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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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auf ihn machten -- er fiel nicht darauf, daß eben
der einsame Stand derselben in großen und
unregelmäßigen Zwischenräumen, der Ge¬
gend das majestätische feierliche Ansehn gab, wo¬
durch sein Herz immer so gerührt wurde. --
Diese einsamen Bäume machten ihm seine eigne
Einsamkeit, indem er unter ihnen umherwandelte,
gleichsam heilig und ehrwürdig -- so oft er unter
diesen Bäumen ging, lenkten sich seine Gedanken
auf erhabene Gegenstände, seine Schritte wur¬
den langsamer, sein Haupt gesenkt, und sein
ganzes Wesen ernster und feierlicher -- dann
verlohr er sich in dem naheliegenden niedri¬
gen Gebüsch, und setzte sich in den Schatten ei¬
nes Gesträuchs, wo er denn beim Geräusch des
nahen Wasserfalls sich entweder in angenehmen
Phantasien wiegte, oder laß. --

Es ging auf die Weise fast kein Tag hin, wo
seine Phantasie nicht mit neuen Bildern aus der
wirklichen sowohl als aus der idealischen Welt
genährt worden wäre. --

Zu diesem allen kam nun noch, daß gerade in
diesem Jahre die Leiden des jungen Wer¬
thers
erschienen waren, welche nun zum Theil

auf ihn machten — er fiel nicht darauf, daß eben
der einſame Stand derſelben in großen und
unregelmaͤßigen Zwiſchenraͤumen, der Ge¬
gend das majeſtaͤtiſche feierliche Anſehn gab, wo¬
durch ſein Herz immer ſo geruͤhrt wurde. —
Dieſe einſamen Baͤume machten ihm ſeine eigne
Einſamkeit, indem er unter ihnen umherwandelte,
gleichſam heilig und ehrwuͤrdig — ſo oft er unter
dieſen Baͤumen ging, lenkten ſich ſeine Gedanken
auf erhabene Gegenſtaͤnde, ſeine Schritte wur¬
den langſamer, ſein Haupt geſenkt, und ſein
ganzes Weſen ernſter und feierlicher — dann
verlohr er ſich in dem naheliegenden niedri¬
gen Gebuͤſch, und ſetzte ſich in den Schatten ei¬
nes Geſtraͤuchs, wo er denn beim Geraͤuſch des
nahen Waſſerfalls ſich entweder in angenehmen
Phantaſien wiegte, oder laß. —

Es ging auf die Weiſe faſt kein Tag hin, wo
ſeine Phantaſie nicht mit neuen Bildern aus der
wirklichen ſowohl als aus der idealiſchen Welt
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dieſem Jahre die Leiden des jungen Wer¬
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[92/0102] auf ihn machten — er fiel nicht darauf, daß eben der einſame Stand derſelben in großen und unregelmaͤßigen Zwiſchenraͤumen, der Ge¬ gend das majeſtaͤtiſche feierliche Anſehn gab, wo¬ durch ſein Herz immer ſo geruͤhrt wurde. — Dieſe einſamen Baͤume machten ihm ſeine eigne Einſamkeit, indem er unter ihnen umherwandelte, gleichſam heilig und ehrwuͤrdig — ſo oft er unter dieſen Baͤumen ging, lenkten ſich ſeine Gedanken auf erhabene Gegenſtaͤnde, ſeine Schritte wur¬ den langſamer, ſein Haupt geſenkt, und ſein ganzes Weſen ernſter und feierlicher — dann verlohr er ſich in dem naheliegenden niedri¬ gen Gebuͤſch, und ſetzte ſich in den Schatten ei¬ nes Geſtraͤuchs, wo er denn beim Geraͤuſch des nahen Waſſerfalls ſich entweder in angenehmen Phantaſien wiegte, oder laß. — Es ging auf die Weiſe faſt kein Tag hin, wo ſeine Phantaſie nicht mit neuen Bildern aus der wirklichen ſowohl als aus der idealiſchen Welt genaͤhrt worden waͤre. — Zu dieſem allen kam nun noch, daß gerade in dieſem Jahre die Leiden des jungen Wer¬ thers erſchienen waren, welche nun zum Theil

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/102>, abgerufen am 29.03.2024.