Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

zu diesem Werke die rohen Einwohner zu ermun-
tern wußte, hüllt die Dichtung in die schöne Fabel
ein, daß er durch die Töne seiner Leyer die Stei-
ne
selbst bewegt habe, sich zusammenzufügen, und
zu Mauern und Thürmen sich zu bilden.

Nach dem Tode des Amphion und Zethus
riefen die Thebaner den verjagten Lajus, des Lab-
dakus Sohn zurück, und gaben ihm die Herrschaft
wieder, worauf er mit der Jokaste, der Schwester
des Kreon, eines Thebanischen Fürsten, sich ver-
mählte.

Oedipus.

Dem Lajus war geweißagt worden, daß sein
Sohn ihn erschlagen würde. -- Als ihm daher
Jokaste den Oedipus gebahr, so ließ er ihn in
einer wüsten Gegend aussetzen. Der vertraute
Bediente, der dieß Geschäft verrichtete, band das
Kind mit den Füßen an einen Baum.

In diesem Zustande fand es Phorbas, der
Aufseher der Heerden des Königs Polybius, der
Korinth beherrschte. Dieser nahm das Kind,
als es ihm Phorbas brachte, selbst an Kindes statt
an, und man gab ihm von seinen geschwollnen
Füßen,
den Nahmen Oedipus.

Die Pflegeältern des Oedipus verhehlten sorg-
fältig vor ihm die Ungewißheit seiner Abkunft, so
daß er von Kindheit an, sie für seine wahren El-

zu dieſem Werke die rohen Einwohner zu ermun-
tern wußte, huͤllt die Dichtung in die ſchoͤne Fabel
ein, daß er durch die Toͤne ſeiner Leyer die Stei-
ne
ſelbſt bewegt habe, ſich zuſammenzufuͤgen, und
zu Mauern und Thuͤrmen ſich zu bilden.

Nach dem Tode des Amphion und Zethus
riefen die Thebaner den verjagten Lajus, des Lab-
dakus Sohn zuruͤck, und gaben ihm die Herrſchaft
wieder, worauf er mit der Jokaſte, der Schweſter
des Kreon, eines Thebaniſchen Fuͤrſten, ſich ver-
maͤhlte.

Oedipus.

Dem Lajus war geweißagt worden, daß ſein
Sohn ihn erſchlagen wuͤrde. — Als ihm daher
Jokaſte den Oedipus gebahr, ſo ließ er ihn in
einer wuͤſten Gegend ausſetzen. Der vertraute
Bediente, der dieß Geſchaͤft verrichtete, band das
Kind mit den Fuͤßen an einen Baum.

In dieſem Zuſtande fand es Phorbas, der
Aufſeher der Heerden des Koͤnigs Polybius, der
Korinth beherrſchte. Dieſer nahm das Kind,
als es ihm Phorbas brachte, ſelbſt an Kindes ſtatt
an, und man gab ihm von ſeinen geſchwollnen
Fuͤßen,
den Nahmen Oedipus.

Die Pflegeaͤltern des Oedipus verhehlten ſorg-
faͤltig vor ihm die Ungewißheit ſeiner Abkunft, ſo
daß er von Kindheit an, ſie fuͤr ſeine wahren El-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0421" n="351"/>
zu die&#x017F;em Werke die rohen Einwohner zu ermun-<lb/>
tern wußte, hu&#x0364;llt die Dichtung in die &#x017F;cho&#x0364;ne Fabel<lb/>
ein, daß er durch die To&#x0364;ne &#x017F;einer Leyer <hi rendition="#fr">die Stei-<lb/>
ne</hi> &#x017F;elb&#x017F;t bewegt habe, &#x017F;ich zu&#x017F;ammenzufu&#x0364;gen, und<lb/>
zu Mauern und Thu&#x0364;rmen &#x017F;ich zu bilden.</p><lb/>
            <p>Nach dem Tode des Amphion und Zethus<lb/>
riefen die Thebaner den verjagten Lajus, des Lab-<lb/>
dakus Sohn zuru&#x0364;ck, und gaben ihm die Herr&#x017F;chaft<lb/>
wieder, worauf er mit der <hi rendition="#fr">Joka&#x017F;te,</hi> der Schwe&#x017F;ter<lb/>
des <hi rendition="#fr">Kreon,</hi> eines Thebani&#x017F;chen Fu&#x0364;r&#x017F;ten, &#x017F;ich ver-<lb/>
ma&#x0364;hlte.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Oedipus</hi>.</hi> </head><lb/>
            <p>Dem Lajus war geweißagt worden, daß &#x017F;ein<lb/>
Sohn ihn er&#x017F;chlagen wu&#x0364;rde. &#x2014; Als ihm daher<lb/>
Joka&#x017F;te den <hi rendition="#fr">Oedipus</hi> gebahr, &#x017F;o ließ er ihn in<lb/>
einer wu&#x0364;&#x017F;ten Gegend aus&#x017F;etzen. Der vertraute<lb/>
Bediente, der dieß Ge&#x017F;cha&#x0364;ft verrichtete, band das<lb/>
Kind mit den Fu&#x0364;ßen an einen Baum.</p><lb/>
            <p>In die&#x017F;em Zu&#x017F;tande fand es <hi rendition="#fr">Phorbas,</hi> der<lb/>
Auf&#x017F;eher der Heerden des Ko&#x0364;nigs <hi rendition="#fr">Polybius,</hi> der<lb/>
Korinth beherr&#x017F;chte. Die&#x017F;er nahm das Kind,<lb/>
als es ihm Phorbas brachte, &#x017F;elb&#x017F;t an Kindes &#x017F;tatt<lb/>
an, und man gab ihm von &#x017F;einen <hi rendition="#fr">ge&#x017F;chwollnen<lb/>
Fu&#x0364;ßen,</hi> den Nahmen <hi rendition="#fr">Oedipus.</hi></p><lb/>
            <p>Die Pflegea&#x0364;ltern des Oedipus verhehlten &#x017F;org-<lb/>
fa&#x0364;ltig vor ihm die Ungewißheit &#x017F;einer Abkunft, &#x017F;o<lb/>
daß er von Kindheit an, &#x017F;ie fu&#x0364;r &#x017F;eine wahren El-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0421] zu dieſem Werke die rohen Einwohner zu ermun- tern wußte, huͤllt die Dichtung in die ſchoͤne Fabel ein, daß er durch die Toͤne ſeiner Leyer die Stei- ne ſelbſt bewegt habe, ſich zuſammenzufuͤgen, und zu Mauern und Thuͤrmen ſich zu bilden. Nach dem Tode des Amphion und Zethus riefen die Thebaner den verjagten Lajus, des Lab- dakus Sohn zuruͤck, und gaben ihm die Herrſchaft wieder, worauf er mit der Jokaſte, der Schweſter des Kreon, eines Thebaniſchen Fuͤrſten, ſich ver- maͤhlte. Oedipus. Dem Lajus war geweißagt worden, daß ſein Sohn ihn erſchlagen wuͤrde. — Als ihm daher Jokaſte den Oedipus gebahr, ſo ließ er ihn in einer wuͤſten Gegend ausſetzen. Der vertraute Bediente, der dieß Geſchaͤft verrichtete, band das Kind mit den Fuͤßen an einen Baum. In dieſem Zuſtande fand es Phorbas, der Aufſeher der Heerden des Koͤnigs Polybius, der Korinth beherrſchte. Dieſer nahm das Kind, als es ihm Phorbas brachte, ſelbſt an Kindes ſtatt an, und man gab ihm von ſeinen geſchwollnen Fuͤßen, den Nahmen Oedipus. Die Pflegeaͤltern des Oedipus verhehlten ſorg- faͤltig vor ihm die Ungewißheit ſeiner Abkunft, ſo daß er von Kindheit an, ſie fuͤr ſeine wahren El-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/421
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/421>, abgerufen am 28.03.2024.