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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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ward; die Athenienser verehrten in der Folge, so oft
sie das Fest des Theseus feierten, auch das Andenken
von diesem Chonidas dem Erzieher des Helden.

Als Theseus erwachsen war, führte ihn seine
Mutter zu dem Steine, woran seine Stärke sich
prüfen sollte, und welchen er aufhob und darunter
das Schwerdt und die Schuh seines Vaters fand,
so wie die obige Abbildung ihn darstellt. -- Das
Steinaufheben ist bedeutend in den Dichtungen
von der Heldenzeit, und wird beständig als ein
Merkmahl von der Stärke angeführt, wodurch
das damalige Geschlecht der Menschen sich von den
folgenden schwächern Erzeugungen unterschied.

Als Theseus nun seine Reise nach Athen an-
trat, so wählte er, durch das Beispiel des Her-
kules angefeuert, den gefährlichsten Weg zu Lan-
de, wo er mit Räubern kämpfen mußte, die die
Straßen unsicher machten, und auf eine grausame
Weise die Fremden behandelten, die sie in ihre
Gewalt bekamen.

Ob nun Theseus gleich den Herkules sich zum
Muster nahm, so unterscheidet er sich dennoch
durch eine gewisse Feinheit der Züge in seinem We-
sen, von jenem rohen Thebanischen Helden, der
als ein kolossalisches Sinnbild von Körperkraft
und unüberwindlicher Stärke, überall in den
Dichtungen auftritt, und in dem Ausdruck dieser
Kraft auch durch die bildende Kunst sich darstellt,

ward; die Athenienſer verehrten in der Folge, ſo oft
ſie das Feſt des Theſeus feierten, auch das Andenken
von dieſem Chonidas dem Erzieher des Helden.

Als Theſeus erwachſen war, fuͤhrte ihn ſeine
Mutter zu dem Steine, woran ſeine Staͤrke ſich
pruͤfen ſollte, und welchen er aufhob und darunter
das Schwerdt und die Schuh ſeines Vaters fand,
ſo wie die obige Abbildung ihn darſtellt. — Das
Steinaufheben iſt bedeutend in den Dichtungen
von der Heldenzeit, und wird beſtaͤndig als ein
Merkmahl von der Staͤrke angefuͤhrt, wodurch
das damalige Geſchlecht der Menſchen ſich von den
folgenden ſchwaͤchern Erzeugungen unterſchied.

Als Theſeus nun ſeine Reiſe nach Athen an-
trat, ſo waͤhlte er, durch das Beiſpiel des Her-
kules angefeuert, den gefaͤhrlichſten Weg zu Lan-
de, wo er mit Raͤubern kaͤmpfen mußte, die die
Straßen unſicher machten, und auf eine grauſame
Weiſe die Fremden behandelten, die ſie in ihre
Gewalt bekamen.

Ob nun Theſeus gleich den Herkules ſich zum
Muſter nahm, ſo unterſcheidet er ſich dennoch
durch eine gewiſſe Feinheit der Zuͤge in ſeinem We-
ſen, von jenem rohen Thebaniſchen Helden, der
als ein koloſſaliſches Sinnbild von Koͤrperkraft
und unuͤberwindlicher Staͤrke, uͤberall in den
Dichtungen auftritt, und in dem Ausdruck dieſer
Kraft auch durch die bildende Kunſt ſich darſtellt,

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[288/0346] ward; die Athenienſer verehrten in der Folge, ſo oft ſie das Feſt des Theſeus feierten, auch das Andenken von dieſem Chonidas dem Erzieher des Helden. Als Theſeus erwachſen war, fuͤhrte ihn ſeine Mutter zu dem Steine, woran ſeine Staͤrke ſich pruͤfen ſollte, und welchen er aufhob und darunter das Schwerdt und die Schuh ſeines Vaters fand, ſo wie die obige Abbildung ihn darſtellt. — Das Steinaufheben iſt bedeutend in den Dichtungen von der Heldenzeit, und wird beſtaͤndig als ein Merkmahl von der Staͤrke angefuͤhrt, wodurch das damalige Geſchlecht der Menſchen ſich von den folgenden ſchwaͤchern Erzeugungen unterſchied. Als Theſeus nun ſeine Reiſe nach Athen an- trat, ſo waͤhlte er, durch das Beiſpiel des Her- kules angefeuert, den gefaͤhrlichſten Weg zu Lan- de, wo er mit Raͤubern kaͤmpfen mußte, die die Straßen unſicher machten, und auf eine grauſame Weiſe die Fremden behandelten, die ſie in ihre Gewalt bekamen. Ob nun Theſeus gleich den Herkules ſich zum Muſter nahm, ſo unterſcheidet er ſich dennoch durch eine gewiſſe Feinheit der Zuͤge in ſeinem We- ſen, von jenem rohen Thebaniſchen Helden, der als ein koloſſaliſches Sinnbild von Koͤrperkraft und unuͤberwindlicher Staͤrke, uͤberall in den Dichtungen auftritt, und in dem Ausdruck dieſer Kraft auch durch die bildende Kunſt ſich darſtellt,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/346>, abgerufen am 29.03.2024.