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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Es ist die reine Flamme in dem keuschen Bu-
sen der hohen Himmelsgöttin, welche als ein er-
habnes Sinnbild auf dem Altar der Vesta loderte,
und wenn sie verloschen war, nur durch den elek-
trischen, durch Reibung hervorgelockten Funken,
sich wieder entzünden durfte.

Unter diesem hohen Sinnbilde wurde das um-
gebende Ganze selber in seinem geheimsten Mittel-
punkte verehrt, wo Gestalt und Bildung aufhörte,
und der runde, umwölbende Tempel, mit dem
Altar und der darauf lodernden Flamme, selbst
das Bild der inwohnenden Gottheit war.

Dieser uralte Gottesdienst verflochte sich auch
in das schöne häusliche Leben der Alten: Man
dankte der Vesta jede wohlthätige Wirkung des
Feuers, die auf Erhaltung und Ernährung ab-
zweckt. -- Sie war es, welche die Menschen
lehrte, sich auf dem heiligen Heerde die nährende
Kost zu bereiten.

Auch das Häuserbauen lehrte Vesta die Men-
schen, -- und so wie das umgebende Ganze
selber ihr Tempel war, so war auch die schützende
Umgebung des Menschen ihr wohlthätiges Werk,
das ihr die Sterblichen dankten; denn der Ein-
tritt zu jeglichem Hause und der Vorhof waren
ihr heilig.

Es war ein reines dankbares Gefühl bei den
Alten, wodurch sie jede einzelne Wohlthat der

Es iſt die reine Flamme in dem keuſchen Bu-
ſen der hohen Himmelsgoͤttin, welche als ein er-
habnes Sinnbild auf dem Altar der Veſta loderte,
und wenn ſie verloſchen war, nur durch den elek-
triſchen, durch Reibung hervorgelockten Funken,
ſich wieder entzuͤnden durfte.

Unter dieſem hohen Sinnbilde wurde das um-
gebende Ganze ſelber in ſeinem geheimſten Mittel-
punkte verehrt, wo Geſtalt und Bildung aufhoͤrte,
und der runde, umwoͤlbende Tempel, mit dem
Altar und der darauf lodernden Flamme, ſelbſt
das Bild der inwohnenden Gottheit war.

Dieſer uralte Gottesdienſt verflochte ſich auch
in das ſchoͤne haͤusliche Leben der Alten: Man
dankte der Veſta jede wohlthaͤtige Wirkung des
Feuers, die auf Erhaltung und Ernaͤhrung ab-
zweckt. — Sie war es, welche die Menſchen
lehrte, ſich auf dem heiligen Heerde die naͤhrende
Koſt zu bereiten.

Auch das Haͤuſerbauen lehrte Veſta die Men-
ſchen, — und ſo wie das umgebende Ganze
ſelber ihr Tempel war, ſo war auch die ſchuͤtzende
Umgebung des Menſchen ihr wohlthaͤtiges Werk,
das ihr die Sterblichen dankten; denn der Ein-
tritt zu jeglichem Hauſe und der Vorhof waren
ihr heilig.

Es war ein reines dankbares Gefuͤhl bei den
Alten, wodurch ſie jede einzelne Wohlthat der

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[152/0194] Es iſt die reine Flamme in dem keuſchen Bu- ſen der hohen Himmelsgoͤttin, welche als ein er- habnes Sinnbild auf dem Altar der Veſta loderte, und wenn ſie verloſchen war, nur durch den elek- triſchen, durch Reibung hervorgelockten Funken, ſich wieder entzuͤnden durfte. Unter dieſem hohen Sinnbilde wurde das um- gebende Ganze ſelber in ſeinem geheimſten Mittel- punkte verehrt, wo Geſtalt und Bildung aufhoͤrte, und der runde, umwoͤlbende Tempel, mit dem Altar und der darauf lodernden Flamme, ſelbſt das Bild der inwohnenden Gottheit war. Dieſer uralte Gottesdienſt verflochte ſich auch in das ſchoͤne haͤusliche Leben der Alten: Man dankte der Veſta jede wohlthaͤtige Wirkung des Feuers, die auf Erhaltung und Ernaͤhrung ab- zweckt. — Sie war es, welche die Menſchen lehrte, ſich auf dem heiligen Heerde die naͤhrende Koſt zu bereiten. Auch das Haͤuſerbauen lehrte Veſta die Men- ſchen, — und ſo wie das umgebende Ganze ſelber ihr Tempel war, ſo war auch die ſchuͤtzende Umgebung des Menſchen ihr wohlthaͤtiges Werk, das ihr die Sterblichen dankten; denn der Ein- tritt zu jeglichem Hauſe und der Vorhof waren ihr heilig. Es war ein reines dankbares Gefuͤhl bei den Alten, wodurch ſie jede einzelne Wohlthat der

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/194>, abgerufen am 29.03.2024.