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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Dodona.

In dem Dodonischen Walde, in Epirus,
welches vormals Chaonien hieß, und wo die älte-
sten Bewohner der Erde, nach der Sage der Vor-
zeit, von Eicheln lebten, war ein Orakel des
Jupiter.

Dieß Orakel war das älteste in Griechenland.
Aus Theben in Aegypten, entflohen, nach der
uralten Dichtung, zwei Tauben des Jupiter, wo-
von die eine sich nach Lybien, die andre nach
Dodona wandte, um Jupiters Rathschlüsse den
Menschen kund zu thun.

Unter dem schönen Bilde der redenden Taube
stellt die alte Dichtung die wahrsagende Priesterin
dar, welche zuerst in den Wald von Epirus kam,
und die unaufmerksamen Menschen auf das sanfte
Gemurmel eines Quelles lauschen lehrte, der den
Fuß einer Eiche netzte, und dessen wechselnden
Tönen sie eine geheime Deutung auf die Zu-
kunft gab.

Nachher wurden auf diesem Fleck zwei Säu-
len errichtet; auf der einen stand ein ehernes Bek-
ken; auf der andern die Bildsäule eines Knaben,
mit einer metallenen Ruthe, die der Wind bewe-
gen konnte, und welche, so oft sich nur ein Lüft-
chen regte, an das helltönende Becken schlug.

Dodona.

In dem Dodoniſchen Walde, in Epirus,
welches vormals Chaonien hieß, und wo die aͤlte-
ſten Bewohner der Erde, nach der Sage der Vor-
zeit, von Eicheln lebten, war ein Orakel des
Jupiter.

Dieß Orakel war das aͤlteſte in Griechenland.
Aus Theben in Aegypten, entflohen, nach der
uralten Dichtung, zwei Tauben des Jupiter, wo-
von die eine ſich nach Lybien, die andre nach
Dodona wandte, um Jupiters Rathſchluͤſſe den
Menſchen kund zu thun.

Unter dem ſchoͤnen Bilde der redenden Taube
ſtellt die alte Dichtung die wahrſagende Prieſterin
dar, welche zuerſt in den Wald von Epirus kam,
und die unaufmerkſamen Menſchen auf das ſanfte
Gemurmel eines Quelles lauſchen lehrte, der den
Fuß einer Eiche netzte, und deſſen wechſelnden
Toͤnen ſie eine geheime Deutung auf die Zu-
kunft gab.

Nachher wurden auf dieſem Fleck zwei Saͤu-
len errichtet; auf der einen ſtand ein ehernes Bek-
ken; auf der andern die Bildſaͤule eines Knaben,
mit einer metallenen Ruthe, die der Wind bewe-
gen konnte, und welche, ſo oft ſich nur ein Luͤft-
chen regte, an das helltoͤnende Becken ſchlug.

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[181/0229] Dodona. In dem Dodoniſchen Walde, in Epirus, welches vormals Chaonien hieß, und wo die aͤlte- ſten Bewohner der Erde, nach der Sage der Vor- zeit, von Eicheln lebten, war ein Orakel des Jupiter. Dieß Orakel war das aͤlteſte in Griechenland. Aus Theben in Aegypten, entflohen, nach der uralten Dichtung, zwei Tauben des Jupiter, wo- von die eine ſich nach Lybien, die andre nach Dodona wandte, um Jupiters Rathſchluͤſſe den Menſchen kund zu thun. Unter dem ſchoͤnen Bilde der redenden Taube ſtellt die alte Dichtung die wahrſagende Prieſterin dar, welche zuerſt in den Wald von Epirus kam, und die unaufmerkſamen Menſchen auf das ſanfte Gemurmel eines Quelles lauſchen lehrte, der den Fuß einer Eiche netzte, und deſſen wechſelnden Toͤnen ſie eine geheime Deutung auf die Zu- kunft gab. Nachher wurden auf dieſem Fleck zwei Saͤu- len errichtet; auf der einen ſtand ein ehernes Bek- ken; auf der andern die Bildſaͤule eines Knaben, mit einer metallenen Ruthe, die der Wind bewe- gen konnte, und welche, ſo oft ſich nur ein Luͤft- chen regte, an das helltoͤnende Becken ſchlug.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/229>, abgerufen am 28.03.2024.