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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Die menschenähnliche Bildung
der Götter.

Wir haben schon bemerkt, daß die Phantasie sich
eben sowohl ihre Götter nach dem Bilde der
Menschen, als ihre Menschen nach dem
Bilde der Götter schuf.
--

Das Unendliche, Unbegrenzte, ohne Ge-
stalt und Form, ist ein untröstlicher Anblick. --
Das Gebildete sucht sich an dem Gebildeten
fest zu halten.
-- Und so wie dem Schiffer, der
Land erblickt, sein Muth erhöhet, und seine Kraft
belebt wird; so ist für die Phantasie der tröstliche
Umriß einer Menschenbildung das sichere Steuer,
woran sie auf dem Ocean der großen Erscheinun-
gen der Natur sich fest hält. --

Dieß Gefühl war bei den Alten vorzüglich
lebhaft. -- Die unendlichen Massen, die den
Menschen umgeben, Himmel, Erd' und Meer,
erhielten in ihrer heitern Imagination Bildung
und Form. -- Man suchte die Zartheit des Ge-
bildeten, mit der Stärke des Ungebildeten zu
vereinen; und gleich wie in dem hohen aufrechten

Die menſchenaͤhnliche Bildung
der Goͤtter.

Wir haben ſchon bemerkt, daß die Phantaſie ſich
eben ſowohl ihre Goͤtter nach dem Bilde der
Menſchen, als ihre Menſchen nach dem
Bilde der Goͤtter ſchuf.

Das Unendliche, Unbegrenzte, ohne Ge-
ſtalt und Form, iſt ein untroͤſtlicher Anblick. —
Das Gebildete ſucht ſich an dem Gebildeten
feſt zu halten.
— Und ſo wie dem Schiffer, der
Land erblickt, ſein Muth erhoͤhet, und ſeine Kraft
belebt wird; ſo iſt fuͤr die Phantaſie der troͤſtliche
Umriß einer Menſchenbildung das ſichere Steuer,
woran ſie auf dem Ocean der großen Erſcheinun-
gen der Natur ſich feſt haͤlt. —

Dieß Gefuͤhl war bei den Alten vorzuͤglich
lebhaft. — Die unendlichen Maſſen, die den
Menſchen umgeben, Himmel, Erd’ und Meer,
erhielten in ihrer heitern Imagination Bildung
und Form. — Man ſuchte die Zartheit des Ge-
bildeten, mit der Staͤrke des Ungebildeten zu
vereinen; und gleich wie in dem hohen aufrechten

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[98/0124] Die menſchenaͤhnliche Bildung der Goͤtter. Wir haben ſchon bemerkt, daß die Phantaſie ſich eben ſowohl ihre Goͤtter nach dem Bilde der Menſchen, als ihre Menſchen nach dem Bilde der Goͤtter ſchuf. — Das Unendliche, Unbegrenzte, ohne Ge- ſtalt und Form, iſt ein untroͤſtlicher Anblick. — Das Gebildete ſucht ſich an dem Gebildeten feſt zu halten. — Und ſo wie dem Schiffer, der Land erblickt, ſein Muth erhoͤhet, und ſeine Kraft belebt wird; ſo iſt fuͤr die Phantaſie der troͤſtliche Umriß einer Menſchenbildung das ſichere Steuer, woran ſie auf dem Ocean der großen Erſcheinun- gen der Natur ſich feſt haͤlt. — Dieß Gefuͤhl war bei den Alten vorzuͤglich lebhaft. — Die unendlichen Maſſen, die den Menſchen umgeben, Himmel, Erd’ und Meer, erhielten in ihrer heitern Imagination Bildung und Form. — Man ſuchte die Zartheit des Ge- bildeten, mit der Staͤrke des Ungebildeten zu vereinen; und gleich wie in dem hohen aufrechten

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/124>, abgerufen am 28.03.2024.