Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Dichtung läßt den Minos in einer Grotte
auf dem Ida von Zeit zu Zeit mit dem Jupiter
geheime Unterredungen pflegen, deren Inhalt er,
als die Grundlage seiner Gesetzgebung, dem hor-
chenden Volke bekannt macht. Wegen seiner wei-
sen Regierung eignete die Dichtung dem Minos,
nebst seinem Bruder und Rathgeber Radaman-
thus,
als den gerechtesten Menschen, das Rich-
teramt über die Todten zu; zu diesen beiden ge-
sellte sie den Aeakus, des Peleus Vater, und, nach
einer andern Sage, auch den Triptolemus, der ein
Wohlthäter der Menschen war.

Minos, des Gesetzgebers Enkel, war ein
tapfrer und kriegrischer Fürst, der das mittellän-
dische Meer von Seeräubern befreite, und die
Fahrt auf demselben wieder sicher machte. -- Al-
lein ihn betrafen Unglücksfälle, wodurch seine glor-
reichsten Siege ihm vergällt, sein Leben verbittert
wurde.

Die Vermählte des Minos war Pasiphae,
eine Tochter der Sonne und Schwester des Aee-
tes. -- Venus warf auf dieß Geschlecht einen
alten Haß, weil Helios oder die Sonne einst ihr
Liebesverständniß mit dem Mars entdeckt und ver-
rathen hatte.

Sie flößte der Pasiphae zu einem Stier, den
Neptun aus dem Meere steigen ließ, eine schänd-
liche Liebe ein. -- Während der Abwesenheit des

Die Dichtung laͤßt den Minos in einer Grotte
auf dem Ida von Zeit zu Zeit mit dem Jupiter
geheime Unterredungen pflegen, deren Inhalt er,
als die Grundlage ſeiner Geſetzgebung, dem hor-
chenden Volke bekannt macht. Wegen ſeiner wei-
ſen Regierung eignete die Dichtung dem Minos,
nebſt ſeinem Bruder und Rathgeber Radaman-
thus,
als den gerechteſten Menſchen, das Rich-
teramt uͤber die Todten zu; zu dieſen beiden ge-
ſellte ſie den Aeakus, des Peleus Vater, und, nach
einer andern Sage, auch den Triptolemus, der ein
Wohlthaͤter der Menſchen war.

Minos, des Geſetzgebers Enkel, war ein
tapfrer und kriegriſcher Fuͤrſt, der das mittellaͤn-
diſche Meer von Seeraͤubern befreite, und die
Fahrt auf demſelben wieder ſicher machte. — Al-
lein ihn betrafen Ungluͤcksfaͤlle, wodurch ſeine glor-
reichſten Siege ihm vergaͤllt, ſein Leben verbittert
wurde.

Die Vermaͤhlte des Minos war Paſiphae,
eine Tochter der Sonne und Schweſter des Aee-
tes. — Venus warf auf dieß Geſchlecht einen
alten Haß, weil Helios oder die Sonne einſt ihr
Liebesverſtaͤndniß mit dem Mars entdeckt und ver-
rathen hatte.

Sie floͤßte der Paſiphae zu einem Stier, den
Neptun aus dem Meere ſteigen ließ, eine ſchaͤnd-
liche Liebe ein. — Waͤhrend der Abweſenheit des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0336" n="280"/>
          <p>Die Dichtung la&#x0364;ßt den Minos in einer Grotte<lb/>
auf dem Ida von Zeit zu Zeit mit dem Jupiter<lb/>
geheime Unterredungen pflegen, deren Inhalt er,<lb/>
als die Grundlage &#x017F;einer Ge&#x017F;etzgebung, dem hor-<lb/>
chenden Volke bekannt macht. Wegen &#x017F;einer wei-<lb/>
&#x017F;en Regierung eignete die Dichtung dem Minos,<lb/>
neb&#x017F;t &#x017F;einem Bruder und Rathgeber <hi rendition="#fr">Radaman-<lb/>
thus,</hi> als den gerechte&#x017F;ten Men&#x017F;chen, das Rich-<lb/>
teramt u&#x0364;ber die Todten zu; zu die&#x017F;en beiden ge-<lb/>
&#x017F;ellte &#x017F;ie den <hi rendition="#fr">Aeakus,</hi> des Peleus Vater, und, nach<lb/>
einer andern Sage, auch den <hi rendition="#fr">Triptolemus,</hi> der ein<lb/>
Wohltha&#x0364;ter der Men&#x017F;chen war.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Minos,</hi> des Ge&#x017F;etzgebers Enkel, war ein<lb/>
tapfrer und kriegri&#x017F;cher Fu&#x0364;r&#x017F;t, der das mittella&#x0364;n-<lb/>
di&#x017F;che Meer von Seera&#x0364;ubern befreite, und die<lb/>
Fahrt auf dem&#x017F;elben wieder &#x017F;icher machte. &#x2014; Al-<lb/>
lein ihn betrafen Unglu&#x0364;cksfa&#x0364;lle, wodurch &#x017F;eine glor-<lb/>
reich&#x017F;ten Siege ihm verga&#x0364;llt, &#x017F;ein Leben verbittert<lb/>
wurde.</p><lb/>
          <p>Die Verma&#x0364;hlte des Minos war <hi rendition="#fr">Pa&#x017F;iphae,</hi><lb/>
eine Tochter der Sonne und Schwe&#x017F;ter des Aee-<lb/>
tes. &#x2014; Venus warf auf dieß Ge&#x017F;chlecht einen<lb/>
alten Haß, weil <hi rendition="#fr">Helios</hi> oder die Sonne ein&#x017F;t ihr<lb/>
Liebesver&#x017F;ta&#x0364;ndniß mit dem Mars entdeckt und ver-<lb/>
rathen hatte.</p><lb/>
          <p>Sie flo&#x0364;ßte der Pa&#x017F;iphae zu einem Stier, den<lb/>
Neptun aus dem Meere &#x017F;teigen ließ, eine &#x017F;cha&#x0364;nd-<lb/>
liche Liebe ein. &#x2014; Wa&#x0364;hrend der Abwe&#x017F;enheit des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0336] Die Dichtung laͤßt den Minos in einer Grotte auf dem Ida von Zeit zu Zeit mit dem Jupiter geheime Unterredungen pflegen, deren Inhalt er, als die Grundlage ſeiner Geſetzgebung, dem hor- chenden Volke bekannt macht. Wegen ſeiner wei- ſen Regierung eignete die Dichtung dem Minos, nebſt ſeinem Bruder und Rathgeber Radaman- thus, als den gerechteſten Menſchen, das Rich- teramt uͤber die Todten zu; zu dieſen beiden ge- ſellte ſie den Aeakus, des Peleus Vater, und, nach einer andern Sage, auch den Triptolemus, der ein Wohlthaͤter der Menſchen war. Minos, des Geſetzgebers Enkel, war ein tapfrer und kriegriſcher Fuͤrſt, der das mittellaͤn- diſche Meer von Seeraͤubern befreite, und die Fahrt auf demſelben wieder ſicher machte. — Al- lein ihn betrafen Ungluͤcksfaͤlle, wodurch ſeine glor- reichſten Siege ihm vergaͤllt, ſein Leben verbittert wurde. Die Vermaͤhlte des Minos war Paſiphae, eine Tochter der Sonne und Schweſter des Aee- tes. — Venus warf auf dieß Geſchlecht einen alten Haß, weil Helios oder die Sonne einſt ihr Liebesverſtaͤndniß mit dem Mars entdeckt und ver- rathen hatte. Sie floͤßte der Paſiphae zu einem Stier, den Neptun aus dem Meere ſteigen ließ, eine ſchaͤnd- liche Liebe ein. — Waͤhrend der Abweſenheit des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/336
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/336>, abgerufen am 28.03.2024.