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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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ebenfalls nach einem antiken geschnittenen Steine,
im Umriß abgebildet.

Venus.

Man verehrte in dieser reitzenden Götterge-
stalt, den heiligen Trieb der alle Wesen fort-
pflanzt. -- Die Fülle der Lebenskraft, die in die
nachkommenden Geschlechter sich ergießt. -- Den
Reitz der Schönheit, der zur Vermählung an-
lockt; -- sie war es, welche den Blick der Götter
selbst auf Jugend und Schönheit in sterblichen
Hüllen lenkte, und triumphirend ihrer Macht sich
freute, bis auch sie erlag, dem blühenden Anchi-
ses sich in die Arme werfend; von welchem sie
Aeneas, den göttergleichen Held gebahr. --

So wie nun aber jener sanfte wohlthätige
Trieb, auch oft verderblich wird, und über ganze
Nationen Krieg und Unheil bringt, so stellt die
sanfteste unter den Göttinnen, sich in den Dich-
tungen der Alten, auch als ein furchtbares We-
sen dar.

Sie hatte den Paris, der ihr vor allen Göt-
tinnen den Preis der Schönheit zuerkannte, das
schönste Weib versprochen; nun stiftete sie selbst
ihn an, dem griechischen Menelaus seine Gattin,
die Helena, zu entführen, und flößte dieser selbst
zuerst den Wankelmuth und die Treulosigkeit in
den Busen ein.

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ebenfalls nach einem antiken geſchnittenen Steine,
im Umriß abgebildet.

Venus.

Man verehrte in dieſer reitzenden Goͤtterge-
ſtalt, den heiligen Trieb der alle Weſen fort-
pflanzt. — Die Fuͤlle der Lebenskraft, die in die
nachkommenden Geſchlechter ſich ergießt. — Den
Reitz der Schoͤnheit, der zur Vermaͤhlung an-
lockt; — ſie war es, welche den Blick der Goͤtter
ſelbſt auf Jugend und Schoͤnheit in ſterblichen
Huͤllen lenkte, und triumphirend ihrer Macht ſich
freute, bis auch ſie erlag, dem bluͤhenden Anchi-
ſes ſich in die Arme werfend; von welchem ſie
Aeneas, den goͤttergleichen Held gebahr. —

So wie nun aber jener ſanfte wohlthaͤtige
Trieb, auch oft verderblich wird, und uͤber ganze
Nationen Krieg und Unheil bringt, ſo ſtellt die
ſanfteſte unter den Goͤttinnen, ſich in den Dich-
tungen der Alten, auch als ein furchtbares We-
ſen dar.

Sie hatte den Paris, der ihr vor allen Goͤt-
tinnen den Preis der Schoͤnheit zuerkannte, das
ſchoͤnſte Weib verſprochen; nun ſtiftete ſie ſelbſt
ihn an, dem griechiſchen Menelaus ſeine Gattin,
die Helena, zu entfuͤhren, und floͤßte dieſer ſelbſt
zuerſt den Wankelmuth und die Treuloſigkeit in
den Buſen ein.

J 2
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[131/0169] ebenfalls nach einem antiken geſchnittenen Steine, im Umriß abgebildet. Venus. Man verehrte in dieſer reitzenden Goͤtterge- ſtalt, den heiligen Trieb der alle Weſen fort- pflanzt. — Die Fuͤlle der Lebenskraft, die in die nachkommenden Geſchlechter ſich ergießt. — Den Reitz der Schoͤnheit, der zur Vermaͤhlung an- lockt; — ſie war es, welche den Blick der Goͤtter ſelbſt auf Jugend und Schoͤnheit in ſterblichen Huͤllen lenkte, und triumphirend ihrer Macht ſich freute, bis auch ſie erlag, dem bluͤhenden Anchi- ſes ſich in die Arme werfend; von welchem ſie Aeneas, den goͤttergleichen Held gebahr. — So wie nun aber jener ſanfte wohlthaͤtige Trieb, auch oft verderblich wird, und uͤber ganze Nationen Krieg und Unheil bringt, ſo ſtellt die ſanfteſte unter den Goͤttinnen, ſich in den Dich- tungen der Alten, auch als ein furchtbares We- ſen dar. Sie hatte den Paris, der ihr vor allen Goͤt- tinnen den Preis der Schoͤnheit zuerkannte, das ſchoͤnſte Weib verſprochen; nun ſtiftete ſie ſelbſt ihn an, dem griechiſchen Menelaus ſeine Gattin, die Helena, zu entfuͤhren, und floͤßte dieſer ſelbſt zuerſt den Wankelmuth und die Treuloſigkeit in den Buſen ein. J 2

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/169>, abgerufen am 23.04.2024.