm ſagt, er habe die unterirdiſchen Goͤt-
ter betrogen, die ihn auf ſein Verſprechen, gleich
wieder zuruͤckzukehren, einſt aus dem Orkus ent-
laſſen haͤtten, und denen er frevelnd ſein Wort
gebrochen. — Indem er, nach dieſer Dichtung, ſeine
Tage uͤber das beſtimmte Ziel zu verlaͤngern ſuchte,
ſo war es gleichſam der immer wieder herabrol-
lende Stein, die muͤhſelige Arbeit des Lebens,
die er ſich ſelbſt aufs neue waͤhlte, und welche nun,
als Schattenbild, im Tode ihn noch verfolgte.

Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt, nach
einer antiken Gemme, Siſyphus den Stein in
die Hoͤhe waͤlzend, abgebildet; und nach einem
antiken Basrelief ſind Amor und Pſyche ſich um-
armend dargeſtellt.

Amor und Pſyche.

Eine der reitzendſten Dichtungen iſt die vom
Amor und der Pſyche. — Unter der Pſyche mit
Schmetterlingsfluͤgeln abgebildet, dachte man
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[397/0475] welt, auf die Spitze eines Berges einen großen Stein zu waͤlzen, der immer durch ſeine Schwere wieder hinunter rollt, ſo daß dem Ungluͤcklichen, der unaufhoͤrlich ſich abarbeitet, kein Augenblick der Ruhe und Erholung geſtattet iſt. — Siſyphus erreichte ein hohes Alter, weswegen die Dich- tung von ihm ſagt, er habe die unterirdiſchen Goͤt- ter betrogen, die ihn auf ſein Verſprechen, gleich wieder zuruͤckzukehren, einſt aus dem Orkus ent- laſſen haͤtten, und denen er frevelnd ſein Wort gebrochen. — Indem er, nach dieſer Dichtung, ſeine Tage uͤber das beſtimmte Ziel zu verlaͤngern ſuchte, ſo war es gleichſam der immer wieder herabrol- lende Stein, die muͤhſelige Arbeit des Lebens, die er ſich ſelbſt aufs neue waͤhlte, und welche nun, als Schattenbild, im Tode ihn noch verfolgte. Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt, nach einer antiken Gemme, Siſyphus den Stein in die Hoͤhe waͤlzend, abgebildet; und nach einem antiken Basrelief ſind Amor und Pſyche ſich um- armend dargeſtellt. Amor und Pſyche. Eine der reitzendſten Dichtungen iſt die vom Amor und der Pſyche. — Unter der Pſyche mit Schmetterlingsfluͤgeln abgebildet, dachte man ſich gleichſam ein zartes geiſtiges Weſen, das aus

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/475>, abgerufen am 16.04.2024.