Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

füßen. -- Diese Wesen machen gleichsam einen
Schlußpunkt für die Thierwelt und die Menschen-
welt, worin sich das Getrennte in einer neuen
Erscheinung spielend wieder zusammen findet.

Es ist der leichte Ziegenfuß, welcher sich in
dieser Dichtung scherzend der Menschenbildung
anschmiegt. -- Jugendliche Schalkhaftigkeit, und
unbesorgter Leichtsinn zeichnen die Bildung dieser
Wesen aus, welche, obgleich sterblich, dennoch
durch eine höhere Natur, über die Sorgen und
den Kummer der Menschen erhaben sind.

Die bildende Kunst stellte erst diese Wesen der
Phantasie dem Auge dar; und der Glaube an ihre
Würklichkeit mußte sich desto länger erhalten, weil,
nach den Volksbegriffen, keiner ungestraft eine
Nymphe oder einen Waldgott sehen durfte.

Statt also dem wirklichen Daseyn dieser We-
sen nachzuforschen, suchte vielmehr ein jeder vor ih-
rer unvermutheten Erscheinung in einsamen Gegen-
den sich zu hüten; und nur der begeisterte Dichter
sahe im Gefolge des Bachus, auf dem einsamen
Felsen, Nymphen, die auf des Gottes Lehren
horchten, und Bockfüßige Satyrn, die mit spitzen
Ohren lauschten.

In den Satyrn hat die bildende Kunst die
menschliche Gestalt so nahe wie möglich an die
thierische grenzend, darzustellen gesucht. -- Ein
Satyr, auf einer antiken Gemme, der mit einem

fuͤßen. — Dieſe Weſen machen gleichſam einen
Schlußpunkt fuͤr die Thierwelt und die Menſchen-
welt, worin ſich das Getrennte in einer neuen
Erſcheinung ſpielend wieder zuſammen findet.

Es iſt der leichte Ziegenfuß, welcher ſich in
dieſer Dichtung ſcherzend der Menſchenbildung
anſchmiegt. — Jugendliche Schalkhaftigkeit, und
unbeſorgter Leichtſinn zeichnen die Bildung dieſer
Weſen aus, welche, obgleich ſterblich, dennoch
durch eine hoͤhere Natur, uͤber die Sorgen und
den Kummer der Menſchen erhaben ſind.

Die bildende Kunſt ſtellte erſt dieſe Weſen der
Phantaſie dem Auge dar; und der Glaube an ihre
Wuͤrklichkeit mußte ſich deſto laͤnger erhalten, weil,
nach den Volksbegriffen, keiner ungeſtraft eine
Nymphe oder einen Waldgott ſehen durfte.

Statt alſo dem wirklichen Daſeyn dieſer We-
ſen nachzuforſchen, ſuchte vielmehr ein jeder vor ih-
rer unvermutheten Erſcheinung in einſamen Gegen-
den ſich zu huͤten; und nur der begeiſterte Dichter
ſahe im Gefolge des Bachus, auf dem einſamen
Felſen, Nymphen, die auf des Gottes Lehren
horchten, und Bockfuͤßige Satyrn, die mit ſpitzen
Ohren lauſchten.

In den Satyrn hat die bildende Kunſt die
menſchliche Geſtalt ſo nahe wie moͤglich an die
thieriſche grenzend, darzuſtellen geſucht. — Ein
Satyr, auf einer antiken Gemme, der mit einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0378" n="316"/>
fu&#x0364;ßen. &#x2014; Die&#x017F;e We&#x017F;en machen gleich&#x017F;am einen<lb/>
Schlußpunkt fu&#x0364;r die Thierwelt und die Men&#x017F;chen-<lb/>
welt, worin &#x017F;ich das Getrennte in einer neuen<lb/>
Er&#x017F;cheinung &#x017F;pielend wieder zu&#x017F;ammen findet.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t der leichte Ziegenfuß, welcher &#x017F;ich in<lb/>
die&#x017F;er Dichtung &#x017F;cherzend der Men&#x017F;chenbildung<lb/>
an&#x017F;chmiegt. &#x2014; Jugendliche Schalkhaftigkeit, und<lb/>
unbe&#x017F;orgter Leicht&#x017F;inn zeichnen die Bildung die&#x017F;er<lb/>
We&#x017F;en aus, welche, obgleich &#x017F;terblich, dennoch<lb/>
durch eine ho&#x0364;here Natur, u&#x0364;ber die Sorgen und<lb/>
den Kummer der Men&#x017F;chen erhaben &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Die bildende Kun&#x017F;t &#x017F;tellte er&#x017F;t die&#x017F;e We&#x017F;en der<lb/>
Phanta&#x017F;ie dem Auge dar; und der Glaube an ihre<lb/>
Wu&#x0364;rklichkeit mußte &#x017F;ich de&#x017F;to la&#x0364;nger erhalten, weil,<lb/>
nach den Volksbegriffen, keiner unge&#x017F;traft eine<lb/>
Nymphe oder einen Waldgott &#x017F;ehen durfte.</p><lb/>
          <p>Statt al&#x017F;o dem wirklichen Da&#x017F;eyn die&#x017F;er We-<lb/>
&#x017F;en nachzufor&#x017F;chen, &#x017F;uchte vielmehr ein jeder vor ih-<lb/>
rer unvermutheten Er&#x017F;cheinung in ein&#x017F;amen Gegen-<lb/>
den &#x017F;ich zu hu&#x0364;ten; und nur der begei&#x017F;terte Dichter<lb/>
&#x017F;ahe im Gefolge des Bachus, auf dem ein&#x017F;amen<lb/>
Fel&#x017F;en, Nymphen, die auf des Gottes Lehren<lb/>
horchten, und Bockfu&#x0364;ßige Satyrn, die mit &#x017F;pitzen<lb/>
Ohren lau&#x017F;chten.</p><lb/>
          <p>In den Satyrn hat die bildende Kun&#x017F;t die<lb/>
men&#x017F;chliche Ge&#x017F;talt &#x017F;o nahe wie mo&#x0364;glich an die<lb/>
thieri&#x017F;che grenzend, darzu&#x017F;tellen ge&#x017F;ucht. &#x2014; Ein<lb/>
Satyr, auf einer antiken Gemme, der mit einem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0378] fuͤßen. — Dieſe Weſen machen gleichſam einen Schlußpunkt fuͤr die Thierwelt und die Menſchen- welt, worin ſich das Getrennte in einer neuen Erſcheinung ſpielend wieder zuſammen findet. Es iſt der leichte Ziegenfuß, welcher ſich in dieſer Dichtung ſcherzend der Menſchenbildung anſchmiegt. — Jugendliche Schalkhaftigkeit, und unbeſorgter Leichtſinn zeichnen die Bildung dieſer Weſen aus, welche, obgleich ſterblich, dennoch durch eine hoͤhere Natur, uͤber die Sorgen und den Kummer der Menſchen erhaben ſind. Die bildende Kunſt ſtellte erſt dieſe Weſen der Phantaſie dem Auge dar; und der Glaube an ihre Wuͤrklichkeit mußte ſich deſto laͤnger erhalten, weil, nach den Volksbegriffen, keiner ungeſtraft eine Nymphe oder einen Waldgott ſehen durfte. Statt alſo dem wirklichen Daſeyn dieſer We- ſen nachzuforſchen, ſuchte vielmehr ein jeder vor ih- rer unvermutheten Erſcheinung in einſamen Gegen- den ſich zu huͤten; und nur der begeiſterte Dichter ſahe im Gefolge des Bachus, auf dem einſamen Felſen, Nymphen, die auf des Gottes Lehren horchten, und Bockfuͤßige Satyrn, die mit ſpitzen Ohren lauſchten. In den Satyrn hat die bildende Kunſt die menſchliche Geſtalt ſo nahe wie moͤglich an die thieriſche grenzend, darzuſtellen geſucht. — Ein Satyr, auf einer antiken Gemme, der mit einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/378
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/378>, abgerufen am 19.04.2024.